Rudi Gutendorf 1963 |
Schwelgernstadion, Duisburg-Marxloh |
August-Thyssen-Stadion, Duisburg-Bruckhausen |
Lokalderby MSV-Hamborn 07, 5. Mai 1963 |
In den 1950er-Jahren war Duisburg mit mehreren Vereinen in der damaligen Oberliga West eine Macht. Die stärksten Duisburger Vereine waren der DSV und der TuS Duisburg 48/99 (die 1964 zur Eintracht Duisburg fusionierten, um gemeinsam zur Bundesliga aufzusteigen, was nicht gelang) sowie Hamborn 07 und MSV Duisburg. Als 1962/63 die Gründung der Fußball-Bundesliga anstand, fieberte ich mit Hamborn 07 und verpasste möglichst kein Spiel gegen Schalke 04, Borussia Dortmund, Fortuna Düsseldorf, Rot Weiß Essen, Schwarz Weiß Essen, Rot Weiß Oberhausen, Alemannia Aachen etc.. Etliche Namen damaliger Protagonisten sind mir noch heute präsent. Heimstadion von Hamborn 07 war das August-Thyssen-Stadion. Spitzenspiele fanden im Schwelgernstadion statt, das mehr Zuschauer erlaubte. Eintrittskarten zu Heimspielen von Hamborn 07 konnte ich mir als Schüler nie leisten. Bis zur Halbzeitpause wartete ich in einer kleinen Gruppe Schüler, bis uns Ordner zur 2. Halbzeit kostenlos durchwinkten.
Ein Punktesystem regelte die Aufnahme in die Bundesliga. Hamborn 07 unterlag knapp zugunsten des MSV.(2) Nachdem sich Hamborn 07 nicht für die Bundesliga qualifizieren konnte, kauften Bundesliga-Vereinen die besten Spieler. Mit dem Ausverkauf versank Hamborn 07 in Bedeutungslosigkeit. Am Ausverkauf war auch der MSV beteiligt, was ich dem Verein lange nachgetragen habe. Ich hatte noch nicht gelernt, dass Geld immer zieht, zu jeder Zeit. Damals war ich extrem enttäuscht und empfand die Welt als ungerecht. Meine Enttäuschung ist gewichen. Ungerechtigkeiten der Welt bleiben erhalten.
HSV-MSV, Volksparkstadion 1964 |
MSV-Eintracht Frankfurt, Wedaustadion 1963 |
Helmut Rahn und Charly Dörfel 1964 |
Manni Manglitz 1963 |
Für Sportübertragungen im Fernsehen musste ich bis Mitte 1966 bei Schulfreunden, bei der Verwandtschaft oder in der Nachbarschaft 'Klinken putzen', was ich damals verfluchte. Die familiäre Distanz zum Medium 'Fernsehen' werte ich heute positiv. Ab Mitte 1966 versammelte sich auch unsere Familie zum gemeinsamen Fernsehabend. Anlass der Anschaffung eines Fernsehgerätes war die Fußball-WM in England (Deutschland unterlag im Endspiel gegen England durch das umstrittene Wembley-Tor). Gesendet wurde zu dieser Zeit schwarz-weiß. Mit Röhren, Trioden, Kondensatoren, Transformatoren, Gleichrichtern etc. bestückte Schwarz-Weiß-Geräte waren klobig, schwer, teuer und reparaturanfällig.(8) Unser Gerät der Marke Telefunken zeigte regelmäßig Störungen. Fernsehtechniker kamen ins Haus und tauschten verlötete Komponenten vor Ort aus. Die Herrlichkeit behäbiger deutscher Traditionsunternehmen der Unterhaltungselektronik endete, als innovative Unternehmen aus Japan und Korea den Markt mit deutlich leistungsfähigeren und preisgünstigeren Geräten dank Transistorentechnik eroberten. Konsumenten betrachteten mit hoch verdichteten Platinen ausgestattete Fernsehgeräte zunächst skeptisch, weil Reparaturen nur noch in Werkstätten möglich waren und Reparaturkosten stiegen. Da jedoch Gerätepreise fielen und Störungen drastisch abnahmen, setzte sich die neue Technik-Generation bald durch.
Seitdem öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehmedien ihren Bildungsauftrag zugunsten von 'Quoten' und Werbeeinnahmen zunehmend vernachlässigen, ließ eigenes Interesse an diesen Medien immer mehr nach. Im Rahmen der letzten größeren häuslichen Renovierungsaktion haben wir eigene Fernsehgeräte im März 2015 endgültig entsorgt und auf diesem Wege Zeit für uns selbst und für eigenen Sport gewonnen. Zur Zahlung des Rundfunkbeitrags (aktuell 210 €/Jahr) sind wir trotzdem verpflichtet. Das ist ärgerlich, aber zu akzeptieren. Rechtsstaatlichkeit und persönliche Befindlichkeiten sind unterschiedliche Paar Schuhe.
In Anfangsjahren der Bundesliga waren Lizenzspieler keine Goldkettchen tragende und Ferraris fahrende Millionäre mit Managern, Starallüren und Superman-Egos, sondern talentierte Halb-Profis mit Halbtags-Jobs und wurden zur 'ehrlich' arbeitenden Bevölkerung gezählt. Anton (Toni) Burghardt, Lizenzspieler des MSV 1968-1971 (NRZ: Der flinke Toni bleibt beweglich), war während meiner Schulzeit im Meidericher Theodor-Heuß-Gymnasium (aktuell GSM Duisburg-Meiderich) zeitweilig Sportlehrer meines Jahrgangs. In seinen Sportstunden spielten wir selbstverständlich meistens Fußball. Das Handicap meiner lahmen Grundschnelligkeit motivierte mich oft zur allgemein eher ungeliebten Rolle eines mutigen Torwarts mit Manni Manglitz als Vorbild, solange dieser noch nicht im Bundesligskandal 1970/71 verstrickt war.(9,10) Toni verteilte in Sportstunden regelmäßig Freitickets für Heimspiele des MSV im Wedaustadion. Als Torwartheld konnte ich meistens ein Ticket ergattern und erlebte so die damalige deutsche Fußball-Elite über die gesamte Spielzeit kostenlos, musste aber dafür 32 km auf dem Rad abstrampeln, was ich gerne in Kauf nahm. Als Anhänger von Hamborn 07 hat mich Zuschauer-Begeisterung für den MSV nicht wirklich mitgerissen. Stolz war auch ich auf die Jungs des MSV und konnte deren Nahmen vorwärts und rückwärts ohne Überlegung herunterbeten. Fangesänge habe ich nie mitgesungen.
Fußballstadien glichen zu Beginn der Fußball-Bundesliga noch keinen Zirkusarenen für Gladiatorenkämpfe. Spielfelder waren nicht eingezäunt. Komfortable Tribünen und Flutlicht gab es nur bei großen Traditionsvereinen. Nach Spielende strömten viele Zuschauer auf das Spielfeld, um ihre Helden zu feiern oder um vermeintliche Versager und üble Foul-Spieler zu beschimpfen. Ehrenamtliche Ordner, zu erkennen an Armbinden mit dem Aufdruck Ordner, brachten während des Spiels sich nicht gebührend benehmende Zuschauer zur Ruhe oder führten sie notfalls aus dem Stadion. Polizei war nur für die Regelung von Verkehrsaufkommen zuständig. Mit zunehmender 'Professionalisierung' des Fußballs stiegen nicht nur Ticketpreise für Bundesligaspiele drastisch. Während Sportstadien zu 'Arenen' mit Großtribünen und eingezäunten Spielfeldern um- und ausgebaut wurden, nahmen Fanatisierung, Verrohung, Hass und Randale unter Zuschauern zu, worauf Betreiber von Arenen mit Aufrüstung antworteten. Ordner erhielten Uniformen und wurden mit Hundestaffeln verstärkt. Zusätzlich wurden verschärfte Einlasskontrollen, Videoüberwachung und feste Zuschauerblöcke eingeführt. Diese Maßnahmen konnten die Eskalation von Krawallbereitschaft nicht aufhalten, sondern bestenfalls kontrollieren. Beim im Vorfeld als 'Hochrisiko-Derby' deklarierten Spiel 1. FC Köln - Borussia Mönchengladbach waren am 14.09.2019 laut Medienberichten 2.000 Polizisten im Einsatz, ohne dass Ausschreitungen und Verletzungen von Zuschauern vollständig verhindert werden konnten (Meldungen WAZ). Wenn sich Fanblöcke prügeln wollen, sollen sie es tun. Einwände habe ich jedoch dann, wenn 'Spiel' zum 'Krieg' wird, wenn Nazi-Parolen verbreitet werden, rassistische Hetze stattfindet, Unbeteiligte Verletzungen erleiden, Eigentum Dritter und kollektive Güter beschädigt werden und Folgekosten von Vandalismus die Allgemeinheit zu Lasten des Gemeinwohls übernehmen muss.
Dass derartige Entwicklungen in einer auf Erfolg und Profit programmierten Welt „normal" sind, habe ich lange nicht verstanden. Heute verstehe ich diese Zusammenhänge, ohne Profitgier und mit ihr einhergehende Skrupellosigkeiten zu akzeptieren. Internationale Politik verhilft dank ebenso skurriler wie toxisch wirksamer Polit-Clowns (u.a. Donald Trump, Boris Johnson, Wladimir Putin, Recep Erdoğan, Matteo Salvini, Beppo Grillo, Silvio Berlusconi, ...) zu Einsichten, indem diese Clowns uns nicht erheitern, sondern Zweifel säen, Hoffnungen löschen, zur Verzweiflung treiben, Chaos und Zerstörung stiften. Politik geschieht ohne Rücksicht auf eigene Haltungen. Individuell haben wir auf diese Politik keinen oder nur marginalen Einfluss. Diesen 'Zirkus' zu verlassen, ist kaum oder nur unter nicht akzeptablen Bedingungen möglich. Aber wir müssen diese Politik ebensowenig feiern, wie wir nicht gezwungen sind, Social Media zu nutzen, die neben Browsern und Instrumenten des 'Smart Living' zu Türöffnern für Algorithmen technologischer Monster gehören - mit Wissen, Billigung, Förderung und auch im Auftrag politischer Institutionen und ihrer Verantwortlichen.
In welchem Umfang wir politischen Institutionen und ihren Vertretern vertrauen, liegt ebenso in der eigenen Verantwortung wie die Nutzung enthemmter digitaler technologischer Monster, die unser Verhalten kontrollieren und manipulieren. Bemerkenswerterweise erodiert Vertrauen in Regierungen (wie zunehmender Rechtsradikalismus verdeutlicht), während Menschen sich zugleich freiwillig und in zunehmendem Umfang in Abhängigkeiten 'smarter Assistenten' begegeben, die alle Lebensbereiche durchdringen und reales (analoges) Leben in virtuelle Spielarten eines 'Smart Living' transformieren. Anonyme digitale Kontrolle und Steuerung menschlichen Verhaltens operiert offensichtlich deutlich effizienter und erfolgreicher als interpersonelle Kommunikation.
Ist diese Entwicklung alternativlos? Keineswegs! Das Internet ist inzwischen nicht verzichtbar, aber wir müssen nicht permanent online und dürfen nicht naiv sein. Enthaltsamkeit, Vorsicht, Datenvermeidung und Datensparsamkeit verhindern Missbrauch nicht absolut, aber sie verhelfen zu signifikantem Schutz vor digitalen Manipulationsinstrumenten.
Über mehrere Jahrzehnte faszinierten und begeisterten mich Sportveranstaltungen. In Summe verbrachte ich Jahre meines Lebens mit der Betrachtung von Sportarten, die andere Menschen ausübten. Seit einigen Jahren interessieren mich Profisport im Allgemeinen und Bundesliga-Fußball im Besonderen nicht mehr. Im Gegenteil verachte ich diesen Zweig des Sports. Fußball-Bundesligaspiele und -Länderspiele schaue ich wie alle anderen Profisport-Veranstaltungen weder live noch mit Hilfe von Medien. Wie 'schmutzig' Profisport tatsächlich ist, lassen nicht abreißende Meldungen zu Doping-Vergehen und sonstige Manipulationen aktiver Sportler nur ahnen. Vermutlich sehen wir weniger als die Spitze eines Eisberges, wenn wir wahrnehmen, was dummerweise an die Öffentlichkeit geriet. Noch undurchsichtiger sind Machenschaften korrupter Sportfunktionäre, über die wahrscheinlich noch deutlich weniger an die Öffentlichkeit dringt. Warum auch sollte Profisport sauberer sein als schmutzige große Politik, Finanzwirtschaft, Automobil-, Pharma- oder Rüstungsindustrie?(11)
Sport ist nicht gleich Sport. Ein breiter Sportbegriff bezeichnet auch solche spielerische Formen des Wettkampfs als 'Sport', die ohne besondere körperliche Aktivitäten ausgeübt werden.(12) Der Frage, ob Sport ohne körperliche Aktivitäten zu Recht als Sport gelten kann, wird hier nicht nachgegangen. Aber auch dann, wenn Sport als spielerischer Wettkampf mit körperlicher Aktivität definiert wird, sollten wir gedanklich und argumentativ trennen zwischen Sport, der unserer Gesundheit und unserem persönlichen Wohlbefinden dient, Risikosport mit hohen Gesundheits- oder sogar Lebensrisiken sowie Sport als Business. Für Fehlentwicklungen kann niemand Sport verantwortlich machen. Sport ist unschuldig. Was wir mit oder aus Sport machen, liegt in eigener Verantwortung. Wenn Sport mit 'Geschäft' vermengt wird oder für Ego-Trips genutzt wird, gerät er zu Recht in verrufene dubiose Sphären. Für Sport als Gelderwerb bzw. als Wirtschaftszweig oder als 'Nervenkitzel' haben wir keinen persönlichen Bedarf. Nachhaltig wirksamen individuellen Nutzen entfaltet ohnehin nur der Sport, den man selbst betreibt und der die Gesundheit nicht schädigt, sondern stärkt. Darum wäre es dumm, auf regelmäßigen eigenen Sport zu verzichten, der zuverlässig persönliche Benefits für Gesundheit, Fitness, Wohlbefinden, Lebensqualität spendet.
Anmerkungen
- Wikipedia: Rudi Gutendorf
- Nachrufe: Zebras trauern um Rudi Gutendorf - FAZ - Süddeutsche Zeitung - Spiegel - Welt
- Rheinische Post: Oberliga-Lokalderby MSV - Hamborn 07 am 5. Mai 1963
- Der MSV lag mit 60 erzielten Toren auf Platz 6 der Trefferliste, ließ aber mit 36 Toren die wenigsten Gegentreffer zu.
- Deutschlandfunk: MSV Duisburg: Die Sensation der Bundesliga-Premiere
- Wikipedia-Artikel zum Dokumentarfilm der Vizemeisterscheift in der 1. Bundesligasaison 1963/64: Meidericher Vizemeister - Von Anfang bis Westende!
- Tagesspiegel: Erinnerungen an Muhammed Ali - NZZ: Die Boxlegende Muhammed Ali gibt bis heute Rätsel auf
- Der Start des Farbfernsehens setzte in Deutschland am 25. August 1967 ein. In den Anfangsjahren wurden nur wenige Sendungen farbig übertragen und die Technik zog nur langsam in deutsche Haushalte ein, was insbesondere auch am Preis der Geräte von 2.400 DM lag. Der billigste VW Käfer wurde für 4.525 DM angeboten.
- Harte Gerichtsurteile zu nachgewiesenen Manipulationen erwiesen sich bald als 'Show'. Protagonisten der Manipulation wurden nach kurzen 'Scham-Pausen' begnadigt und waren bald wieder spielberechtigt.
- DFB zum 75. Geburtstag von Manfred Manglitz am 28.03.2015: Manfred Manglitz wird 75
- Wer diese Anmerkungen als unglaubwürdig oder als überzogene Panikreaktion betrachtet, dem sei als Lektüre Edward Snowdens Autobiografie Permanent Record empfohlen. - Buchbesprechungen:
- Zeit: Weil die wissen, was sie tun
- Der Tagesspiegel: US-Regierung wirbt unfreiwillig für Snowden
- Deutschlandfunk: Psychogramm der Geheimdienste
- Deutsche Welle: Snowden und das "Paradebeispiel" Deutschland
- SWR2: Deine Spuren bleiben im Netz
- Eine historischer Betrachtung von Sport öffnet weitere Dimensionen, die dieser Post nicht betrachtet. Wikipedia: Sport, Geschichte des Sports
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen