Unsere
Anreise nach Berlin starten wir bereits kurz vor 8:00 Uhr, damit uns
noch Zeit bleibt für einen Besuch einer Ausstellung von frühen Arbeiten
aus der Privatsammlung von Georg Baselitz. Ausgestellt sind die vorher
öffentlich noch nie gezeigten Gemälde in der Villa Schöningen.
Das
Privatmuseum der Villa Schöningen liegt nahe der Glienicker Brücke auf
der Potsdamer Seite und ist uns bereits bei unserem letzten Besuch in
Potsdam im Dezember 2011 aufgefallen. Heute bietet sich die Gelegenheit,
das Haus und seine Geschichte näher kennenzulernen.
Wir
erreichen die Villa Schöningen am Mittag bei winterlich-sonnigem Frost.
Entstanden ist das Gebäude, weil der Vorgängerbau des Schiffbauers
Martin Friedrich Nüssoll das ästhetische Empfinden der preußischen
Prinzen beleidigte. Das Gebäude liegt nämlich in der Sichtachse der
Schlösser Babelsberg und Glienicke. Nach einigem Hin und Her über Fragen
des Verkaufs und des Besitzes beauftragte schließlich König Wilhelm IV.
(über den Kopf des damaligen Besitzers hinweg!) den könglichen
Architekten Ludiwg Persius zu einem Neubau. Im Einklang mit den
architektonischen Veränderungen von Schloss Glienicke, das Prinz Carl
von Preußen nach einer Italienreise im italienischen Stil umgestalten
ließ, errichtete Persius 1843 das neue Gebäude als Turmvilla im
italienischen Stil.
Nach
einer äußerst wechselvollen Geschichte verfiel das Gebäude immer mehr,
bis Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, zusammen
mit seinem Freund, dem Unternehmer
Leonhard H. Fischer, 2007 die Villa mit dem Ziel kaufte, sie zu bewahren
und daraus ein
offenes Haus der Erinnerung, der Kunst und der Begegnung zu machen. Im
November 2009 wird die sanierte Villa Schöningen nach denkmalgerechter
Sanierung als ein öffentlicher Ort der Geschichte, der Kunst und der
Freiheit eröffnet. Die Dauerausstellung im Erdgeschoss ist der
Geschichte der Glienicker Brücke in ihrem historischen Kontext gewidmet.
Zur Eröffnung am 8.11.2009 erscheint die Bundeskanzlerin, Angela
Merkel, persönlich. Michail Gorbatschow, George Bush sen. und Helmut
Kohl signieren anlässlich der Eröffnung einen Brocken der ehemaligen
Mauer.
Im
Obergeschoss der Villa Schöningen finden Wechselausstellungen statt.
Vom 4.02.2012 bis zum 1.08.2012 sind Werke der "Berliner Jahre" aus der
Sammlung Baselitz ausgestellt.
Georg
Baselitz und Eugen Schönebeck sind als Studenten eng befreundet und
gehen gemeinsam in den Westen. Sie rebellieren gegen den im Osten
dominierenden Stil des sozialistischen Realismus und müssen sich der im
Westen dominierenden Kunst stellen. Der abstrakte Expressionismus ist
für sie eine völlig neue und überwältigende Erfahrung, der sie nichts
entgegensetzten können. Eine Abstraktion, die Weltverständnis im Stil
von "Minimal" oder "Zero" vermeintlich nur auf ästhetischer Ebene
reflektiert, empfinden sie als Flucht in eine unpolitische Haltung, die
gegenüber der historischen Schuld als Verrat zu werten ist. Der
Schrecken der Gewalterfahrung nährt tiefe Zweifel an ein Menschbild als
"Krone der Schöpfung".
Baselitz und Schönebeck stellen sich der
historischen Verantwortung und propagieren eine politische Kunst. Sie
scheuen sich nicht vor Pathos, um auf die Animalität der menschlichen
Existenz zu verweisen, die sich mit den Übungen ihrer perversen Macht in
den zwischenmenschlichen Beziehungen entlarvt. Der dünnen kulturellen
Decke einer ästhetischen Kunst begegnen Baselitz und Schönebeck mit
Hässlichkeit und Schmutz. Verstümmelte, gewalttätige, onanierende,
animalische Wesen konfrontieren uns mit allen Peinlichkeiten
menschlicher Existenz.
Wie bereits auch anlässlich der
Retrospektive zu Eugen Schönebeck im Schirn ist auch die Begegnung mit
den Bildern von Georg Baselitz irritierend und verstörend. Es fällt
schwer, eine angemessene Haltung zu finden. Welche Argumente können wir
den Bildern entgegesetzen? Ist Ästhetik nur ein perfider Betrug? Ist
Kunst nur "Schrott", wenn sie sich politischen Statements enthält? Ist
Politik eine ausschließlich männliche Domäne und "weibliche Politik"
etwas anderes, für das ein passender Begriff fehlt?
Die Austellung
provoziert Fragen und eine Belastung für Begriffe und Kriterien von
"Kunst" und "Politik". Künstler und Kuratoren sind jedoch so klug, um
dem Versuch zur Beantwortung von Fragen zu widerstehen, für die es keine
allgemein gültigen Antworten gibt. Diese Auseinandersetzung bleibt in
der Verantwortung des Betrachters, was zugleich unbequem und gut ist.
Das Nachwirken dieser Ausstellung, die uns als Betrachter an unsere
eigene Verantwortung erinnert, ist ein starkes Indiz für die Qualität
dieser Ausstellung.
Link zum Post über die Ausstellung der Bilder Eugen Schönebecks im Schirn
Link zu Fotos der Ausstellung 'Georg Baselitz' in der Villa Schöningen
Link zur Retrospektive 'Eugen Schönebeck' im Schirn
Die
hervorragende Präsentation in den sehr ansprechend restaurierten Räumen
der Villa erzeugt einen harten und vermutlich bewusst eingesetzten
Kontrast, der geradezu schmerzhaft wirkt. Entspannung bietet der Blick
aus dem Fenster auf die Glienicker Brücke und die winterliche Landschaft
am Jungfernsee.
Das
sonnige Winterwetter motiviert uns zu einem Zwischenstopp am Schloss
Glienicke, das aus Sicht der Villa Schöningen auf der gegenüberliegenden
Seite des Jungfernsees liegt. Das protzige Portal mit den vergoldeten
geflügelten Löwen täuscht beim Zugang auf den offenkundigen Verfall der
Anlage hinweg. Über den Jungfernsee blicken wir zurück auf die Villa
Schönigen, die sich heute dank des Engagements privater Investoren in
einem wesentlichen besseren Zustand als die Anlage von Schloss Glienicke
präsentiert.
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