Dienstag, 16. April 2019

Bauhaus-Museum Weimar (Update 24.04.2019)

Barcelona Chair, Mies van der Rohe Textilien im Bauhaus-Museum Weimar Möbeldesign im Bauhaus-Museum Weimar

Als bekennende Anhänger von Design-Ideen des Bauhauses nutzen wir unsere Frühjahrsreise 2019 zu einem Abstecher über Weimar mit Besuch des am 6. April 2019 eröffneten Bauhaus-Museums Weimar.(1) Aktuelle Kommentare in Printmedien fallen ausgewogen, verhalten oder auch kritisch aus. Begeisterung finden wir nicht.(2) Wir wollen uns ein eigenes Bild machen und treffen im Foyer des Museums auf viele Interessierte, von denen die meisten (wie auch wir) für den Besuch aus einiger Entfernung angereist sind. Gemeinsam formieren wir in der Mittagszeit vor der Kasse eine bei Online-Buchung vermeidbare Warteschlange.
Um Überfüllung aufgrund des großen Interesses zu vermeiden, sind Karten-Kontingente auf Zeitfenster verteilt. An der Kasse ist das heutige Besucherkontingent bis auf 35 Karten für einen Eintritt ab 16:00 Uhr erschöpft. Die Information stimmt uns nicht euphorisch, aber das Angebot ist akzeptabel. Zum Preis von 11 € p.P. erstehen wir eine Kombi-Karte, die innerhalb von 48 Stunden zum Eintritt in weitere Museen berechtigt. Da wir uns auf der Durchreise befinden, beschränken wir uns auf das Bauhaus-Museum und auf das nach Umbau und Neukonzeption am 6. April 2019 wiedereröffnete Neue Museum Weimar. Den Besuch hätten wir gerne bis 16:00 Uhr eingeschoben, aber das Neue Museum ist am heutigen Dienstag geschlossen, sodass wir ihn erst am Folgetag realisieren können.(3) - Fotoserie


Umgebung und Architektur des Bauhaus-Museums
Bauhaus-Museum Weimar Foyer Bauhaus-Museum Weimar Bauhaus-Museum Weimar

Das Gebäude des Bauhaus-Museums ist zwischen einer tiefer liegenden Grünanlage und dem Gauforum errichtet, Prestige-Architektur eines nationalsozialistischen Machtzentrums, zu dessen Errichtung Zwangsarbeiter des KZ Buchenwald eingesetzt und täglich durch die Stadt getrieben wurden. Die Gestaltung des Museum-Vorplatz präsentiert sich aktuell als Baustelle ohne Zwangsarbeiter. Außen- und Innen-Architektur des Museums ziehen viel Kritik auf sich. Als "grau, schwer, klobig" und "monolitischen Klotz" ('Welt') nehmen wir das Gebäude nicht wahr, sondern teilen eher die Sicht auf einen "strengen Kubus" in funktionalem Design, das auf "Selbstinszenierung" verzichtet ('Zeit'). Vielleicht fallen filigrane Gestaltungselemente der Außenhülle zu subtil aus, um sie sensationsverwöhnten Betrachtern sichtbar zu machen. Reklamieren ließe sich allenfalls fehlender Mut der Architektur in der Tradition des Bauhauses. Individualität von Wahrnehmung verbietet derartige Verallgemeinerungen. Positiv ist anzumerken, dass der Bau keine öffentlichen Gelder mit Gimmicks verschwendet und im budgetierten Zeit- und Kostenrahmen fertiggestellt wurde. Diese Leistung ist aller Ehren wert und müsste Verantwortliche zahlreicher ausufernder öffentlicher Bauprojekte beschämen, was selbstverständlich nicht passiert, weil Verantwortliche auf fragmentierte Verantwortungsbereiche verweisen können, die zur Tarnung von Planungsdefiziten verhelfen und verantwortlich handelnde Personen von individueller Verantwortung befreien.


Innen-Architektur
Programmatik Bauhaus-Museum Weimar Bauhaus-Museum Weimar Innenarchitektur Bauhaus-Museum Weimar

Treppe im Bauhaus-Museum WeimarPlakat im Bauhaus-Museum Weimar Besucher des Museums treten in ein großzügiges Foyer mit Panoramafenster in Richtung Parkanlage. Der Innenraum gliedert sich in 5 verschachtelte Ebenen, die schmale Treppenhäuser verbinden. Ausstellungsebenen sind bis auf wenige Lichtschlitze fensterlos und sparsam beleuchtet. Als 'Lufträume' bezeichnete offene Bereiche stellen optische Verbindungen über mehrere Ebenen her und helfen der Orientierung in einer auf uns labyrinthisch wirkenden horizontalen Gliederung der Ebenen mit Stellwänden, Vitrinen, Ausstellungstischen, Ausstellungswänden. Auf Ausstellungsebenen des Museums empfinden wir ein dunkel, intransparent, chaotisch anmutendes Raumgefühl. Offen bleibt, ob das Museumskonzept diese Eindrücke bewusst provoziert, um die Situation im historischen Weimarer Bauhaus zu kommentieren, das auf der Suche nach einer ausformulierten Programmtik eine Art kunsthandwerkliches F&E-Labor betrieb. Als Klammer diente der Begriff 'Bauhaus', der inhaltlich nicht festgelegt war und ein offenes Konzept erlaubte, unter das sich alles subsumieren ließ.


Ausstellungs-Objekte und Präsentation
Gerhard Marcks: Kachel für einen Ofen im Töpferhaus Domburg mit Porträt von Otto Lindig Porzellanentwürfe im Bauhaus-Museum Weimar Bilder von Klee, Feininger, Kandinsky im Bauhaus-Museum Weimar

Walter Gropius wurde auf Vorschlag Henry van de Veldes 1919 als dessen Nachfolger zum Direktor der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst in Weimar ernannt. Gropius gab der Schule den Namen „Staatliches Bauhaus in Weimar“. Gropius hatte kein abgeschlossenes Architekturstudium, konnte nicht zeichnen (berichtet der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger) und ließ Texte vermutlich von Frauen seiner Umgebung verfassen (Ise Gropius), von denen er mehrere hinter sich versammelte.(4) Als Visionär und Organisator des Bauhauses gewann Gropius bedeutende Künstler als Lehrer, darunter Lyonel Feininger, Johannes Itten, Gerhard Marcks, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky, László Moholy-Nagy. Die Ausstellung des Bauhaus-Museums zeigt Arbeiten dieser Künstler ohne Kommentierung in unzureichender Ausleuchtung. Am Rand der Ausstellungswand ist eine Aufstellung der Bilder angebracht, aber ohne Verweise der Zuordnung gerät diese Aufstellung für Nicht-Experten zu einem Ratespiel.

Julia Feininger: "Sieben Puppen aus "Märchen aus dem Morgenland" Frankfurter Küche, Bauhaus-Museum Weimar Karl Peter Röhl: Drei Handpuppenköpfe - Gerichtsdiener, Doktor, Tod

Das Bauhaus verstand sich als Kunstschule, die bildende, angewandte und darstellende Kunst mit Handwerk zu einer Einheit verband. Ideen zu Architekturkonzepten und industriellen Herstellungsprozessen waren im Bauhaus Weimar noch schwach ausgeprägt und wuchsen erst im Bauhaus Dessau zu der Bedeutung, die der Bauhausbewegung Weltgeltung und Feindschaften verschaffte.(5) In Weimar konzentrierten sich Arbeitsgemeinschaften zwischen Künstlern und Handwerkern auf Entwicklung einer neuen Formensprache als Gesamtkunstwerk, das Gebrauchsdesign, Textildesign, Lichtdesign, Musik, Theater, Tanz, Puppenspiel umfasste. Architektur bildete das verbindende Element. Fast ein wenig verschämt zeigt die Ausstellung ein historisches Exemplar einer Frankfurter Küche. Das Konzept des Urtyps moderner Einbauküchen fügt sich in Bauhaus-Philosphie. Die Frankfurter Küche ist jedoch keine Erfindung des Bauhauses, sondern wurde von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky entwickelt.(6) 


Unser Fazit
Alles gut? Nicht wirklich! Neben eigenen Einwänden reklamiert Niklas Maak in einem Artikel der FAZ, dass die Feier des Bauhauses als „experimentell, vielgestaltig, transnational, radikal zeitgemäß“ und „interdisziplinär“ Fragwürdigkeiten hinsichtlich der Persönlichkeiten einiger Protagonisten und der Rolle der 'Bauhausmädels' auslässt oder unterschlägt.(7) Weitere Autoren konkretisieren Vorbehalte.(8,9)

Die Steuerung des Besucherstroms mittels Zeittickets ist in Anbetracht der oft kleinteiligen Ausstellung des Weimarer Bauhaus-Museums berechtigt. Andernfalls wäre es schwierig, bemerkenswerte Exponate der Weimarer Bauhausphase aus der Nähe zu betrachten. Die Präsentation der Objekte beschränkt sich auf die visuelle Vermittlung. 'Sehen' heißt bekanntlich nicht 'Verstehen'. Wer Bedeutung und Kontext von Objekten und Künstlern verstehen möchte, erhält in der Ausstellung wenig Hilfestellung und muss sich aktiv um Verständnis bemühen, was ja durchaus Absicht sein kann. Wie hilfreich der zum Preis von 3 € auszuleihende Audioguide ist, lässt sich mangels Nutzung nicht sagen. Als persönliches Fazit vergeben wir gemäß Bewertungsschema des Guide Michelin einen Stern: einen Stopp wert! Zu zwei Sternen (einen Umweg wert!) oder drei Sternen (eine Reise wert!) sehen wir einigen Abstand. Die angelegte Messlatte bilden Museen moderner Kunst wie Bauhaus Dessau, Museion Bozen (zwei Sterne) oder das MoMA New York (drei Sterne).(10) Selbstverständlich ist diese Bewertung höchst subjektiv und frei von Ansprüchen auf Allgemeingültigkeit.


