Dienstag, 8. April 2014

John Mayall's "80th Anniversary Tour" - Konzert in der Kantine Köln

John Mayall, Rocky Athas, Jay Davenport und Greg Rzab
John Mayall, eine legendäre Gestalt des weißen britischen Blues, vollendete im November 2013 seinen 80. Geburtstag. Seit dem 1. April 2014 befindet sich John Mayall mit seiner aktuellen Band auf einer ausgiebigen Tour durch Europa und Nordamerika. Die Liste der Tourdaten auf John Mayalls Webseite beeindruckt. Die Band spielt 96 Konzerte, davon 19 in Deutschland. Wir fragen uns, wie ein Mensch diesen Alters die Strapazen einer derartigen Konzerttour verkraften mag.
Unsere Sorge ist überflüssig. Der Mann ist fit wie ein Turnschuh und sprüht vor Vitalität. John Mayall zeigt sich geistig hellwach und körperlich beneidenswert geschmeidig. John Mayall singt, spielt diverse Instrumente (insbesondere seine unnachahmliche Mundharmonika) und scheint das Zentrum dieser Veranstaltung mit Genuss zu besetzen. Das Konzert hält er vollständig unter seiner Kontrolle. Chapeau!
Links:  John Mayall bei AllMusic - Diashow der Konzertfotos



John Mayall signiert die aktuelle CD in der Kantine Köln
Location des Konzerts ist die Kantine im Kölner Norden. Das Ticket zu 32 € ist halbwegs moderat bepreist und verspricht "freie Platzwahl". In Anbetracht des Ticketpreises hoffen wir auf Bestuhlung, befürchten aber Stehplätze. Unsere Befürchtung tritt ein. Lediglich im Bereich der Theken gibt es einige Barhocker, die natürlich längst besetzt sind. Unter diesen Bedingungen sehen wir den Ticketpreis nicht mehr als 'Schnäppchen' (kölscher Begriff für günstige Angebote).
Wie üblich, zählen wir zu den früh eintreffenden Besuchern. Im Eingangsbereich zum Veranstaltungsraum bietet eine leicht skurril wirkende Person John Mayalls aktuelle CD an. Auf dem zweiten Blick erkennen wir, dass der Meister höchstpersönlich hinter einem Tisch CD's signiert und für 20 € verkauft. Der ehemals hagere Musiker hat sich inzwischen eine etwas rundlichere Statur zugelegt. Von Äußerlichkeiten bleibt der Verkauf unbeeinflusst. Die CD findet reißenden Absatz.


John Mayall Band in der Kantine Köln
Der Veranstaltungsraum füllt sich bald mit Besuchern, unter denen Männer der Altersgruppe 50-70 Jahre dominieren. Wir wollen nicht darüber spekulieren, weshalb sich Frauen und jüngere Generationen weniger für diese Musik interessieren, aber es zeichnet sich ab, dass Protagonisten und Fans der Musik bald aussterben könnten. Friedhofsstimmung tritt heute jedoch nicht ein. Wir erleben erwartungsvolle und teilweise ausgelassene Heiterkeit, obwohl die fehlenden Sitzplätze das Vergnügen der vielen älteren Besucher wahrnehmbar beeinträchtigt.
Um kurz vor 20:00 Uhr huscht der Meister an uns vorbei hinter die Bühne. John Mayall hält seine Fans nicht hin und eröffnet pünktlich um 20:00 Uhr das Konzert mit der Vorstellung seiner Begleiter. Wie so oft präsentiert John Mayall auch auf dieser Tour mit dem Texaner Rocky Athas einen exzellenten Leadgitarristen. Bassist Greg Rzab und Schlagzeuger Jay Davenport vervollständigen solide das Quartett. Mit dem Auftakt setzt ein 'Flashback' in versunkene Erlebniswelten ein.



John Mayalls brüchig wirkende Gesangsstimme ruft sogleich viele verschüttete Erinnerungen wach. Die Stimme hat sich über mehr als 40 Jahre kaum verändert. Als musikalischer Virtuose ist John Mayall nie aufgefallen. Sein Spiel auf Gitarre und Keybords wirkt nach wie vor eher amateurhaft. Am stärksten ist das Spiel des Meisters auf der 'Bluesharp', die in fast jedem Stück zum Einsatz kommt.



