Das auf Klassiker gehobener österreichischer Küche fokussierende Gasthaus Scherz ist ein beliebtes Restaurant der Kölner Szene, dessen ausgezeichnete Preis-Leistungs-Qualität seit 2017 ein Bib Gourmand würdigt. Vor nicht allzu langer Zeit hat Inhaber und Chefkoch Michael Scherz die antiquierte Inneinrichtung des Restaurants inkl. Hirschgeweihen an Wänden vollständig entrümpeln und modernisieren lassen. Inzwischen hat die Küche mit einer Erweiterung ihres Konzeptes nachgezogen. Neuerdings enthält die Karte neben österreichischen Klassikern eine als Neue Klassiker, falsch interpretiert bezeichnete Auswahl kleiner Gerichte, die sich einzeln als Vorspeisen eignen oder beliebig zu einem Menü mit drei Gerichten für 40 € zusammengestellt werden können. Wem das nicht reicht, kann aus der Auswahl Neuer Klassiker jeweils mit 10 € berechnete weitere Gerichte ordern. Flexibler und preiswerter kann gehobene Gastronomie ohne Abstriche an Qualität kaum sein. Vermutlich sind Veränderungen von hintergründiger Strategie getrieben, die weitere Veränderungen erwarten lässt. Erste Eindrücke des Konzeptes fallen absolut erfreulich aus und motivieren zu Fortsetzungen.
Besuch im Gasthaus Scherz am 03.11.2024 mit holprigem Auftakt
Wir haben für 17:30 Uhr reserviert und wähnen uns in vorderer Startreihe. Das ist ein Irrtum. Sonntags besteht durchgehende Küchenzeit von 12:00 bis 20:00 Uhr. Um 17:30 Uhr sind Tische zu mehr als 50 % belegt und eine Stunde später voll besetzt. Damit rutschen wir in der Queue nach hinten. Die Erweiterung des Küchenkonzeptes findet große Resonanz. An den meisten Tischen werden mehrgängig falsch interpretierte neue Klassiker serviert, was der Küche hohe Auslastung verschafft, aber den Service zu überfordern scheint.
Die Speisekarte erhalten wir erst nach Aufforderung, jedoch ohne Weinkarte und ohne nach Wasserwünschen gefragt zu werden. Eine Weinkarte benötigen wir nicht, weil wir unseren Standard ordern: Grüner Veltliner "Obere Steigen" aus dem niederösterreichischen Traisental vom Bio-Weingut Huber. Der Restaurantpreis von 28 € war in Vorjahren für den am Hof zu 12,50 € abgegeben Wein kein 'Schnäppchen'. Jetzt werden forsche 35 € berechnet, aber wir haben schon schlechteren Wein zu ähnlichen und höheren Preisen getrunken. Auf Brot in drei guten Qualitäten und Aufstrich warten wir länger. Wir haben es nicht eilig und üben uns in Geduld. Wartezeit nutzen Gäste an Nebentischen mit Smartphones und Raucher mit Lebenszeit verkürzenden Rauchopfern vor der Tür.
Unsere drei jeweils gewählten Gerichte werden in Abständen von ca. 30 Minuten immerhin gleichzeitig serviert. Den 3. Gang erhalten wir 2 Stunden nach dem Eintreffen. Eine Rotweinbestellung zum 3. Gang wird vergessen und muss erinnert werden. Der Service agiert freundlich und bemüht, aber er läuft offensichtlich noch nicht rund. Glücklicherweise können wir auch über viel Erfreuliches berichten. Ob beschriebene subjektive Eindrücke zu anderer Zeit unter anderen Bedingungen anders ausfallen, zeigen erst weitere Besuche.
1. Gang
Strohschwein-Tataki gebeizt-gegrillt, mit scharf und allem, Rosocff Zwieberl, Tagetesblüte, Katsuobushi (Bonitoflocken |
Fermentiertes Gemüse mit Kernöl-Kressecreme, Rauchmandel und Kräutern |
Der erste Gang stimmt uns angemessen würdig auf das neue Konzept ein. Die Tatiki-Methode der Fleischzubereitung kommt aus japanischer Küche und eignet sich nur für Produkte höchster Qualität. Das marinierte Fleisch (oft Thunfisch) wird kurz scharf angebraten und ist im Kern nahezu roh. Schärfe der Paste mag gewöhnungsbedürftig sein, aber sie ist gut eingebunden und bildet schöne Kontraste. Beide Gerichte sind sternewürdig. Erwartungsfreudig fragen wir uns, ob das bereits der Höhepunkt war oder weitere Steigerungen möglich sind.
2. Gang
Rillette vom Rochen, Süßrahmbutter, marinierte Puntarelle |
Ibaiama Schweinderlschopf, Spitzkohl, Chutney |
Auch der zweite Gang ist gelungen, aber im Vergleich zum ersten Gang fällt er ein wenig ab. Der Gesamtkontext der Rillette fällt eher spröde aus. Rochen geht in der Rillette unter. Reicher ist der Schweineschopf (Nackenstück) vom baskischen Schwarzfußschwein, dessen Schinken als Pata Negra vermarktet wird. Der kräftig gewürzte Spitzkohl hat Biss und ruht auf einem würzigen Sud. Der Charakter dieses Gerichts gerät deftig und zugleich aromatisch differenziert.
3. Gang
Ibaiama Schweinderlschopf, Spitzkohl, Chutney |
Crépinette vom Hirschkalbfilet, Speckmarmelade, Petersilienwurzel, Maronen-Selleriemousseline |
Das Schweineschopfgericht mit baskischem Schwarzfußschwein wird noch einmal serviert, aber das Tellerbild unterscheidet sich deutlich vom vorherigen Durchgang. Eigentlich ist das nicht zu erwarten. In der Küche scheint es an Präzision zu fehlen. Vielleicht variiert auch die Rollenverteilung. Mit Kalbsfilet zubereitet ist Crépinette ein Klassiker französischer Küche. Mit Hirschkalbsfilet erreicht dieses Menü seinen Höhepunkt, was das Tellerbild eines unscharfen Fotos nicht widerzugeben vermag.
Gerichte der Neuen Klassiker kombinieren ebenso kreativ wie professionell hochwertige regionale und internationale Produkte und Küchenmethoden zu einer überzeugenden, modern interpretierten Crossover-Küche, die Anregungen aus aller Welt bezieht und keiner Region verpflichtet ist. Nicht überraschend haben Preise der Standardkarte moderat angezogen. Gespart wird offensichtlich beim Personal. Im Service und vermutlich auch in der Küche agieren neben bekannten Gesichtern neue junge Mitarbeiter, denen Übersicht, Routine und angemessener Stil fehlen. Wenn sich der Service entwickelt und das Niveau einer stabilisierten Küche und der Einrichtung erreicht, sind Höherbewertungen in einschlägigen Restaurantführern nur eine Frage kurzer Zeit. Das wird sich wahrscheinlich auf Preise auswirken, aber auch ein höheres Qualitätsniveau des Personals ermöglichen.
Bei allem Vergnügen ist fehlende Barrierefreiheit des Restaurants erwähnenswert. Im Eingangsbereich und im Innenraum sind Stufen zu überwinden. Toilettenräume im Untergeschoss werden über eine relativ steile Treppe erreicht.
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