Anmerkungen
  1. Post des Weimar-Besuchs: Reise nach Weimar in Thüringen
  2. Artikel in Printmedien
    DW: Grau, quadratisch, funktional: das neue Bauhaus-Museum in Weimar
    Welt: Steckt die Seele des Bauhaus wirklich in diesem Klotz?
    Tagesspiegel: Das neue Bauhaus-Museum
    Zeit: Bauhaus: Auf Nietzsches Schultern
  3. Über den Besuch berichtet ein separater Post: Neues Museum Weimar
  4. In 1. Ehe war Walter Gropius mit Alma Schindler-Mahler-Gropius-Werfel verheiratet, mit der er zu Lebzeiten Gustav Mahlers eine Beziehung einging, durch die Gustav Mahler, selbst ein berüchtigter Frauenheld, in eine tiefe existenzielle Krise stürzte. Gropius hatte wie Gustav Mahler ein eher traditionell-patriarchalisches Verständnis von Geschlechterrollen (Walter Gropius' zwiegespaltenes Verhältnis zu Frauen).
    Alma gilt wie keine andere Frau des frühen 20. Jahrhunderts als Beispiel des dämonischen Typs der Femme fatale.
    Artikel zu Alma-Schindler-Mahler-Gropius-Werfel:
    - Thüringische Landeszeitung: Alma Mahler und Walter Gropius: Szenen einer Ehe
    - Spiegel: Genies im Ziergarten
    - Spiegel: Witwe im Wahn
    - Spiegel: Almas Endsieg über den toten Dichter
    - Spiegel: Mahlers Unvollendete - Ach, Almschi
    - Zeit: Die Witwe der vier Künste
  5. Artikel zur Bedeutung des Bauhauses:
    - Welt: Stilfrage - Bitte, was ist eigentlich Bauhaus?
    - Welt: Den weltweiten Erfolg des Bauhauses konnten die Nazis nicht verhindern
    - Albert Speer: "Modell Bauhaus" - Werkstatt der Moderne
    - Thomas Schmid: Wie eine Sekte zur Zukunftswerkstatt wurde
    - Hanno Rauterberg: "Die ganze welt ein bauhaus!"
    - Nadine Berghausen: ACHT DINGE, DIE SIE ÜBER DAS BAUHAUS WISSEN SOLLTEN
    - Sebastian Moll: In den USA lebten die Bauhaus-Ideen weiter
    Artikel zur Bauhaus-Diskussion und -Kritik:
    - Wikipedia: Bauhaus-Debatte 1953
    - mdr: Das Bauhaus uns seine politische Geschichte
    - Deutschlandfunk: 100 Jahre Bauhaus - Mythen und Realitäten einer gefeierten Institution
    - Deutschlandfunk: Bauhaus-Architektur: Utopie oder Unwirtlichkeit?
  6.  Während die Frankfurter Küche im Bauhaus Weimar eine Nische besetzt, war ihr im MoMA New York eine Sonderausstellung gewidmet: Counter Space: Design and the Modern Kitchen
  7. FAZ - Niklas Maak: Welches Bauhaus soll's denn sein?
  8. Artikel zu Kehrseiten des Erfolges:
    - Annette Seemann: Meister - Zwischen Kunst und Ego
    - Deutschlandfunk Kultur: Unbekannte Bauhaus-Wurzeln
    - Ulrich Linse: Die Mazdaznan-Pädagogik des Bauhaus-Meisters Johannes Itten (PDF)
    - Rainer Haubrich: 90 Jahre Bauhaus beeinflussen selbst Ikea
  9. Artikel zur Rolle von Frauen am Bauhaus:
    - Göttinger Tageblatt: Bilder von Frauen: Die vergessenen Künstlerinnen am Bauhaus
    - Nina Monecke: 100 Jahre Bauhaus: Und wo sind die Frauen?
    - Ulrike Müller: Die Frauen am Bauhaus
    - ttt: Frauen am Bauhaus - Die unterschätzten Meisterinnen
    - Detuschlandfunk: Frauen im Bauhaus - Verdrängte Schöpfung
    - Süddeutsche Zeitung: Bei den "Bauhausmädels"
  10. Berichte und Fotos von Besuchen dieser Museen:
    - 10.07.2017: Museion für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen
    - 17.06.2014: Fotogalerie Bauhaus Dessau
    - 07.03.2011: MoMA New York

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