Montag, 29. Dezember 2025

Römisch? Nein, Siegburger Mittelalter!

Küchendekoration: Inkakeramik (links), Handmade Native Navajo Potter aus dem Canyon de Chilly (Mitte), Siegburger Keramikkanne (rechts)
Links: Inkakeramik - Mitte: Handmade Native Navajo Potter aus dem Canyon de Chelly - Rechts: Siegburger Keramikkanne 
 
In unserer Küche stehen dekorativ drei Gefäße. Mit jedem der Objekte verbinden wir besondere Erlebnisse unserer Biografie. In diesem Post geht es um das auf dem Foto rechts abgebildete Keramikgefäß. 
 
Kurz bevor unsere Vermieterin 1990 hochbetagt verstarb, schenkte sie uns aus ihrem Besitz dieses Gefäß und erklärte, dass es sich um ein antikes römisches Gefäß handelt. Die Einordnung als römisch ist für Köln typisch. Die Stadt Köln hat sich ab dem Jahr 9 n.C. aus einem römischen Garnisonsort entwickelt. Bis Mitte des 4. Jahrhunderts war Köln eine der bedeutendsten römischen Kolonien nördlich des Alpenraums. Trotz Überbauungen nachfolgender Zeit und trotz zweier Weltkriege hat römische Kultur zahlreiche Spuren in Köln 
hinterlassen. Wenn in Köln alte kulturelle Artefakte gefunden werden, gelten sie unter Laien schnell als römischer Nachlass. Die Chance dieser Einordnung als korrekt besteht durchaus. Wir sind keine archäologischen Experten, aber an dieser Einordnung des Gefäßes haben wir schon immer gezweifelt, weil wir keine Anmutungen römischer Kultur erkennen. Mit diesem Zustand haben wir uns 35 Jahre arrangiert, aber jetzt möchten wir es genauer wissen und lernen viel.
 
Siegburger Keramikkanne, um 1400
Unser Krug
Zylinderhalskrug, Bergischer Geschichtsverein e.V.
Zylindershalskrug des Museums
Bergischer Geschichtsverein e.V.
Mit geeigneten Suchbegriffen finden Recherchen Darstellungen von Funden historischer Keramik im Rheinland. Einer dieser Funde zeigt den hier rechts abgebildeten Keramikkrug mit der Beschriftung "Bauchiger Zylinderhalskrug "Siegburger Art" mit Wellenfuß, Wandung mit horizontalem Rillendekor, Henkelkrug. Fuß aus Plastilin, grob nachgearbeitet, mit Übergang auf originales Material." (Museum digital Rheinland: Zylinderhalskrug - Datenblatt)
Die beiden Krüge könnten fast Zwillinge sein. Möglicherweise stammen sie aus der gleichen Werkstatt. Angegebene Maße fallen mit 16 cm Höhe und 9 cm Durchmesser ähnlich aus. Unser Krug ist 17 cm hoch und hat ca. 10,5 cm Durchmesser. Das Datenblatt des Museums nennt das 15.-16. Jahrhundert als zeitliche und Siegburg [wahrsch.] als räumliche Einordnung. Relativ grobe Angaben motivieren zu Recherchen.
 
 
 
Präzisere Informationen beschreibt der Bonner Historiker und Archäologe Gerald Volker Grimm im Essay Typochronologie rheinischer Trichterhalsgefäße, den das LVR-Landesmuseum Bonn auf den Seiten 151-165 in einem Sammelband herausgegeben hat: Schmauder, Michael; Roehmer, Marion (Hrsg.): Keramik als Handelsgut. Produktion – Distribution – Konsumption. 49. Symposium Keramikforschung des Arbeitskreises für Keramikforschung, des LVR-LandesMuseums Bonn, der Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Bonn 2019, (Bonner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichtlichen Archäologie; 23
Online ist der hier zitierte Aufsatz per Link erreichbar (CC BY-SA 4.0): https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/5144/
 
Zylinderhals, Bandhenkel, Dreh-Riefen-Verzierung Bauchiger Körper, Dreh-Riefen, Lasurreste Wellenfuß Siegburger Keramikkanne
 
Details unseres Krugs sind im zitierten Essay nachvollziehbar:
  • Der Hals unseres Krugs hat keine trichterförmige Mündung, sondern ist als Zylinder geformt. Früheste Krüge dieser Art werden auf 1370 datiert. Ab dem Jahr 1400 setzen sich Trichterhalsgefäße mit erweiterten Mündungen durch. Bis 1400 sind am Hals des Krugs und am Gefäßbauch deutlich sichtbare Rillen bzw. Riefen als Zierkerben zu erkennen. Ab 1420 setzte sich Verzicht auf Dekor durch. Wahrscheinlich wurde unser Krug im Zeitraum 1370 bis 1420 hergestellt.
  • Deutlich sichtbar sind Reste eine Lasur und dass der Fuß des Krugs mit Fingern als Wellen geformt wurde. Wellenfüße sind ein markantes Merkmal Siegburger Keramik.
  • Krüge dieser Art waren wasserdicht und wurden vor allem für Flüssigkeit verwendet. 
Weitere Erkenntnisse bietet der Wikipedia-Artikel Siegburger Steinzeug. Zitat:
Siegburger Steinzeug ist eine keramische Warenart, die im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit im rheinländischen Töpferort Siegburg-Aulgasse produziert wurde. Die Siegburger Gefäßkeramik wurde im 14. bis 17. Jahrhundert in großen Mengen in ganz Europa gehandelt und gilt neben ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung als wichtiger Marker bei der Datierung archäologischer Fundstellen aus dieser Zeit. Sie ist eine der dominierenden Warenarten unter dem Deutschen Steinzeug.
 
In Köln setzte sich Siegburger Steinzeug erst ab Mitte des 16. Jahrhunderts durch. Zuvor dominierte Kölner Steinzeug (Wikipedia). Im 16. Jahrhundert wurde in der Stadt die Herstellung von Steinzeug verboten und Töpfer vertrieben. Zitat:
Obwohl das rheinische Steinzeug auch bei den Kölner Bürgern höchst populär war, waren die Steinzeugtöpfer selbst in der Bevölkerung unbeliebt. Die Bevölkerung fürchtete die Brandgefahr durch die Brennöfen, die zur Steinzeugherstellung oft wochenlang befeuert wurden. Zudem fühlten sie sich durch den Chlorgestank belästigt, den der Anguss der Salzglasur mit sich brachte. Durch den hohen Bedarf an Brennholz für die Öfen waren ganze Wälder in der Umgebung von Köln im 16. Jahrhundert abgeholzt worden, was den Holzpreis rasant angestiegen ließ. Auch politisch waren die Kölner Steinzeugtöpfer benachteiligt, da es ihnen nie gelungen war, eine eigene schützende Gilde zu gründen. Gemäß dem Zunftzwang waren sie der fachfremden Steinmetzgilde angegliedert, in der es jedoch ständig Hegemoniestreitigkeiten der angeschlossenen Handwerke gab. Zudem beschnitt der Rat der Stadt deren Arbeitsmöglichkeiten, indem er ab 1534 den Betrieb der Öfen nur mit ausdrücklicher Genehmigung erlaubte und den Import von Ton aus den Frechener Lagerstätten verhinderte. 1547 ließ der Rat alle Steinzeugöfen einreißen. Auch die Zahl der Töpfermeister wurde stark begrenzt. Waren 1536 noch elf Töpfer gelistet, so blieben 1554 nur noch vier. Zur Bekräftigung dieser Reduktion ließ der Rat 1555 erneut alle Brennöfen, bis auf die vier genehmigten, einreißen. Ab 1566 waren innerhalb der Kölner Stadtmauern keine Steinzeugtöpfer mehr zugelassen. 
Die Metropole Köln blieb jedoch auch nach der Vertreibung der eigenen Steinzeugtöpfer weiterhin der wichtigste Umschlagsplatz für Rheinisches Steinzeug. Zentrum des Handels war der Alter Markt. Auch die Erzeugnisse aus den benachbarten Töpferzentren wurden von Köln aus nach ganz Europa gehandelt.
 
Mit beschriebenen Themen muss sich niemand befassen, um zu überleben. Themen dieser Art sind jedoch mehr als Dekor, weil sie dazu beitragen, unsere Lebensumgebung mit Stärken und Schwächen menschlicher Verhaltensweisen zu verstehen. Auf dieses Verständnis kann man verzichten, ohne zu verhungern, zu verdursten oder das eigene Leben einzubüßen. Aber oft ist das eine andere Art eines sich als vermeintlich reich ausgebenden Lebens in Abhängigkeiten geistiger Armut. 

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