Ein Michelin-Stern, 16 Punkte im Gault Millau, aktuell Rang 138 Deutschland und Platz 4 in Mecklenburg-Vorpommern lt. Restaurant-Ranglisten sind bei moderater Preisgestaltung genug Gründe für einen Besuch des Restaurants Freustil in Binz, Rügen. Da Binz auf der Route unseres Greifswald-Ausflugs liegt (Post: 8. September 2019), reservieren wir frühzeitig für den 8. September 2019. Das Restaurant ist am Abend unseres Besuchs ausgebucht, was für das Restaurant spricht und positive Erwartungen verstärkt. Nach 2,5-stündigem Dinner sind wir um Erfahrungen bereichert. Einrichtungsstil und Konzept des Restaurants gefallen uns ebenso wie der aufmerksam, freundlich und kompetent agierende Service. Der Küchenstil der hoch gelobten Küche vermag uns nicht zu begeistern. - Fotoserie: Freustil
Der erste Eindruck gerät positiv. Wir werden ohne devote Gesten freundlich empfangen, zum Tisch in dem eher 'casual' ausgerichteten Restaurant geleitet und erhalten sogleich Menüliste und Weinkarte. Da wir nach dem Dinner mit dem Auto bis Groß Zicker auf der Halbinsel Mönchgut fahren, beschäftigen wir uns nicht ausführlicher mit der Weinkarte und bestellen lediglich 2 Gläser aus der ausreichend bestückten Übersicht offener Weißweine (ca. 4,50 - 5,00 € für 0,1 l).
Rasch wird auch das obligatorische Matrosenbrot serviert, ein von der Rügener Bäckerei Peters
produzierter kleiner Laib Weizenbrot. Gefällige Optik und knusprige
Kruste des Brots finden mit nichtssagender Krume keine Fortsetzung.
Die Abendkarte bietet ausschließlich ein Menü mit 8 kleinen Gängen zzgl. Gruß aus der Küche. Obligatorisch ist eine Auswahl von 6 Gängen zum sympathischen Preis von 66 €. 2 weitere Gänge werden mit je 11 € berechnet. Für vegetarisch ausgerichtete Gäste sind Alternativen zu Fleischgängen vorgesehen. Wir entscheiden uns für 6 Gänge inkl. Fleisch und erreichen Grenzen unserer Kapazität.
Der Gruß aus der Küche ist als Tischgebeete! bezeichnet und setzt sich aus Komponenten zusammen, die mit professionellen küchentechnischen Mehoden aus Roten Beeten aufbereitet wurden und auf einer schlicht gegarten Scheibe Rote Beete angerichtet sind. Als Auftakt schärft das originelle Gericht die Sinne für geschmackliche Nuancen und weckt Vorfreude auf nachfolgende Gänge.
Den aus mehreren Produkten stimmig komponierten Sommersalat begleitet ein warm angerichtetes pochiertes und anschließend kurz gebackenes Hühnerei, dessen Eigelb sich nach dem Öffnen des Eis mit dem Salat vermengt und die knackigen Salate mit einer cremigen Konsistenz ergänzt. Die kreative Idee und ihre Umsetzung fallen absolut überzeugend aus.
Spaß bereitet auch der intensiv 'pilzige' Gang Jakobsmuschel, Pilzbouillion, Pilzstrudel. Die Pilz-Bouillion wird warm in einem Metall-Kännchen serviert und kann nach individuellem Belieben dem Pilzstrudel und/oder dem Pilzgemüse hinzugefügt werden. Die Jakobsmuschel muss sich mit der Rolle eines Nebendarstellers begnügen. Ihr zarter nussiger Geschmack wird von intensiven Pilzaromen überdeckt. Da das Muschelfleisch nur als dünne Scheibe angerichtet ist, geht zudem die fleischige Textur der Muschel verloren. Schade!
Möglicherweise verstehen wir das Gericht Linda (Kartoffel), Poseritzer Quark, Auberginen, frittierte Salbeiblätter nicht. Jede Komponente ist für sich tadellos, aber wir nehmen unterschiedliche Aromen und Texturen isoliert war, vermissen Orchestrierung und empfinden Beliebigkeit.
Geschmacklich besser gefällt uns das Gericht Färoer Lachs auf Spitzkohl in Buttermilch-Dressing. Nichts abgewinnen können wir der Art der Servierung in einer halbierten Glasflasche, die als lustiger Gag gemeint sein mag, aber als störend-lästiger Gimmick auffällt. Stupid!
Der Fleischgang Broiler (Geflügelbrust) orientalisch, Couscous, Safran-Orangensauce, Ratatouille mit Kichererbsen gilt nach den vorausgegangenen gleichwertigen Gängen als Hauptgang. Orientalische Würzungen mit Kardamom, Kreuzkümmel, Zitronengras, Erdnussbutter, Kokosmilch etc. haben viele Liebhaber, zu denen wir nicht gehören. Über individuelle Vorlieben und Abneigungen, die sich objektivierbaren Wertungen entziehen, lässt sich schlecht streiten. Wenn jedoch die Hauptkomponenten eines Gerichtes zu Trägern dominanter Würzmittel degradiert sind und nur noch ihre Farben und Texturen beitragen, melden wir Zweifel an der Berechtigung dieser Komposition. Das Gericht hätten wir ausgetauscht, wenn wir bei der Bestellung über mehr Informationen verfügt hätten.
Als süßer Abschluss wird Mousse mit Sanddorn und weißer Schokolade im Hafer-Sandkasten serviert. Auch bei diesem Gang hemmen persönliche Vorlieben eine höhere Bewertung. Wir sind keine Süßspeisen-Fans. Fruchtnoten machen die Sanddorn-Mousse erträglich. Die charakterschwache Schokoladen-Mousse ist weich, süß und verzichtbar. Haferkrümel empfinden wir als optischen Gag mit eher negativem sensorischen Beitrag.
Fazit unseres Besuchs vom 8. September 2019
Die Küche versteht ihr Handwerk und der Service agiert auf erfreulichem Niveau. Die sympathische Preisgestaltung der in Tapas-Größe servierten Portionen stellt sicherlich Herausforderungen an die wirtschaftliche Kalkulation des Betriebes und verlangt selbstverständliche Kompromisse bei der Auswahl von Produkten, deren Qualität sich ohne Ausnahme als untadelig erweist.
Um sich vom Mainstream zeitgemäßer Küchenkulturen abzuheben, bedarf es keiner exklusiven Luxusprodukte als Zutaten. Eine Reihe hoch dekorierter Nova Regio Küchen demonstriert, wie sich regionale saisonale Produkte dank mutiger Visionen und überragender Fähigkeiten einer Küchenmannschaft kreativ zu sensationellen Geschmackserlebnissen veredeln lassen. Diese Skills beruhen nicht auf Zufall oder Geistesblitzen. Sie sind Ergebnisse langjähriger Entwicklungsarbeit. Teller-Gags und übertriebener Gewürzeinsatz sind nicht zielführend. Sie kaschieren Schwächen. Allein die Kombination von Produkt und Können zählt. Die Küche des Freustil zeigt Potenzial. Wenn dieses weiterentwickelt wird, kehren wir zurück.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen