Montag, 10. Juli 2017

One Man Anti Show - Retrospektive Július Koller im Museion für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen (14.07.17 Update)

Sonderausstellung Július Koller im Museion, BozenBozener Dom Maria HimmelfahrtMuseion für moderne und zeitgenössische Kunst, Bozen

Nach einer hoch interessanten Führung mit Verkostung in der Cantina Tramin (Link zum Post) schlendern wir durch die Bozener Altstadt zum Museion für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen. Die aktuelle Sonderausstellung One Man Anti Show (20.05.-27.08.2017) ist eine Retrospektive des slowakischen Konzeptkünstlers Július Koller (1939-2007), den im Westen eher nur Experten kennen. Nach Ausstellungen in Warschau und Wien ist die Retrospektive in Bozen angekommen.
Trotz mutiger Architektur (nach einem Entwurf des Berliner Architektenbüros KSV - Krüger, Schuberth, Vandreike), einer nicht alltäglichen Sammlung, spannender Sonderausstellungen und niedriger Tickethürden (7 € Erwachsene, 3,50 € Senioren und div. Ermäßigungskarten) ist der Musen-Tempel bei der Bozener Bevölkerung nicht besonders beliebt und von Touristen kaum beachtet. Während des Rundgangs treffen wir in den Räumen lediglich einen weiteren Besucher und sonst nur Museumspersonal an, obwohl insbesondere die Koller-Retrospektive größeres Interesse verdient. Der Titel der Ausstellung 'One Man Anti Show' formuliert ein Paradox: Ausstellung von Arbeiten eines Einzelgänger ohne Anerkennung im Kunstbetrieb. Aber das ist nur die halbe Wahrheit und provoziert Nachfragen. Wie können Arbeiten ohne öffentliche Anerkennung in einem Museum ausgestellt werden? - Fotogalerie 

Sonderausstellung Július Koller im Museion, Bozen Das Trauma von 2 Weltkriegen schürte tiefe Skepsis und Misstrauen gegen bürgerliches Kunstverständnis und museale Kultur. Die Nachkriegsavantgarde war sich einig, dass Kunst ihren Standort neu bestimmen musste und politische Abstinenz oder Gleichgültigkeit als Haltung inakzeptabel sind. Bei allen Unterschieden teilte die Avantgarde ihre Ablehnung gegenüber Kunsttradition. Sie organisierte gemeinsame Revolten, die verständnisloses Bürgertum erschreckte und abschreckte.
Während seiner akademischen Kunstausbildung erkannte Július Koller Ernsthaftigkeit und Notwendigkeit einer Neuausrichtung künstlerischer Arbeit. Traditionen, Moderne und Konventionen des westlichen Kunstbetriebes stellt Július Koller infrage. Daher überrascht nicht, wenn sich Július Koller in Richtung internationaler Konzeptkunst orientierte und in seinem Frühwerk Einflüsse von Dada, Noveau Réalism und Fluxus zu erkennen sind.  

Sonderausstellung Július Koller im Museion, Bozen Als Künstler der Tschechoslowakei saß Július Koller zwischen allen Stühlen. Die Tschechoslowakei entstand politisch alternativlos als Satellitenstaat der UdSSR, war Teil des Ostblocks und Mitglied des Warschauer Paktes. In sozialistischen Staaten bestand keine Freiheit künstlerischer Ausrichtung. Kunst hatte 'positive Arbeit' im Dienst des sozialistischen Fortschritts zu leisten. Was 'gute Kunst' im Sinne von 'fortschrittlich' ist, gaben Richtlinien des Sozialistischen Realismus vor. Künstler, die sich solchen Richtlinien nicht unterwarfen, wurden mit Verboten belegt, kriminalisiert und auch eliminiert. Um sich vor Repressionen zu schützen, verpackten etablierte Künstler Kritik in Zitaten, mehrdeutigen Symbolen oder schwer zu durchschauender Vielschichtigkeit. Július Koller war kein etablierter Künstler und wollte diesen Weg nicht einschlagen, weil er Kommunismus und dessen Kunst kritsch sah. Spätestens die Niederschlagung des vermeinlich konterrevolutionären Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Paktes trieb Július Koller in die Isolation.

