Ein milder spätsommerlicher Abend erlaubt im Garten der Traube den Genuss eines Aperitifs, mit dem wir uns auf das Menü dieses Abends inklusive Weinbegleitung einstimmen. Wir wählen einen Winzersekt der
Sektkellerei Reinecker aus der benachbarten Weinbaugemeinde
Auggen. Die
Cuvée Classic Réserve Brut besteht im Champagnerstil aus Chardonnay, Pinot Meunier, Pinot Noir und kann sich nach mehr als 3 Jahre Hefelager mit Champagnern messen. Wir freuen uns auf eine Küche, die ausschließlich naturnah und auch wild gewachsene Produkte der Region außergewöhnlich kreativ verarbeitet und unseren kulinarischen Horizont erweitert. Mit Spannung erwarten wir die Auswahl begleitender Weine, die ebenfalls bevorzugt aus der Region kommen und in der Regel von biologisch oder biodynamisch zertifizierten Kleinbetrieben winifiziert sind. Die Weinauswahl ist konsequent ohne Kompromisse an Mainstream-Terrassenweine auf das jeweilige Gericht abgestimmt.
Der Auftakt ist mehr als gelungen, er begeistert. Die Orchestrierung von Texturen und das komplexe Aromenspiel der Appetizer öffnen ein weites Spektrum dieser Avantgarde-Küche und versprechen einen erinnerungswürdigen Abend.
Im Restaurant erwarten uns aus
Emmer hausgebackenes Brot mit aufgeschäumter Schwarzwälder Butter.
Der Fischgang mit der Bezeichnung Wels, Zucchini, Liebstöckel, Buttermilch präsentiert eine Scheibe Wels als Mosaik auf einem Gemüsebett. Der Wels wurde zerteilt, mariniert sowie als Mosaik zusamengesetzt und wird mit einer Haube aus Buttermilchschnee serviert (für das Foto teilweise freigeräumt). Die Aromatik hält nicht ganz, was die Optik verspricht, weil Bitternoten des Liebstöckels den Geschmack des Wels überdecken.
Als korrespondierenden Wein serviert Daniela einen ungeschwefelten Orange-Wein des biodynamischen Grinzinger Weinguts
Hajszan Neumann. Der
Natural Muskateller 2018 ist 5 Monate ist spontanvergoren auf seiner Schale im Betonei gereift und ohne jeglichen Eingriff in die Flasche gefüllt. Der Charakter des Weins ist relativ weit von Weinen entfernt, die wir gewöhnlich trinken, aber die Kombination ist stimmig und absolut spannend.
Noch mutiger gerät der nächste Gang, ein
Millefeuille mit Tomate, Aal, Fenchelsamen. Optisch und aromatisch stehen Variationen von Tomate im Vordergrund. Der als Mousse auf der unteren Lage angerichtete geräucherte Aal bildet das geschmackliche Fundament. Gegen eine solche Kombination hat es jeder Wein schwer. Daniela kündigt einen Wein an, den man solo kaum trinken kann, der aber dieses Gericht ideal ergänzt. Wer sich von Geschmackserwartungen zu lösen vermag,
versteht die Genialität der Kombination von Gericht und Wein. Im Glas haben wir einen 2016
Roten Gutedel Jaspis Unterirdisch des biodynamischen
Weinguts Ziereisen in Efringen-Kirchen. Der Wein ist im Stil eines Orange-Weins auf seinen Schalen
vergoren und ohne jeglichen Eingriff für ein Jahr in einer im
Weinberg vergrabenen Ton-Amphore ausgebaut, anschließend abgepresst und weitere
2 Jahre im Barrique gereift. Die Abfülllung erfolgt ungeschwefelt und unfiltriert mit einem kleinen Teil Fasshefe zur Stabilisierung. Der kompromisslos produzierte Wein polarisiert selbstverständlich. Die Philosphie der Erzeugung erinnert an den
Dolomytos des 2009 verstorbenen und als verschroben geltenden
Önologie-Professors, Öko-Anarchisten, Weinmagiers Rainer Zierock. (Verkostungsnotiz und weitere Informationen:
Kellerführung und Weinverkostung am Marinushof in Marein, 20. Juli 2016)
Der erste von 2 Fleischgängen ist als Perlhuhn, Sellerie, Birne angekündigt. Das Fleisch aus der Keule ist in dem aus der Haut des Perlhuhns ausgebackenen Fett confiert. Geschmacklich ist das Fleisch deutlich intensiver und wilder als üblich. Angebratene Birnenwürfel, Mousse und Blätter von Sellerie, Bärlauchöl und eine göttliche Sauce vollenden die Komposition.
Das Hinterwälder Rind mit Brokkoli, Schwarzer Knoblauch und Zwiebel beindruckt erneut mit einer breiten Vielfalt seiner Aromen und Texturen sowie mit einer süffigen Sauce, die den Gebrauch des beigelegten Saucenlöffels geradezu erzwingt. Eine leicht scharfe Note trägt Jalapenio zum Gericht bei (ein mit in Blansingen angebautem Chili selbst gemachtes Chili-Öl )
.
Hauptkomponenten des Käsegangs sind geeister Ziegenkäse, Rote und Gelbe Bete, Pflaume. Mit dem eher herben Gericht harmoniert eine süffige Mosel-Spätlese
Ürziger Würzgarten 2012 des
Weinguts Markus Molitor.
Den süßen Abschluss bildet die Komposition
Feige, Braune Butter & Ahornsirup. Die Aufnahme eines Fotos dieses beeindruckend kreativen Gerichts haben wir versäumt, weil der komplexe begleitende Bio-Dessertwein unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Der
Passo Nero 2015 Occhipinti ist ein sizilianischer Süßwein der Traubensorte
Nero d'Avola der
Azienda Agricola Arianna Occhipinti in
Vittoria, Sizilien. Zum Espresso werden als
Blansinger bezeichnete süße Donuts mit fruchtiger Füllung aus eigener Produktion gereicht.
Den denkwürdigen Abend eines beeindruckenden Restaurant-Erlebnisses lassen wir nach nur wenigen Treppenstufen in einem der komfortablen Zimmer mit Balkon ausklingen und nehmen uns eine Rückkehr im Mai des nächsten Jahres in Verbindung mit einer weiteren Schwarzwald-Wanderreise vor.
Erwähnenswert ist eine Anekdote des Abends, die ein mit Strass und Glimmer verkleidetes (vermutlich Schweizer) Paar 'Asphalt-Cowboys' beigetragen hat. Die beiden wollen sich nicht der Weinbegleitung anvertrauen und verlangen die Weinkarte. Mit der Weinkarte können sie jedoch nichts anfangen, weil keiner der ihnen bekannten Weine zu finden ist und Charakter der Gerichte kaum einzuschätzbar ist. Dabei übersehen oder ignorieren sie, dass die Komplexität der Gerichte einen One-Size-Fits-All-Wein vielleicht nicht unmöglich macht, aber nicht zur Philosophie einer Küche passt, die Gerichte und Weine als harmonische Einheit konzipiert. Bei der Bestellung bekunden unserer 'Cowboys' ihr Missfallen mit der Weinkarte, verzichten aber trotz Danielas Empfehlung auf die Weinbegleitung und ordern Wein aus der Karte. Als die ersten Gänge serviert werden, verlangen die beiden nach einer Pfeffermühle und Salz. "Pfeffer kann ich Ihnen nicht bieten, aber Salz kann ich bringen", antwortet Daniela. Die beiden Cowboys wurden vermutlich heute nicht glücklich. Jedenfalls brachen sie recht bald wieder auf und hinterlassen halbvolle Weingläser auf dem Tisch.
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