Samstag, 11. Februar 2012

Georg Baselitz in der Villa Schöningen, Potsdam

Unsere Anreise nach Berlin starten wir bereits kurz vor 8:00 Uhr, damit uns noch Zeit bleibt für einen Besuch einer Ausstellung von frühen Arbeiten aus der Privatsammlung von Georg Baselitz. Ausgestellt sind die vorher öffentlich noch nie gezeigten Gemälde in der Villa Schöningen.
Das Privatmuseum der Villa Schöningen liegt nahe der Glienicker Brücke auf der Potsdamer Seite und ist uns bereits bei unserem letzten Besuch in Potsdam im Dezember 2011 aufgefallen. Heute bietet sich die Gelegenheit, das Haus und seine Geschichte näher kennenzulernen.






Wir erreichen die Villa Schöningen am Mittag bei winterlich-sonnigem Frost. Entstanden ist das Gebäude, weil der Vorgängerbau des Schiffbauers Martin Friedrich Nüssoll das ästhetische Empfinden der preußischen Prinzen beleidigte. Das Gebäude liegt nämlich in der Sichtachse der Schlösser Babelsberg und Glienicke. Nach einigem Hin und Her über Fragen des Verkaufs und des Besitzes beauftragte schließlich König Wilhelm IV. (über den Kopf des damaligen Besitzers hinweg!) den könglichen Architekten Ludiwg Persius zu einem Neubau. Im Einklang mit den architektonischen Veränderungen von Schloss Glienicke, das Prinz Carl von Preußen nach einer Italienreise im italienischen Stil umgestalten ließ, errichtete Persius 1843 das neue Gebäude als Turmvilla im italienischen Stil.




Nach einer äußerst wechselvollen Geschichte verfiel das Gebäude immer mehr, bis Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, zusammen mit seinem Freund, dem Unternehmer Leonhard H. Fischer, 2007 die Villa mit dem Ziel kaufte, sie zu bewahren und daraus ein offenes Haus der Erinnerung, der Kunst und der Begegnung zu machen. Im November 2009 wird die sanierte Villa Schöningen nach denkmalgerechter Sanierung als ein öffentlicher Ort der Geschichte, der Kunst und der Freiheit eröffnet. Die Dauerausstellung im Erdgeschoss ist der Geschichte der Glienicker Brücke in ihrem historischen Kontext gewidmet. Zur Eröffnung am 8.11.2009 erscheint die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, persönlich. Michail Gorbatschow, George Bush sen. und Helmut Kohl signieren anlässlich der Eröffnung einen Brocken der ehemaligen Mauer.









Im Obergeschoss der Villa Schöningen finden Wechselausstellungen statt. Vom 4.02.2012 bis zum 1.08.2012 sind Werke der "Berliner Jahre" aus der Sammlung Baselitz ausgestellt.






Georg Baselitz und Eugen Schönebeck sind als Studenten eng befreundet und gehen gemeinsam in den Westen. Sie rebellieren gegen den im Osten dominierenden Stil des sozialistischen Realismus und müssen sich der im Westen dominierenden Kunst stellen. Der abstrakte Expressionismus ist für sie eine völlig neue und überwältigende Erfahrung, der sie nichts entgegensetzten können. Eine Abstraktion, die Weltverständnis im Stil von "Minimal" oder "Zero" vermeintlich nur auf ästhetischer Ebene reflektiert, empfinden sie als Flucht in eine unpolitische Haltung, die gegenüber der historischen Schuld als Verrat zu werten ist. Der Schrecken der Gewalterfahrung nährt tiefe Zweifel an ein Menschbild als "Krone der Schöpfung".
Baselitz und Schönebeck stellen sich der historischen Verantwortung und propagieren eine politische Kunst. Sie scheuen sich nicht vor Pathos, um auf die Animalität der menschlichen Existenz zu verweisen, die sich mit den Übungen ihrer perversen Macht in den  zwischenmenschlichen Beziehungen entlarvt. Der dünnen kulturellen Decke einer ästhetischen Kunst begegnen Baselitz und Schönebeck mit Hässlichkeit und Schmutz. Verstümmelte, gewalttätige, onanierende, animalische Wesen konfrontieren uns mit allen Peinlichkeiten menschlicher Existenz.
Wie bereits auch anlässlich der Retrospektive zu Eugen Schönebeck im Schirn ist auch die Begegnung mit den Bildern von Georg Baselitz irritierend und verstörend. Es fällt schwer, eine angemessene Haltung zu finden. Welche Argumente können wir den Bildern entgegesetzen? Ist Ästhetik nur ein perfider Betrug? Ist Kunst nur "Schrott", wenn sie sich politischen Statements enthält? Ist Politik eine ausschließlich männliche Domäne und "weibliche Politik" etwas anderes, für das ein passender Begriff fehlt?
Die Austellung provoziert Fragen und eine Belastung für Begriffe und Kriterien von "Kunst" und "Politik". Künstler und Kuratoren sind jedoch so klug, um dem Versuch zur Beantwortung von Fragen zu widerstehen, für die es keine allgemein gültigen Antworten gibt. Diese Auseinandersetzung bleibt in der Verantwortung des Betrachters, was zugleich unbequem und gut ist. Das Nachwirken dieser Ausstellung, die uns als Betrachter an unsere eigene Verantwortung erinnert, ist ein starkes Indiz für die Qualität dieser Ausstellung.
Link zum Post über die Ausstellung der Bilder Eugen Schönebecks im Schirn
Link zu Fotos der Ausstellung 'Georg Baselitz' in der Villa Schöningen
Link zur Retrospektive 'Eugen Schönebeck' im Schirn






Die hervorragende Präsentation in den sehr ansprechend restaurierten Räumen der Villa erzeugt einen harten und vermutlich bewusst eingesetzten Kontrast, der geradezu schmerzhaft wirkt. Entspannung bietet der Blick aus dem Fenster auf die Glienicker Brücke und die winterliche Landschaft am Jungfernsee.

















Das sonnige Winterwetter motiviert uns zu einem Zwischenstopp am Schloss Glienicke, das aus Sicht der Villa Schöningen auf der gegenüberliegenden Seite des Jungfernsees liegt. Das protzige Portal mit den vergoldeten geflügelten Löwen täuscht beim Zugang auf den offenkundigen Verfall der Anlage hinweg. Über den Jungfernsee blicken wir zurück auf die Villa Schönigen, die sich heute dank des Engagements privater Investoren in einem wesentlichen besseren Zustand als die Anlage von Schloss Glienicke präsentiert.



















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