Sonderausstellung Július Koller im Museion, Bozen Nach der Zerschlagung des Prager Frühlings emigrierte Július Koller in ein privates Paralleluniversum. Er selbst sieht sich als ein lebendes Fragezeichen und stellt sich auch so dar. Ab 1969 durchzieht das Fragezeichen als Symbol des Fragens, Zweifelns, Verunsicherns seine Arbeiten, die er als 'Universalkulturelle Futurologische Operationen' bezeichnet, in denen er soziale Realität mit 'kulturellen Situationen' als Utopien einer 'kosmohumanistischen Kultur der Zukunft' konfrontiert. Seine Arbeiten signiert er mit 'U.F.O.'. Ähnlich wie Beuys betrachtete auch Július Koller künstlerische Professionalisierung und ästhetische Raffinesse mit Misstrauen und forderte ebenfalls 'Amateurismus' als Voraussetzung für partizipatives kulturelles Leben im Sinne seines U.F.O.-Konzeptes. In der Zusammenarbeit mit Amateuren suchte und praktizierte Július Koller Möglichkeiten der Gestaltung 'kultureller Situationen'.

Sonderausstellung Július Koller im Museion, Bozen Tennis- und Tischtennisspiel betrachtete Július Koller als eine auf politische Kultur einwirkende partizipative Kunstform, weil Sport allen offen stehe, Sport das Einüben von Regeln und Fair Play praktiziere und gesellschaftliches Handeln auf Regeln basiere. Auf solche Gedanken treffen Besucher in vielen Arbeiten der Ausstellung.
Ein Höhepunkt der Retrospektive ist die Installation 'J.K. Ping-Pong-Club', die Július Koller 1970 für die 'Galerie der Jugend' in Bratislava entwickelte. Die Installation will mit der Aufhebung von Grenzen zwischen Kunst und nichtkünstlerischer Aktivität emanzipatorische Handlungsräume öffnen, zu denen alle Menschen Zugang haben. Gleichzeitig war die Installation ein Statement gegen das repressiv-konservative politische Klima nach Niederschlagung des Prager Frühlings. Im Museion werden Besucher der Ausstellung zur Selbsterfahrung an der Ping-Pong-Platte ermuntert (maximal 15 Minuten pro Spiel). Schläger und Bälle liegen bereit.  Das Netz ist gespannt. Nur Besucher fehlen. Immerhin finden Mitarbeiter des Museums ein wenig Abwechslung.

Sonderausstellung Július Koller im Museion, Bozen In der Nachbetrachtung fragen wir uns, ob Július Koller an einer posthumen Ausstellung seiner Arbeiten in einem Museum Vergnügen finden könnte. Jede Antwort ist spekulativ. Wir vermuten: Es hätte ihm gefallen! Wie ist das möglich?
Július Koller lebte bis in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts in einer privaten Nische, in der er 'Subkultur' unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Kunstmarktes praktizierte und den kulturell dominierenden Kunstbetrieb im Osten wie im Westen mit entschiedener Radikalität ablehnte, weil Kunst vermeintlich auf beiden Seiten entweder mit herrschenden politischen Mächten und Ideologien verbündet ist oder sie von diesen missbraucht wird und darum entweder selbst schuldig oder ihrer Unschuld beraubt ist. Mit Auflösung sozialistischer Machtgefüge endete die Reglementierung künstlerischer Arbeit und eines normierten Kunstbetriebs. Marktstrukturen und pluralistische Wertvorstellungen schwappen aus dem Westen in den Osten. Regeln des Kunstbetriebs setzten nun nicht mehr Partei oder staatliche Organe, sondern ein diffuser, wenig transparenter Kunstmarkt, in dem viel Geld bewegt wird und Kunstimpresarios ständig auf der Suche nach Neuentdeckungen sind, mit denen sie ihr zahlungskräftiges Klientel beglücken und sich selbst bereichern.

Július Koller scheint eine solche Entdeckung zu sein. Arbeiten von ihm sind seit 1997 in bedeutenden Ausstellungen vertreten, u.a. in der Biennale Venedig 2003. Der Kölnische Kunstverein widmete Július Koller 2003 eine Einzelaustellung mit dem Titel Julius Koller, Univerzálne Futurologické Operácie (Universal-futurologische Operationen). Mit Überschreitung der Wahrnehmungsschwelle setzt preistreibende Nachfrage ein. International erste Adressen wie Tate Modern London, Centre Pompidou Paris, MoMa New York, erwerben Werke von Július Koller, was Preise weiter befeuert. Diese Entwicklung kann Július Koller nicht entgangen sein. Ohne seine Zustimmung hätten diese Ausstellungen nicht stattfinden können. Offensichtlich hat Július Koller eine Metamorphose durchlebt, als deren Ergebnis er zum Teilnehmer eines Kunstmarktes wurde, den er zuvor unter Lebensbedingungen eines sozialistischen Staates ablehnte.

Ist Július Koller zum Verräter seiner Prinzipien und Ideale geworden? Konrad Adenauer wusste sich bei ähnlichen Vorwürfen elegant zu verteidigen, wie etwa in seiner Rede auf dem 3. Bundesparteitag der CDU in Berlin am 18.10.1952: "Und ich war bereit, meine Damen und Herren, das muss man immer sein, auch von politischen Gegnern zu lernen, denn jeder von uns hat das Recht, klüger zu werden." So weit, so gut. Dass jedoch die Retrospektive 'One Man Anti Show' auf Július Kollers 'Anti-Kunst' fokussiert und dessen post-sozialistisches Leben ausblendet, öffnet Deutungsräume, die Fragen aufwerfen. 

Hat sich die Welt mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus und der Durchsetzung von Marktstrukturen verbessert? Wohl kaum, was jedoch nicht zu beweisen ist, weil keine unabhängigen Messsysteme existieren. Dass Július Kollers Vorbehalte gegen westliche Kultur in der Gegenwart nicht hinfällig sind, sondern im Gegenteil nach politischen Umbrüchen und Krisen der jüngeren Zeitperiode eher zunehmen, machen die Zunahme von politischem Extremismus und weltweiter Terrorismus gegen westliche Systeme schmerzhaft bewusst.

Július Kollers Tod im Jahr 2007 dürfte den Kunstmarkt beflügeln. Ein Nachlass von 150.000 Arbeiten liefert reichlichen Nachschub. Retrospektiven nutzen der Vermarktung ebenso wie der Preisfindung. Ob sich jedoch die Nachwelt in einigen Jahrzehnten noch an Július Koller erinnern wird und im Fall, dass es so sein wird, seine Arbeiten als 'Kunstwerke' oder lediglich als 'Zeitdokumente' gelten, wird die Zukunft zeigen. Wir zweifeln an der Werthaltigkeit des 'Kunst'-Labels. Július Kollers Werk dokumentiert zeitabhängige Kontexte, ohne Rücksicht auf universelle Aspekte von 'Kunst' zu üben (was auch immer diese sein mögen). Selbstverständlich entsteht jede künstlerische Arbeit in sozialen und politischen Kontexten ihrer Zeit. Wenn Bob Dylan singt, The Times They Are A-Changin', ist implizit mitgemeint, dass Phänomene jeder Art im zeitichen Kontext aufsteigen und wieder absteigen und nur wenige von ihnen Zeit überdauern. Irrtümer sind im Einzelfall nicht ausgeschlossen.

Welche Entwicklung Július Kollers Arbeiten auch immer zeigen werden, der Markt hat sich bewegt, Vermögen wurden umverteilt. Gewinner sind glücklich. Wo es Gewinner gibt, muss es auch unglückliche Verlierer geben. Was haben wir gelernt? Nichts! It's always the same old story.

1 Kommentar:

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