Sonntag, 13. September 2015

MMM Firmian auf Schloss Sigmundskron - Om (Neuauflage 2.07.2016)

Grundriss und Luftaufnahme Schloss Sigmundskron
Inukshuk im Hof von Schloss Sigmundskron
Reinhold Messner ist eine ebenso streitbare wie
umstrittene Person mit ausgeprägtem Drang zur Selbstinszenierung, die in den Messner Mountain Museen einen Höhepunkt findet. Wir zählen nicht zu seinen Fans und empfinden manche seiner Auftritte als peinlich, weshalb wir seine Museen bisher gemieden haben. Unser Besuch des MMM Firmian auf Schloss Sigmundskron am südlichen Rand von Bozen ergänzt das Paradox von Regel und Ausnahme um ein weiteres Beispiel.
MMM Firmian betrachtet Reinhold Messner als "Herzstück" seiner insgesamt 6 Messner Mountain Museen. Laut Webseite thematisiert das Museum "die Auseinandersetzung Mensch-Berg. (...) Die Wege, Treppen, Türme führen die Besucher aus der Tiefe der Gebirge, wo Entstehung und Ausbeutung der Berge nachvollziehbar werden, über die religiöse Bedeutung der Gipfel als Orientierungshilfe und Brücke zum Jenseits, bis zur Geschichte des Bergsteigens und zum alpinen Tourismus unserer Tage."
Spannender als das Programm scheinen uns Geologie der Region, Historie der Burganlage und das Konzept der Restaurierung zu sein. Unsere Erwartungen werden angenehm entäuscht. Wir treffen auf ein Gesamtkunstwerk mit Parallelen zu Robert Walshs faszierendem MONA auf Tasmanien (Post 1.01.2015). Besucher werden nicht 'umschleimt', sondern provoziert und angeregt. Aber im Unterschied zu Robert Walsh belehrt Reinhold Messner. Vermutlich wähnt er sich im Besitz vermeintlicher Wahrheiten und bietet als Guru oder Inukshuk Orientierung an. Seine Beteuerung, dass Informationen unwichtig seien und es ihm nur um das Erlebnis gehe, konterkariert er mit zahllosen über den Komplex verbreiteten Sinnsprüchen und kurzen apodiktischen Statements. Fotoserie 2015 - Fotoserie 2016 


Geologie der Umgebung von Schloss Sigmundskron
Schloss Sigmundskron
Schloss Sigmundskron
Schloss Sigmundskron liegt südlich von Bozen auf einem 'Porphyrfelsen' des Mitterbergs, aus dessen Material auch die Burg erbaut ist. Der etwa 14 km lange Mitterberg verläuft als flacher Bergrücken vulkanischen Ursprungs in Nord-Süd-Richtung durch das Etschtal. Der geologische Aufbau des Mitterbergs wird als Bozner Quarzporphyr vom Typ Rhyolit beschrieben. Die Geomorphologie von Rhyolit variiert je nach Zusammensetzung und Einschlüssen ihre Farbe und bildet u.a. Gesteinsformen, die nach ihrem Erscheinungsbild fachlich unscharf als  Rotliegendes oder Porphyr bezeichnet werden. Die Art und Weise, in der rhyolithisches Magma erkaltet, läßt Fließtexturen oder regelmäßige Klüftungsmuster mit sechskantigen Säulen entstehen, wie wir sie an Schloss Sigmundskron antreffen. 