Nachdem die Band sich warmgespielt hat, folgt mit "So Many Roads" ein Highlight des Konzerts. Die Komposition von Otis Rush aus dem Jahr 1976 nutzt Rocky Athas zu epischen Gitarrensoli, in denen er sein ganzes Können entfaltet. (Otis Rush bei AllMusic) 



Nach ca. einstündigem Konzert verlassen wir die Veranstaltung. Eine Steigerung können wir kaum noch erwarten. Außerdem ermüdet uns das Herumstehen, was vermutlich auch darauf zurückzuführen ist, dass uns diese Art von Musik bei aller Qualität als schmalspurig, schematisch und voraussehbar erscheint. Unsere Vorlieben und Hörgewohnheiten haben sich offensichtlich über die Jahre verändert. Bereuen müssen wir den Konzertbesuch dennoch nicht. Im Gegenteil freuen wir uns, diesen legendären Musiker endlich auch einmal live zu erleben.


Anmerkungen zur musikhistorischen Bedeutung von John Mayall


In einem Artikel der "Neue Zürcher Zeitung" vom 15.04.2007 schreibt Manfred Papst: "Niemand hat mehr jungen Musikern zu Ruhm verholfen als John Mayall. Eric Clapton - den er von den Yardbirds holte und für 20 Pfund pro Woche verpflichtete - ging ebenso in seine Schule wie Peter Green, John McVie, Mick Fleetwood und Rick Vito von Fleetwood Mac. Der spätere Rolling-Stones-Gitarrist Mick Taylor, Jack Bruce von Cream und Andy Fraser von Free, die halbe Belegschaft der superben Jazzrock-Band Colosseum, aber auch Cracks wie Aynsley Dunbar oder Coco Montoya waren seine Schüler. In den Sixties waren Mayalls Bluesbreakers die Talentschmiede schlechthin."

Diese Einordnung John Mayalls ist nicht falsch, fokussiert aber nur auf einen Ausschnitt der Musikgeschichte. Mindestens auf Augenhöhe, wenn nicht gar bedeutender, ist der Einfluss von Alexis Korner zu werten, der in den frühen sechziger Jahren mit seiner Band Blues Incorporated den britischen Bluesrock prägte. Aus der Keimzelle Blues Incorporated ging 1963 die Band Graham Bond Organization hervor, die Jazzelemente in den Bluesrock einführte und maßgebliche Wirkung auf die Karriereentwicklung zahlreicher stilbildender Musikergrößen ausübte, die in der Gegenwart zu Übervätern des Bluesrock, Progressive Rock und Jazzrock (Fusion) zählen. Zu nennen sind u.a. Jack Bruce (Bass), John McLaughlin (Gitarre), Ginger Baker (Schlagzeug), Dick Heckstall-Smith (Saxophon) und Jon Hiseman (Schlagzeug).

In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckten britische Musiker den schwarzen Blues amerikanischer Südstaaten als inspirierende Quellen iherer eigenen musikalischen Kreativität. Kristallisationspunkte dieser Entwicklung bildeten Alexis Korners Blues Incorporated, Grahem Bonds Graham Bond Organization und John Mayalls Bluesbreakers. Während Blues bis dahin eine musikalische Ausdrucksform schwarzer Subkultur bildete, kombinierten die genannten Protaganisten schwarzen Blues mit weißer Rockmusik und mit Elementen des Jazz, in dem bis dahin ebenfalls schwarze Musiker den Ton angaben. Aus dem einsetzenden kreativen Verschmelzungsprozess entwickelten sich "Bluesrock" und "Jazzrock" als neue musikalische Stilrichtungen. Musiker dieser Stilrichtungen leugneten nicht ihre Quellen und wirkten als Katalysator für eine breitere Akzeptanz ehemaliger schwazer Ghettomusik. Die maßgeblichen musikalischen Verbände setzten sich aus einem überschaubaren Kreis von Musikern zusammen. Für Plattenaufnahmen, einzelne Konzerte oder Tourneen formierten Musiker dieser Subkultur eher lockere Verbände, die nicht auf Dauer angelegt waren, sondern sich mit wechselnden Rahmenbedingungen umformierten. Geradezu legendärer exzessiver Drogenkonsum mag zu häufigen Veränderungen von Formationen beigetragen haben.

Während die Graham Bond Organization bald wieder zerfiel, entwickelte Alexis Korner ab den siebziger Jahren eine Solokarriere und moderierte regelmäßig Sendungen der BBC. Eine dreizehnteilige Sendung zur Geschichte von Rock und Blues wurde auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. (Ja, so etwas war vor einigen Jahrzehnten noch im deutschen Fernsehen möglich! Wer die Serie gesehen hat, wird sie nicht vergessen.) Graham Bond, Initiator der Graham Bond Organization, lebte nach der Devise "live fast die young" und verstarb 1974 bei einem Unfall in London im Alter von 36 Jahren. Alexis Korner verstarb am 1. Januar 1984 im Alter von 55 Jahren in London an Krebs. John Mayall zeigt als letzter Überlebender dieser "Gottväter" des weißen Blues in dem Kölner Konzert eine beeindruckende Vitalität.

(Wesentlich informativer als der deutschsprachige Wikepedia-Artikel über John Mayall ist der englische Wikipedia-Artikel.)


Rückblick auf die eigene Entdeckung von John Mayall


Die legendäre Veranstaltung Internationale Essener Songtage machte 1968 auf eine alternative Kulturszene aufmerksam, die sich als kulturelle und politische Avantgarde jenseits des Mainstreams verstand und von außen mit den Labeln "Underground" und "Protestsong" etikettiert wurde. In der Realität bildeten inhaltliche Gemeinsamkeiten eher die Ausnahme. Die Protagonisten dieser disparaten Non-Mainstream-Szene ordneten ihre Aktivitäten keinen Labeln unter. Verbindend wirkte eher das gemeinsame Einstehen für anarchische Kreativität, die sich der Vereinnahmung durch Programme verweigerte, keiner kommerziellen Verwertungslogik unterwarf und für politische Ziele eintrat. In der persönlichen Wahrnehmung öffnete sich mit diesem subkulturellen Urknall neben oder hinter der kulturellen Massenkonfektion ein paralleler musikalischer Kosmos, in dem sich eigener Weltschmerz und individuelle politsche Wut aufgehoben fühlten.

Ohne Facebook, WhatsApp, Twitter oder welche auch immer digitalen 'Social Media' hatte der Informationsaustausch in der prä-digitalen analogen Aera eher konspirativen Charakter und erforderte enge persönliche Kommunikation unter Gleichgesinnten, um Informationen über anstehende Live-Konzerte zu erhalten oder um an Schallpaltten zu gelangen, die in keiner Hitparade oder Verkaufsliste aufgeführt waren. Schallplatten wanderten als kostbare Juwelen durch die Gemeinde. Bandschmaschinen von 'Akai' oder 'Revox' zehrten am schmalen Budget, aber sie waren unverzichtbar, um kostbare Schallpaltten und ausgewählte Rundfunksendungen hochwertig auf Spulen-Magbetbändern konservieren zu können.

Auf heute nicht mehr vollständig rekonstruierbaren Wegen entdeckte ich 1968 erstmals Musik von John Mayall und mit ihm Blues als musikalische Stilrichtung. Insbesondere das elektrisierende Album Blues from Laurel Canyon verstärkte meine Faszination für eine Musik, die den auch selbst empfundenen Weltschmerz vermeintlich authentisch in musikalische Ausdrucksformen übersetzte. Mit der Zeit haben sich einige Geheimnisse guten Lebens erschlossen. Wunden des Weltschmerzes sind nicht vollständig verheilt und Politikwut hat sich verändert, ohne sich sich zu verflüchtigen, aber der eigene Schmerz über den Zustand dieser Welt ist gelindert. Erhalten hat sich eine tiefe Abneigung gegen Scheinwelten von Schlagern, Pop- und sog. Volksmusik. Eigene musikalische Vorlieben drifteten dagegen in Richtung modern Jazz, Fusion, progressiv Rock, Weltmusik und insbesondere klassische Musik von alter Musik bis zur Gegenwartsmusik. Ab und zu gefällt auch guter 'Schweinerock'.


Ausblick auf das nächste Veteranen-Konzert


Am 11. November diesen Jahres erwarten wir mit Spannung ein weiteres Veteranen-Konzert im Bonner 'Club Harmonie', bei dem mit Colosseum ehemalige Weggefährten John Mayalls aufspielen. Colosseum formierte sich 1968 als Fusionband, die eine geniale Mischung aus Rock, Blues und Jazz spielte. Kopf der leider nur wenige Jahre existierenden Band war der Schlagzeuger Jon Hiseman, der zuvor u.a. mit Dick Heckstall-Smith (Saxophon) bei John Mayalls Bluesbreakers spielte. 1994 konnte Jon Hiseman noch einmal die Urbesetzung zu einer Serie von Reunion-Konzerten zusammenbringen. Das live im Kölner E-Werk erlebte Konzert bleibt uns unvergessen. Bei einem für November diesen Jahres angekündigten Konzert wird wieder nahezu die gesamte Urbesetzung antreten. Leider fehlt der 2004 verstorbene Saxophonist Dick Heckstall-Smith. Mit Barbara Thompson (Lebenspartnerin von Jon Hiseman) steht jedoch kongenialer Ersatz bereit. Wir drücken die Daumen, damit Barabara antreten kann. Sie ist nämlich vor einigen Jahren an Morbus Parkinson erkrankt und bekennt sich zur ihrer Erkrankung auf ihrer eigenen Webseite (Webseite Barabara Thompson). Wie wir erneut mit den Stehplätzen zurechtkommen werden, wird sich noch zeigen.

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