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Blick aus dem Foyer Museum Ludwig |
Sigmar Polke zählt zu den international bedeutendsten deutschen Künstlern zeitgenössischer Malerei. Im
Kunstkompass (ein am Kunstmarkt justiertes Ranking weltweit gefragtester Gegenwartskünstler) liegt
Sigmar Polke alljährlich in der Spitzengruppe(1), was ihn etliche Jahre nicht motivieren kann, dem Ansinnen einer Retrospektive im
Museum of Modern Art nachzugeben. 2008 stimmt er endlich zu, aber sein Tod beendet am 10. Juni 2010 unwiderruflich die Zusammenarbeit mit dem
Museum of Modern Art. Weitere 4 Jahre vergehen, bis das
MoMA die Retrospektive 'Alibis 1963-2010' ausstellt. Von New York reist die Ausstellung nach London zur
Tate Modern, neben
MoMA und
Centre Pompidou weltweit führendes Museum für Gegenwartskunst. Das Finale gebührt
Sigmar Polkes Wahlheimat. Im Kölner
Museum Ludwig bietet die Austellung mit einigen Erweiterungen 'großes Kino'. Im Schatten der großen Retrospektive zeigt das Museum im Zeitraum 30. Mai - 22. November 2015 die gleichfalls sehenswerte, aber ungleich kleinere Ausstellung
Bernard Schultze zum 100. Geburtstag.(2)
Fotoserie -
Fotos als Google-Geschichte
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Eingang zur Ausstellung 'Alibis' im Museum Ludwig |
Wenn der Name 'Polke' fällt, denken wir zuerst und vor allem an Rasterbilder. Die Retrospektive zeigt mit ca. 250 Werken auf 2.000 qm Fläche den ganzen Polke von frühen Arbeiten bis zu seinem Spätwerk, in denen Rasterbilder sich lediglich als Facette eines umfangreichen Schaffens darstellen, das sich gegen jede Festlegung auf Formen, Inhalte, Technik sowie Material sperrt und neben Tafelbildern und Skulpturen auch Fotografien und Filme umfasst. Die
Ausstellung im Museum Ludwig wird in ihrer Breite, Tiefe, Qualität und Quantität allen Ansprüchen einer Retrospektive überaus gerecht und findet in der Fachwelt begeisterte Zustimmung.(3) In den Chor des Lobgesangs stimmen wir mit Überzeugung ein. Persönliche Eindrücke können sich jedoch nur auf bekanntlich vage und schnell verblassende Erinnerungen berufen. Innerhalb der Ausstellung ist nämlich Fotografieren verboten. Daher beschränken sich eigene Fotos auf das Umfeld der Ausstellung. Das verlinkte
Video der Ausstellung 'Alibi' im Museum Ludwig ist auf der Webseite des Museums veröffentlicht.
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Sigmar-Polke-Bild im Foyer Museum Ludwig |
Karl Otto Götz und
Gerhard Hoehme, Polkes Lehrer an der Kunstakademie Düsseldorf, zählen zu Protagonisten der im Nachkriegsdeutschland dominierenden Stilrichtung des
Informels. In Anbetracht von Kriegserfahrungen lehnt die junge Avantgarde etablierte Kunstrichtungen als verlogen, lebensfern, elitär, unpolitisch ab. Mythen vom Künstlertum und kreativen Prozessen entlarvt die Fußnote "Höhere Wesen befahlen".(4)
Sigmar Polke,
Gerhard Richter,
Konrad Lueg und
Manfred Kuttner rufen 1963 den
Kapitalistischen Realismus aus, um unter dem ironischen Titel Ausstellungen und Performances zu veranstalten. Mit Witz, Ironie und anarchischem Chaos machen sie auf die Oberflächlichkeit einer von Kommerz und Konsum getriebenen Gegenwart aufmerksam, deren Kunstbetrieb sich vermeintlich ebenso in den Dienst von Ideologien stellt wie Kunst des
Sozialistischen Realismus. Unübersehbar orientiert sich die junge deutsche Avantgarde an US-amerikanischer
Pop Art und reichert ihre Arbeiten um politische Botschaften an. Mit der neo-dadaistischen Bewegung
Fluxus wollen 'junge Wilde' verspürte Gegensätze von Kunst und Leben versöhnen, letztlich erfolglos. Als
politisch-künstlerische Auseinandersetzung junger Avantgarde mit dem
Establishment bleibt
Fluxus weitgehend unverstanden. Geschmeidiges Establishment assimiliert bald ehemalige Protagonisten der Bewegung.
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Ohne Titel (1986) im Foyer Museum Ludwig |
Auf einem Bauernhof etabliert
Sigmar Polke mit einer Künstlerclique in den 70er Jahren eine Landkommune. Angeregt von Hippy-Kultur praktiziert die Clique eine von 'Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll' bestimmte Lebensweise jenseits bürgerlicher Existenz.(5) Auf der Suche nach psychischen und kulturellen Tiefenstrukturen experimentiert
Sigmar Polke mit psychodelischen Drogen und begibt sich auf Reisen nach Afghanistan, Pakistan, Mexiko, Brasilien Australien und Papua-Neuguinea. Diese Erfahrungen prägen Polkes 'mittlere Werkperiode'. Im Unterschied zu
Martin Kippenberger(6) entkommt
Sigmar Polke dem 'live fast, die young'-Paradigma. 1978 zieht er nach Köln, wo er bis zu seinem Tod zurückgezogen lebt und arbeitet.
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'Fensterfront' (1994) im Foyer Museum Ludwig |
Sigmar Polkes
Arbeiten passen in keine Schublade. Als Persönlichkeit verbirgt sich
Polke hinter seinen Arbeiten. Er gab keine Interviews und äußerte sich
prinzipiell nicht zu seinen Werken.(7) Um seine
Öffentlichkeitsscheu ranken sich Anekdoten.(8)
Mit zunehmendem Alter verblassen Witz und politische Botschaften in
Sigmar Polkes Arbeiten. Erhalten bleibt Skepsis gegenüber vermeintlicher Evidenz von Wahrnehmung. Illusionen, optische Täuschungen, Vieldeutigkeiten, Zufälle und Unschärfen menschlicher Wahrnehmung beschäftigen
Sigmar Polke thematisch über alle Werkperioden hinweg. Unschärfen, Vieldeutigkeit und künstlerischer Pluralismus bilden inhaltlich wie formal berechenbare Konstanten seiner Werke.
In den 80er Jahren beginnt
Sigmar Polkes 'alchemistische Periode'. Materialexperimente mit seltenen und teilweise hoch giftigen Farben, lichtempfindlichen Pigmenten, ätzenden Säuren und fluroszierenden radioaktiven Stoffen verleihen seinen Arbeiten eine von Lichteinfall und Altersstruktur abhängige Materialität. Mit nicht kontrollierbarem Verlauf von Farben öffnet
Sigmar Polke auf Großformaten dem Zufall Raum. Die Abgrenzung des Frühwerks von
Informel und
abstraktem Expressionismus ist im Spätwerk aufgehoben. Ein auf der 42. Biennale Venedig 1986 ausgestellter 6-teiliger Zyklus wird mit dem Großen Preis gekrönt.(9) Im Kunstmarkt explodieren Preise für 'Polkes'.(10) Seine Abwehrhaltung gegenüber einer großen Retrospekte im
MoMA gibt
Sigmar Polke auf und stimmt 2008 dem Ritterschlag des kommerziellen Kunstmarktes zu.
Sigmar Polke ist im
Kapitalistischen Realismus angekommen und trifft auf seinen alten Kumpel
Gerhard Richter.
Anmerkungen
- (1) Weitere Spitzenplätze belegen im Kunstkompass der letzten 10 Jahre Gerhard Richter, Rosemarie Trockel, Joseph Beuys, Anselm Kiefer und Georg Baselitz. In der "ewigen Liste" verstorbener Gegenwartskünstler ist Sigmar Polke nach Joseph Beuys und vor Martin Kippenberger unter den 'Top Five' aufgeführt.
- (2) Über die Austellung berichtet der Post Bernard Schultze zum 100. Geburtstag, Ausstellung im Museum Ludwig.
Der Eintrittspreis beträgt für beide Ausstellungen inkl. ständiger Sammlung 14 €.
- (3) Exemplarische Besprechungen der Retrospektive:
- (4) Ein Artikel Kunstwerk des Monats Mai 2013 des Museums für Gegenwartkunst Siegen beleuchtet den 'Pakt mit höheren Wesen'.
- (5) Eine Ausstellungsreihe der Kunsthalle Hamburg dokumentiert 2009/10 diese Periode: Sigmar Polke. Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen
- (6) Kippenbergers Tragik vermittelt ein Post vom 26.02.2013: 'Sehr gut - very good' - "Durch das Raue zu den Sternen"
- (7) Die Webseite Kunstwerk des Monats Mai 2010 des Museums für Gegenwartkunst Siegen berichtet von einer Ausnahme. Auf der Suche nach kreativen Ideen entdeckte Polke in seinem Keller die Kartoffel als Symbol künstlerischer Kreativität: „Man sehe nur, wie sie da, im dunklen Keller liegend, ganz spontan zu
keimen beginnt und in schier unerschöpflicher Kreativität Keim um Keim
innoviert, und wie sie – ganz hinter ihrem Werk zurücktretend – bald
unter ihren Trieben verschwindet und dabei die wunderlichsten Gebilde
erschafft!" (...) „Ja, wenn es überhaupt etwas gibt, auf das all jenes zutrifft, was
immer wieder am Künstler diskutiert wird: Innovationsfreude,
Kreativität, Spontanität, Produktivität, das Schaffen ganz aus sich
heraus, usw. – dann ist das die Kartoffel."
- (8) Kasper Königs Nachruf zu Polkes Tod beleuchtet in einem Artikel der 'Welt' vom 13.06.2010 Polkes kompliziertes Verhältnis zur Außenwelt: Sigmar Polke und wie er wurde, was er war
- (9) Zu sehen sind diese Arbeiten im Museum Abteiberg, Mönchengladbach
- (10) Die 1969 in einer Auflage von 30 Stück hergestellte 'Kartoffelmaschine' erwies sich zum ursprünglichen Preis von 290 DM zunächst als 'Ladenhüter', weiß das Handesblatt zu berichten und vermeldet für 2009 einen Auktionspreis von 74.000 €: Die Kartoffel im Kunstmarkt
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