Geschichte Schloss Sigmundskron
Schloss Sigmundskron
Auf Erhebungen des Mitterbergs befinden sich Reste prähistorischer Wallanlagen und mehrere Burgruinen, u.a. Schloss Sigmundskron. Archäologische Funde verweisen auf die prähistorische Besiedlung des Mitterbergs.  Bauarbeiten zur Burgrestaurierung entdeckten ein 6000-7000 Jahre altes jungsteinzeitliches Grab. Die älteste historisch belegte Erwähnung der Burg geht auf das Jahr 945 zurück. Besitzer der Burg wechselten mehrfach, bevor der Tiroler Landesfürst, Herzog Sigmund der Münzreiche, 1473 die Burg kaufte. Um die auf einem Felsen gelegene Burg ließ er eine Festungsanlage errichten, so dass die Ruine in der Gegenwart aus einer historisch älteren inneren Burg und einer äußeren Burg des 15. Jh. besteht. Auf dem höchsten Punkt des Komplexes thront die Ruine der 'Burgkapelle St. Blasius und Ulrich von Augsburg'. Sigmund der Münzreiche pflegte einen ausschweifenden und zügellosen Lebensstil mit zahlreichen Konflikten und Kriegen. Finanzielle Probleme ließen ihn Schloss Sigmundskron verpfänden. Die zunehmend verfallende Anlage wechselte erneut mehrmals den Besitzer, bis sie 1996 in das Eigentum der Südtiroler Landesverwaltung überging. Auf der Suche nach einem Nutzungskonzept erwarb nach langen, kontroversen Diskussionen Reinhold Messner 2003 eine Konzession für die Nutzung der Anlage als MMM Firmian.


Architektur der Restaurierung von Schloss Sigmundskron (2)
Oberburg Schloss Sigmundskron
Wehrgang auf der Mauer von Schloss Sigmundskron
Der in Latsch, Vinschgau, beheimatete Stararchitekt Werner Tscholl übernahm die Bauleitung, nachdem er zuvor schon Kompetenz bei der Restaurierung der Fürstenburg Burgeis bewiesen hat. Das Konzept zielt darauf ab, historische Gemäuer zu erhalten und Umbauten so vorzunehmen, dass sie wieder rückgängig gemacht werden können. Glasdächer, Treppen, Rohre, Strom- und Wasserleitungen bleiben von außen unsichtbar. Die aus Stahl, Glas und Eisen bestehende Architektur verbirgt sich nicht, aber sie lässt dem alten Mauerwerk Vortritt. Das Ergebnis fällt beindruckend aus.


Museumseindrücke im MMM Firmian - Schloss Sigmundskron (3)
Portal Schloss Sigmundskron
Die Anreise zum MMM Firmian führt über eine undurchsichtig verschlungene Route. Ein GPS ist hilfreich. Vom Parkplatz (2 €) erreichen wir auf einem kurzen Wanderweg in max. 10 Minuten die Kasse hinter dem Schlossportal. Der Eintrittpreis beträgt 10 € (8 € ermäßigt). Wir verzichten auf einen Audioguide, für den 5 € verlangt werden.











Hof, Burgmauer, Weißer Turm Schloss Sigmundskron
Unser Besuch an einem Sonntag trifft nicht auf den befürchteten Massenansturm. Obwohl es auf der Webseite bolzano.net heißt, das MMM Firmian sei ein autoritäres Museum, das vorschreibt, wie es besichtigt werden möchte, fällt uns im großen Innenhof der Anlage die Orientierung zunächst schwer. Der ausgehändigte Flyer bezeichnet 8 Stationen, von denen 6 in Türmen der Anlage liegen. Die 8 Stationen bilden Kristallisationspunkte von Themenfeldern, die Wechselwirkung aufzeigen wollen zwischen dem, 'was der Berg mit dem Menschen macht' und dem, 'was Menschen mit dem Berg machen'. Die Auseinandersetzung zwischen Mensch und Berg ist vielfältig verwoben mit religiösen Motiven und Symbolen, die Menschen an Befolgung von Geboten oder Verboten ermahnen und das menschlich nicht Erklärbare als Ausprägungen einer außermenschlichen Ordnung verständlich machen.




Buddhafigur im Innenhof
Shiva-Figur in einer Fensternische
Alter nepalesischer Lingam im Innenhof

Die 8 Stationen sind zwar durchnummeriert, aber Laufwege sind nicht vorgegeben. Die Reihenfolge des Besuchs ist offensichtlich beliebig. Das Konzept fordert Besucher zur eigenen Entdeckungsreise auf, die sich nicht auf Stationen beschränkt, sondern ein Umherstreifen im Gelände der Anlage erfordert. Die Sammlung umfasst ein buntes Sammelsurium von Objekten mit religiösen Motiven, Gemälde mit Bergmotiven, Kunstobjekten, Fossilien, Kristallen, Objekte und Dokumente aus der Geschichte des Alpinismus. Größere Objekte der Sammlung verteilen sich im Raum des gesamte Komplexes und lassen eine aus Architektur und Landschaft abgeleitete Choreografie erkennen. In Mauernischen, Fenstern und Schießscharten sind Götter oder Dämonen symbolisierende kleinere Figuren platziert. Gemälde und alpinistische Reliquien sind verdichtet ausgestellt. Ausstellungsräume sind bestimmten Themen zugeordnet. Besonders beeindrucken uns die Räume 'Tanzplatz der Götter, 'Religionsstifter und ihre Schüler' und 'König Laurins Reich'.


Sonderausstellung Gebirge im Krieg
Der weiße Turm wird für Sonderausstellungen und für die Dauerausstellung 'Los von Trient' genutzt. Schloss Sigmundskron ist ein politisches Symbol Südtiroler Autonomie. Italienische Entnationalisierungspolitik setzte nach dem 2. Weltkrieg Mussolinis Politik fort und provozierte die große Kundgebung 'Los von Trient' 1957 als Auftakt zum oft auch militanten Kampf um einen auskömmlichen Autonomiestatus, der schließlich erfolgreich durchgesetzt wurde.
Die Sonderausstellung 'Gebirge im Krieg' (15.03.2015 - 8.11.2015) thematisiert das bis heute in Südtirol heroisierte Leiden von Soldaten während des 1. Weltkrieges im dreijährigen Stellungskampf in den Dolomiten und in den Ortler-Alpen. Dass dieses Menschenschlachthaus einer wahnsinnigen Habsburger Machtpolitik erst eine weit verbreitete nationalistische Gesinnung von Südtirolern ermöglichte und viele Südtiroler willig oder sogar begeistert in den Krieg zogen, bleibt in der Ausstellung ungesagt.(4)


Weitere Stationen thematisieren Facetten von Geschichte, Helden und Tragödien des Alpinismus und Auswirkungen des Alpinismus in Europa, Asien, Südamerika. Reinhold Messners eigene Expeditonen und Leistungen bleiben selbstverständlich nicht ausgespart, aber sie stehen nicht im Vordergund. Sie sind als unverzichtbare Aspekte einer Gesamtschau ihrer Bedeutung entsprechend dargestellt.
Stationen zum Alpinismus sind für uns weniger spannend als Auseinandersetzungen mit Religionen in Ausprägungen von animistischen Naturreligionen bis zum Christenturm. Wenn die besondere Bedeutung von Bergen als 'heilige Orte' in allen Religionen herausgestellt wird, sei die Frage gestattet, ob die Bergmethaper möglicherweise nicht lediglich triviale Analogien beschreibt, ohne besondere Erklärungskraft aufzuzeigen bzw. ohne Bindeglieder zwischen Religionen zu markieren.(5)


Aufgang zur Stupa in der Oberburg
Weißer Turm, Stupa, Burgkapelle in der Oberburg
Reinhold Messner scheint jedoch anders zu denken, wenn er die Besichtigung von Resten der 'Burgkapelle St. Blasius und Ulrich von Augsburg' nicht zulässt, sondern Besuchern nur eine Umrundung gestattet, wie sie in Tibet um den Heiligen Berg Kailash prakatiziert wird. Die Umrundung (tibetisch: Kora oder Sanskrit: Parikrama) des Kailash auf einem ca. 53 km langen Weg gilt in zahlreichen Religionen als die wichtigste Pilgerreise. Nach der 13. Umrundung des Kailash erhält ein Pilger Zutritt zur inneren Kora. Buddhisten, die den Kailash 108 x  umrunden, erlangen nach buddhistischer Lehre unmittelbare Erleuchtung. Reinhold Messner schreibt keine Anzahl Museumsrunden vor, aber er wollte mit der tabuisierten Kapellenbesichtigung offensichtlich eine Kora schaffen, die schließlich doch ein wenig autoritär und mit Hilfe des Gurus zur Selbsterkenntnis von Besuchern führen soll.

Einkehr im Burgrestaurant Schloss Sigmundskron
Zum Abschluss unseres spannenden Besuchs kehren wir im empfehlenswerten Burgrestaurant ein und stellen bei unserer Nachbetrachtung offen gestanden fest, dass sich ein persönlicher spiritueller Erkenntnisgewinn bei uns nicht eingestellt hat. Ob die Aussage dauerhaft gilt, können wir bei einer vertiefenden Wiederholung unseres Besuchs im nächsten Jahr überprüfen. Das beeindruckende, mutige und beispiellose Gesamtkunstwerk des MMM Firmian Schloss Sigmundskron verdient jedoch bereits jetzt ein tiefes, lang nachklingendes Om.







Nachtrag 2016
Neu ist bei unserem Besuch ein Kino, das stündlich einen 50-minütigen Film über Reinhold Messner und seine 6 Messner Mountain Museen zeigt
Thema der aktuellen Sonderausstellung (20.03.-30.11.2016) ist die 'Eiger Diretissima 1966', die Winterbesteigung der Eiger Nordwand auf einer neuen direkten Route durch ein internationales Team. Messner nutzt die Ausstellung, um einen alten Konflikt um Toni Hiebeler aufzuwärmen, der für sich und sein Team die erste Winterbesteigung der Eiger Nordwand in Anspruch nimmt und dabei unterschlug, dass die Wand in 2 Etappen bezwungen wurde, zwischen denen mehrere Tage lagen.(6) Messner selbst ist in der Szene der Extrembergsteiger keineswegs unumstritten und reagiert dünnheutig auf Kritik.(7)


Anmerkungen

(1) Einen Einblick in das Konzept von Architektur und Museum erlaubt ein PDF-Artikel des Callwey-Verlages: Messner Mountain Museen

(2) Über den Archtiekten Werner Tscholl:
(3) Artikel zur Museumseröffnung im Jahr 2006:
(4) Artikel zum Alpenkrieg:
(5) Die Metapher vom Berg als Sitz von Göttern oder höheren Mächten ist in vielen Religionen verankert, was aber eher auf religiöse Vorstellungen einer dreigeteilten Kosmologie zurückzuführen sein dürfte, der gemäß Menschen auf der 'Mittelerde' leben, während Götter und Geister über ihnen thronen und unter ihnen der Abgrund des Bösen liegt. Wenn Menschen über Jahrtausende keine Veranlassung sahen, 'sinnlos' Gipfel zu besteigen, werden sie vermutlich nicht vor vermeintlichen Göttersitzen zurückgeschreckt sein, sondern schlicht keinen Grund für Bergbesteigungen gehabt haben, zumal sie i.d.R. mit ihrer Existenzsicherung vollständig ausgelastet waren und zweckfreie Mußezeit kaum kannten. Ausnahmen wie der Dichter und Philosoph Petrarca (1304-1377) bestätigen auch hier die Regel. Die von Petrarca 1336 in einem Brief beschriebene Besteigung des Mont Ventoux gilt als erste literarisch dokumentierte Gipfelbesteigung. Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux wird gerne als Geburtsstunde des Alpinismus ausgegeben, was jedoch Unsinn ist, weil Petrarca über lange Zeit eine Ausnahme blieb und erst die Romantik Berge als Orte der Sehnsucht entdeckte.
Dass Menschen 'sinnlos' Berge besteigen, ist eine Entwicklung der Neuzeit. Sportlicher englischer Adel betrieb im 19. Jh. Bergbesteigung als Zeitvertreib, polierte mit seinen Erfolgen persönliches Ansehen und Ansehen der eigenen Nation und bewirkte als sozialer Trendsettter die Entwicklung von Bergbesteigung als eine bis heute ungebrochene Modeerscheinung. Um Zuammenhänge dieser Entwicklungen zu verstehen, bedarf es keines Rückgriffs auf metaphysisch geprägte Erklärungsmuster. Hilfreicher ist soziologisches Denken.

(6) Der Spiegel 18/1961: Schmutziger Lorbeer

(7)  Artikel zu Konflikten mit Reinhold Messner:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen