Hauptdarsteller im Badehaus |
Hauptdarsteller mit Nichte im Park |
Du kannst den Wind nicht einladen, aber du kannst das Fenster offen lassen (chinesisches Sprichwort).
Vor 12 Jahren waren waren wir zuletzt im Kino, um die Filme Faust von Alexander Sokurow und The Tree of Life von Terrence Malick zu sehen. Beide Filme sind große Meisterwerke und kommerzielle Misserfolge. The Tree of Life hat uns länger beschäftigt. Der Film hat einen Post inspiriert und Besuche von Drehorten auf USA-Reisen angeregt.(1,2) Nach den beiden Filmbesuchen hat uns seit 2011 kein neuer Film interessiert, aber das Fenster blieb offen.
Mehr als 12 Jahre sind vergangen, bis wir am 26.12.2023 wieder ein Kino besuchen, um den Film Perfect Days von Wim Wenders zu sehen, erneut ein Meisterwerk, das diesen Post rechtfertigt.(3)
Die Uraufführung fand im Mai 2023 bei den Internationalen Fimfestspielen von Cannes statt. Im Hauptwettbewerb um die Goldene Palme setzte die Jury den Film auf einen 4. Platz. Kōji Yakusho, Hauptdarsteller des Films, wurde als bester Schauspieler ausgezeichnet. In deutschen Kinos ist der Film am 21.12.2023 in Programmkinos angelaufen und findet sicherlich kein Massenpublikum, obwohl der Film in der Shortlist der diesjährigen Oscar-Verleihung nominiert ist. Zu unserer Überraschung waren bei unserem Besuch am 26.12.2023 immerhin ca.
50 % der Plätze besetzt.
Die zutiefst als japanisch zu verstehende Story des Films ist schnell erzählt. Über 2 Stunden begleitet der Film in sich
wiederholenden und nur wenig variierenden Sequenzen einen
Toilettenreiniger bei seiner Arbeit in Toilettentempeln der Stadt Tokio sowie bei Aktivitäten in der Freizeit. Job und Freizeitaktivitäten charakterisieren den Hauptdarsteller als einen gebildeten sozialen Außenseiter, der mit sich und seinem Leben im Reinen ist. Während es bei uns in der sozialen Hierarchie unterhalb
dieses Jobs nur noch wenig tiefer geht, wird die Arbeit von Toilettenreinigern in Japan deutlich
anders gesehen, berichtet die angefügte Besprechung des Magazins KulturPort. Wie es einem Menschen gelingt, mit Respekt und Bescheidenheit ein Leben mit sich im Reinen zu führen, vermittelt in japanischer Kultur das für europäische Denkweise fremdartige Konzept von Ikigai.
Im Film auftretende Protagonisten sind offenbar von schwierigen Lebenserfahrungen und Geheimnissen geprägt, die der Film zwar andeutet, aber nie preisgibt. Vor dem
Hintergrund des eigenen Lebens werden Story und Hauptfiguren des Films für uns nachvollziehbar und menschlich verständlich. Mit von Wim Wenders glücklicherweise nur spärlich eingestreuten
und zur Story substanziell nichts beitragende Manierismen können wir uns weniger
anfreunden. Das betrifft vor allem Szenen mit einem aufgedreht und
arbeitsscheu agierenden Toiletten-Reinigungskollegen sowie Auftritte eines von ihm
verehrten schrillen Mädels.
Den Film begleitet Pop-Musik der eigenen Jugendzeit der 1960er und 1970er Jahre. Angelehnt ist der Name des Films am Song Perfect Day von Lou Reed aus 1972. Wichtigster Song des Films ist jedoch aus unserer Sicht eher die US-Folk-Ballade The House of the Rising Sun über soziale Randfiguren. Der Song ist in der Eingangssequenz des Films in einer Version von Eric Burdon mit den Animals aus dem Jahr 1964 zu hören und wird später von Sayuri Ishikawa, eine der berühmtesten japanischen Schlagersängerinnen, in einer Nebenrolle als Bardame noch einmal hinreißend mit Gitarrenbegleitung dargeboten.
In etwas mehr als 2 Stunden entfaltet sich der Film minimalistisch, poetisch, subtil, fast schon philosophisch und bürstet gewöhnliche
Kino-Sehgewohnheiten gegen den Strich, was uns als bekennende
Geisterfahrer gefällt und bestätigt. Wir werten den Film als ein mit großer Bescheidenheit erzähltes Meisterwerk über die
Story eines sich selbst genügenden Lebens und das japanische Prinzip des Ikigai.
Anmerkungen
- Post: "The Tree of Life" - Verstörendes Meisterwerk von Terrence Malick
- Auf 2 Reisen im mittleren Westen der
USA haben wir mehrere Drehorte des Films besucht, was wir nicht bereut haben. Reiseberichte mit Fotos beschreiben 2 Blogs: USA 2013, USA 2012.
Besuchte Drehorte waren keine Nationalparks mit Massenpublikum, sondern
abgelegene, einsame Landschaften, in denen man schnell verloren gehen kann und darauf achten muss, wieder
herauszufinden.
- Filmbesprechungen Perfect Days:
- Wiener Indie-Kulturmagazin Bohema (inkl. Trailer und Titelsong): Perfcect Days: Wim Wenders is Back Baby!
- Anne Grillet im KulturPort Magazin: „Perfect Days“. Wim Wenders und die Entdeckung der Schönheit im Alltäglichen
- nd: Wim Wenders: Träume von Bäumen und Toiletten
- Tim Caspar Boehme in taz, 20.12.2023: Schattenspiel auf der Toilettenwand
- taz, 26.05.2023: Der Toilettenmann
- Magazin kultur.west, 30.11.2023: Jetzt ist Jetzt
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