Mittwoch, 17. April 2019

Neues Museum Weimar

Neues Museum Weimar Am Folgetag unseres Besuchs im Bauhaus-Museum Weimar schlendern wir durch das Neue Museum Weimar.(1) Nach einer Umbauphase eröffnete das Neue Museum Weimar zeitgleich mit dem Bauhaus-Museum Weimar am 6. April 2019 und der Dauerausstellung Van der Velde, Nietzsche und die Moderne um 1900. Eine Umkehrung der Besuchsreihenfolge wäre sinnvoll, weil das Neue Museum als Vorläufer des Bauhauses gilt(2). Die zeitliche Choreographie von Reiseplanung und Museums-Öffnungszeiten erzwingt einen anderen Ablauf.
Das Neue Museum Weimar ist in einem historischen Gebäude zu Hause. 'Neu' ist es nicht im Sinne von gegenwartsbezogener Zeitnähe. Das Attribut 'neu' bezieht sich auf das Neue Weimar, eine großherzogliche Initiative zur Zeit des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert, die eine Gegenbewegung zu konservativ-repressiver preußischer Kulturpolitik formierte und Künstler der Moderne anzog. - Fotoserie

Vorgeschichte des Neuen Museums Weimar
Neues Museum Weimar Nietzsche-Büsten in der Preller-GalerieNeues Museum Weimar, Flügel des Gauforums

Als öffentlicher Raum reicht die Geschichte des Neuen Museums Weimar zurück bis zum Jahr 1869, in dem das Landesmuseum des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach eröffnet wurde. Bei seiner Gründung war das Museum vor allem Werken des Weimarer Malers Friedrich Preller d.Ä. (1804 -1878) gewidmet, der als Hofmaler und Lehrer der Fürstlich freien Zeichenschule wirkte und am 23.03.1832 Goethe am Tag nach seinem Tod auf dem Totenbett zeichnete.(3) Die Preller-Galerie, 16 Wandgemälde mit Motiven der antiken Odyssee, ist bis in der Gegenwart erhalten.(4) Nach Prellers Tod stellte das Museum Werke von Künstlern der Weimarer Malerschule des 19. Jahrhunderts aus.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wollte Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach, dessen Persönlichkeit als 'kompliziert' beschrieben wird, das Neue Weimar errichten und berief mit diesem Ziel bedeutende Künstler und Architekten seiner Zeit nach Weimar, u.a. den belgisch-flämischen Architekten und Designer Henry van de Velde (1863 - 1957), der sich vom dominierenden Historismus abkehrte und mit Ideen der Art Nouveau maßgeblichen Einfluss auf Entwicklungen angewandter Kunst nahm. Van de Velde hatte sich zuvor einen Namen als Berater von Karl Ernst Osthaus gemacht, der mit dem Folkwang Museum Hagen das weltweit erste Museum für zeitgenössische Kunst stiftete.(5,6)

Großherzog Wilhelm Ernst ernannte van de Velde zu seinem Berater, berief ihn zum Leiter der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule Weimar und beauftragte ihn mit Verbesserungen der Produktkultur von Kunsthandwerksbetrieben und Industrien im Land. Van de Velde war Mitglied des 1903 gegründeten Deutschen Künstlerbundes sowie des 1907 gegründeten Deutschen Werkbundes und arbeitete als Architekt für private Auftraggeber. Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges wurde die Kunstgewerbeschule 1915 geschlossen. Van de Velde lebte ab 1917 abwechselnd in der Schweiz und in Belgien. Die Kunstgewerbeschule Weimar gilt als Keimzelle des 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründeten Bauhauses.

Zur DDR-Zeit wurde das Gebäude ausgeschlachtet und verfiel zur Ruine. Im Zeitraum 1996 -1998 erfolgte ein Wiederaufbau mit Nutzungen für Sonderausstellungen.


Das Neue Museum Weimar in der Gegenwart
Wolf Betram Becker (*1964): Landesmuseum, Neues Museum WeimarThomas Schütte, Großer Geist Der Besuch der Dauerausstellung mit dem Titel "Van de Velde, Nietzsche und die Moderne um 1900" wirft die Frage auf, wie Friedrich Nietzsche in diesen Kontext einzuordnen ist. Der früh an Demenz erkrankte und durch mehrere Schlaganfälle gelähmte Philosoph und Dichter verbrachte die letzten Jahre seinen Lebens bis zu seinem Tod im Jahr 1900 in Weimar in der Betreuung seiner rassistisch und später nationalsozialistisch gesinnten Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, die den Nietzsche-Nachlass verwaltete und verfälschte, womit sie zur zweifelhaften Rezeption Nietzsches als Nazi-Philosoph maßgeblich beitrug.(7) Dieser Sachverhalt ist erwähnenswert, er erklärt aber nicht Nietzsches Rolle im Neuen Museum. Zusammenhänge zeigt Thomas E. Schmidt in einem Artikel der 'Zeit' auf.(8) Ohne sich inhaltlich festzulegen, verurteilte Nietzsche den Historismus als "Tumult aller Stile" und bereitete den Weg zu van de Veldes Forderung eines von Ornamenten befreiten "Styl ohne Lügen", der schließlich im Bauhaus eine neue Formensprache fand.(9)
Tatsächlich relativ neu sind Thomas Schüttes goldglänzende Bronzeskulptur 'Großer Geist' (1998), die Besucher des Museums an der Freitreppe mit einer ausholenden Armbewegung empfängt sowie im Erdgeschoss ein Bild des Weimarer Malers Wolf Betram Becker.


Sammlung Neues Museum Weimar
Christian Rolfs (1849 - 1938): Steilhang bei Buchfart im März Moriz Melzer (1877 - 1966): Der alter Weimarer BahnhofWeimarer Malschuke, Neues Museum Weimar


Die Dauerausstellung von Tafelbildern zeigt internationale Werke des Realismus, Impressionismus, Jugendstils und Expressionismus mit Arbeiten von Claude Monet, Théo van Rysselberghe, Lovis Corinth, Max Liebermann, Max Beckmann sowie Werke aus der Weimarer Malerschule u.a. von Moriz Melzer, Hans Olde, Christian Rohlfs, Paul Wilhelm Tübbecke.

Möbel nach Entwürfen von Henry van de Velde Möbel nach Entwürfen von Henry van de VeldeGedeckter Esstisch mit Stühlen von Henry van de Velde, um 1900

Design-Exponate präsentieren Objekte eines neuen Lebensstils, die Henry van de Velde nicht gemäß Bauhaus-Ideen an ein breites Publikum adressierte, sondern für eine elitäre Kundschaft konzipierte. Daneben sind Produkte von Architekten und Kunsthandwerkern ausgestellt, die ähnliche Ideen wie van de Velde vertraten: Richard Riemerschmid, Charles Rennie Macintosh, Josef Hoffmann, Stuhlfabrikanten-Familie Thonet.

Papier-Schneidemaschine der Buchbinder-Werkstatt von Otto Dorfner, Neues Museum Weimar Blumenstrauß am Neuen Museum WeimarBuchbinder-Werkstatt von Otto Dorfner, Neues Museum Weimar

Ecken des Gebäudes sind von Rotunden eingefasst, in denen kurze Clips die komplexe Geschichte der Protagonisten des Museums und ihrer Objekte für Laien verständlich medial vermitteln. Das Tiefgeschoss des Museum zeigt historische Maschinen der Buchbinderei-Werkstatt Otto Dorfners, der als Lehrer an der Großherzogliche Kunstgewerbeschule in Weimar wirkte und zahlreiche Einbände von Meistern der Moderne bearbeitete.(10) Ebenfalls im Tiefgeschoss ermutigt eine Mitmachstation zur Überwindung musealer Schranken.
Beim Verlassen des Museums durch einen Nebenausgang weckt ein wie zufällig abgestellter Tulpenstrauß unsere Aufmerksamkeit. Vielleicht eine Verweis auf Vergänglichkeit jedes Lebensstils und zugleich eine Hommage an natürliche Ästhetik?


Unser Fazit
Für Besucher des Bauhaus-Museums Weimar ist das Neue Museum ein 'must do'. Auch ohne Bauhaus-Interesse präsentiert das Neue Museum eine kulturhistorisch hochinteressante Darstellung des Übergangs vom Historismus zur Moderne an der Grenze zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert. Interessierte Besuchern ohne kunsthistorische Expertise profitieren von einer nachvollziehbaren Vermittlung der Sammlung und ihrer Themen.


Anmerkungen
  1. Post zum Besuch des Bauhaus-Museums am 16.04.2019: Bauhaus-Museum Weimar
  2. MDR Kultur: Das Neue Museum Weimar zeigt die Wegbereiter des Bauhauses
  3. Friedrich Preller: Goethe auf dem Totenbett
  4. Odyssee-Landschaften von Friedrich Preller d.Ä.
  5. Nach Karl Ernst Osthaus Tod im Jahr 1921 verkauften seine Erben Sammlung und Namensrechte an die Stadt Essen, die 1922 das Museum Folkwang gründete.
  6. Eindrücke vom Osthaus-Museum der Gegenwart im Kunstquartier Hagen zeigt ein Post vom 22.04.2014.
  7. Wikipedia: Nietzsche-Rezeption
  8. Thomas E. Schmidt: Bauhaus: Auf Nietzsches Schultern
  9. Thüringische Landeszeitung: Ein Bauhaus-Mythos wird erschüttert
  10. Thüringer Allgemeine: Erbe von Otto Dorfner wird im Neuen Museum Weimar präsentiert

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