Mittwoch, 23. Juni 2021

Führung in der Kölner romanischen Kirche St. Gereon

Ostseite St. Gereon Köln - © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)
© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
(via Wikimedia Commons)
St. Gereon Köln - Ostseite (2520)
St. Gereon, Westportal und Dekagon am Gereonskloster
St. Gerion in Köln - Westseite
Aktuell sinkende Inzidenzen der COVID-19-Pandemie erlauben Lockdown-Lockerungen und seit dem 21.06.2021 in Köln öffentliche Kirchenführungen. Unser Projekt der Besichtigungen romanischer Kirchen in Köln startet heute mit einer vom Domforum organisierten Kirchenführung in St. Gereon. Zur Führung sind unter Beachtung von Abstandsregeln max. 12 Teilnehmer mit medizinischer Maske zugelassen. Am Ort finden sich 3 Teilnehmer ein. Unser Guide, Tom Hammes, ist Mitarbeiter des Pastoralbüros St. Gereon und erweist sich als kompetenter, einfühlsamer, engagierter Kirchen- und Stadtführer. Statt vorgesehener 1,5 Stunden bietet Tom Hammes eine spannende und äußerst sachkundige 2-stündige Führung. Gemäß eigenem Bekunden könnte Tom mindestens zwei weitere Stunden gestalten. Dessen sind wir uns sicher, ohne Langeweile zu befürchten. - Fotoserie St. Gereon
 
 
 
Auftakt der Führung am Gereonsdriesch
Granitkopf des heiligen St. Gereon im Park Gereonsdriesch, Skulptur von Iskender Yediler
  Granitkopf St. Gereon im Park Gereonsdriesch
Skulptur von Iskender Yediler

Parkanlage Gereonsdriesch mit Ostchor St. Gereon
Ostchor St. Gereon, Parkanlage Gereonsdriesch
Östlich von St Gereon liegt der ehemals zum Gereonsstift gehörende Platz Gereonsdriesch, ein mittelalterlicher Gerichtsort des kirchlichen Vogtsgerichts.(1,2) Der Granitkopf eines römischen Soldaten, eine von Iskender Yediler gearbeitete Skulptur, verweist auf die bunt schillernde Legende des Gereon von Köln, der sich als Offizier der Thebäischen Legion mit Kameraden zum Christentum bekannt habe und vermeintlich in Köln als enthaupteter Märtyrer endete, weil er Befehle zur Christenverfolgung verweigerte.(3) Die Hinrichtung soll außerhalb der Stadtmauer in Mechtern stattgefunden haben, eine mittelalterliche Siedlung, die im heutigen Ehrenfeld zu verorten ist.(4) Gemäß Legende wurden die Körper der Märtyrer in einen Brunnen geworfen, der sich auf einem christlichen Römerfriedhof an einem Ort befand, an dem Kaiserin Helena (248/250 - 330), Mutter des Kaisers Konstatin der Große (270/288 - 337), vermeintlich den Vorgängerbau von St. Gereon errichten ließ. Kritisch betrachtet, setzt sich die Heiligenlegende aus über Jahrhunderte entstandenen und lokal eingefärbten Narrativen europäischer Kulturgeschichte zusammen. Die Legende überhöht die Bedeutung des Heiligen Köln. Das außergewöhnliche Selbstbewusstein des Kölner Bürgertums erreicht mit Kölner Dom und Dreikönigsschrein den Gipfel seines Glanzes und seiner Herrlichkeit.(5) 
 
Bemerkenswert sind auf dem Gereonsdriesch 2 weitere Artefakte:
Mariensäule Gereonsdriesch - © Raimond Spekking / CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)
© Raimond Spekking
CC BY-SA 3.0
(via Wikimedia Commons)
Mariensäule (Köln)-Gesamtansicht 2
  • Mariensäule (Köln)
    Versteckt im Grün von Lindenbäumen ist eine im neugotischen Stil gestaltete Mariensäule aufgestellt. Nachdem Papst Pius IX. 1854 das Dogma der unbefleckten Empfängnis Marias verkündet hatte, wollten traditionell katholische Kölner ein Zeichen ihrer Marienverehrung setzen und gründeten einen Verein zur Errichtung eines Standbildes Maria Immaculata, das ursprünglich am Alter Markt gegenüber dem historischen Rathaus aufgestellt werden sollte. Die preußisch-protestantisch dominierte Stadtverwaltung verweigerte jedoch ihre Zustimmung. Nach der Fertigstellung erhielt die Mariensäule 1858 einen Standort auf der Gereonsstraße. Dort war sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem Ausbau der Kölner Straßenbahn im Weg und zog 1901 auf den Gereonsdriesch um. 
  • Beuys-Linden
    Im Rahmen der documenta 7 initiierte Joseph Beuys 1982 die Aktion 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung. Mit freiwilligen Helfern pflanzte Beuys über 5 Jahre an verschiedenen Standorten in Kassel 7000 Laubbäume, an denen zusätzlich jeweils ein Basaltstein aufgestellt wurde. Zur documenta 8 war das Projekt 1987 abgeschlossen. Die große und oftmals auch feindselige Resonanz auf diese Aktion motivierte Beuys zu einer Ausweitung an weiteren Standorten. So gelangten u.a. 3 Linden mit Basaltstelen 1985 auf den Gereonsdriesch.(6) 
 
Baugeschichte der Architektur St. Gereon(7)
Modell des Zustands St. Gereon im 5. Jahrhundert
Modell St. Gereon im 5. Jahrhundert
© Atelier Dieter Cöllen GmbH 2008
CC BY-SA 3.0
Spätantikes Mauerwerk an der Nordseite St. Gereon
Spätantikes Mauerwerk an der Nordseite St. Gereon
Die Architektur von St. Gereon umschließt einen zwischen 350 und 365 auf einem römischen Gräberfeld errichteten ovalen Zentralbau mit unbekannter Funktion, vermutlich diente er als Mausoleum für wichtige Persönlichkeiten. Im 2. oder 3. Jahrhundert stand an diesem Ort ein Isis-Altar, den der Archäologe Armin von Gerkan 1949 bei Grabungen fand.(8,9)
Anhand von Grabungsfunden veranschaulicht ein neuzeitliches Modell die Architektur des antiken Ovalbaus mit Vorhalle und Atrium.
Ab 400 verbreitete sich in Europa die Gereonslegende. Um 590 erwähnt Bischof Gregor von Tours den Komplex als Kirche Ad Sanctos Aureos („Zu den Goldenen Heiligen“) sowie die dort bestatteten thebäischen Märtyrer (Wikipedia). Vermutlich im 5. oder 6. Jahrhundert wurde das Gebäude in eine christliche Kirche umgewidmet. Erzbischof Hildebold (ca. 787 – 818) ließ einen rechteckigen Chor und eine Außenkrypta anbauen und wurde 818 in St. Gereon bestattet. Seit 839 ist St. Gereon als Stiftskirche bekannt und galt ab 866 nach dem frühmittelalterlichen Kölner Dom als ranghöchste Kirche der Kölner Diözese. Über ca. 7 Jahrhunderte blieb das reich ausgestattete spätantike Bauwerk St. Gereon weitgehend unverändert. 
Die Ostseite der Gereonskirche zeigt als Schauseite eine deutlich aufwändiger gestaltete Architektur als das schmucklose Westportal, das ehemals von Arkaden umgeben war, die im Mittelalter zum Kreuzgang des Gereonsklosters umgestaltet wurden.
 
 
Gereonsaltar über der Confessio vor dem Hochchor St. Gereon
Gereonsaltar über der Confessio
Krypta St. Gereon: Confessio unter dem Gereonsaltar mit Reliquien der thebäischen Märtyrer in römischen Sarkophagen
Krypta St. Gereon
Die erste große Umbauphase fand um 1062 bis 1067 unter Erzbischof Anno II. statt. Norbert von Xanten (1080/1085 - 1134) veranlasste 1121 Reliquiengrabungen. Da St. Gereon auf einem römisch-fränkischen Gräberfeld errichtet ist, waren die Grabungen erfolgreich. Zahlreiche Knochenfunde wurden als Gebeine von Märtyrern der Thebäischen Legion identifiziert und als Beweis der Legende aufgefasst. Vermeintlich waren der Heilige Gereon und seine Begleiter gefunden. Funde und Nachfragen auf dem Reliquienmarkt motivierten weitere Bautätigkeiten und Grabungen. 1190 konnten Reliquien der thebäischen Märtyrer feierlich in die Confessio unter dem Gereonsaltar überführt werden. Neben der Confessio mit Sarkophagen der Märtyrer sind in der Krypta Fußbodenmosaike des 12. Jahrhunderts erhalten, die alttestamentarische Szenen von David und Samson darstellen. (Lichtverhältnisse erlaubten keine Fotos.)
 
 
Deckengewölbe des Dekagons St. Gereon
Deckengewölbe des Dekagons St. Gereon
Blick vom Chor durch das Dekagon zur Vorhalle
Blick vom Chor über den Gereonsaltar
durch das Dekagon zur Vorhalle
1219 – 1227 wurde der antike Ovalbau ummantelt, zu einem Zehneck (Dekagon) umgestaltet und erhöht. Lanzettfenster im Obergeschoss sind von französischer Frühgotik inspiriert. Das Dekagon erhielt Strebepfeiler und eine Zwerggalerie. Überdacht wurde das Dekagon mit einer von Rippen durchzogenen Kuppel unter einem Zeltdach. Zur Zeit seiner Entstehung war das Dekagon der größte freitragend überwölbte Zentralbau nördlich der Alpen. Im 13. und 14. Jahrhundert entstanden weitere Anbauten. 



 
 
 
 
Mai 1944 - Luftbild Gereonstraße und Kirche St. Gereon
Gereonsstraße und St. Gereon im Mai 1944
St. Greon nach der Zerstörung im Mai 1945
St. Gereon nach Zerstörung
Seit ca. 500 Jahren bestand die Architektur von St. Gereon weitgehend unverändert, bis im 2. Weltkrieg Bombenangriffe Köln schwer zerstörten. St. Gereon erlitt weniger Schäden als andere Kölner Kirchen, aber das Dekagon war weitgehend zerstört und einsturzgefährdet. Die Wiederherstellung gestaltete sich kompliziert und konnte erst 1985 abgeschlossen werden.







 
 
 
Details der Innenausstattung St. Gereon 
Pietàkapelle St. Gereon, 1897, mit rekonstruierter Ausmalung
Pietàkapelle (wilhelminisch)
1802 wurde das Stift St. Gereon im Zuge der Säkularisation aufgehoben und zur Pfarrkirche umgewidmet. Von der mittelalterlichen Ausstattung ist nur wenig erhalten. Über viele Jahrhunderte erfuhr die Kirche dem jeweiligen Zeitgeist entsprechende Umgestaltungen, zuletzt Ende des 19. Jahrhunderts nach Entwürfen von August Essenwein (1831 - 1892). Die ehemals den gesamten Kirchenraum umfassende und uns eher abschreckende Ausmalung des 19. Jahrhunderts ist in der Pietàkapelle rekonstruiert. 
In der Gegenwart ist die Innenausstattung von St. Gereon relativ karg. Die neuzeitliche Restaurierung verzichtet mit Ausnahme des mit goldenen Zungen oder Flammen auf rotem Grund bemalten Deckengewölbes auf farbliche Gestaltungen des Innenraums und zeigt nackte Steine. Umso mehr kommen besonders sehenswerte moderne Glasfenster insbesondere im Dekagon und im Hochchor zur Geltung.(10) An der Gestaltung von Fenstern in St. Gereon waren 4 Künstler beteiligt:
  • Georg Meistermann (1911 - 1990) und Wilhelm Buschulte (1923 - 2013) entwarfen die grandiosen Farbfensterzyklen des Dekagons sowie Fenster des Hochchors und der Vorhalle.
  • Der französische Glasmaler Alfred Manessier (1911- 1993) gestaltete Fenster der Krypta. 
  • Wilhelm Teuwen (1908 - 1967) verantwortet Fenster der Pietàkapelle sowie der Turmkapellen, die wir aus Zeitgründen nicht besichtigt haben.
  • Irene Rothweiler (* 1958) entwarf Fenster der von uns ebenfalls aus Zeitgründen nicht besichtigten Taufkapelle.
 
Romanischer Löwe, 12. Jh., in der Vorhalle (Narthex) St. Gereon
Romanischer Löwe der Vorhalle
'Blutsäule' am Eingang des Dekagons St. Gereon
Blutsäule, 4. Jahrhundert
Sehenswert sind in der Vorhalle zwei romanische Löwen aus dem 12. und 13. Jahrhundert, die ursprünglich nicht für diesen Standort geschaffen wurden.  

Am Eingang zum Dekagon ist in einer Nische das von Legenden umrankte und als Blutsäule bezeichnete Fragment einer Granitsäule aufgestellt, die wahrscheinlich aus dem Gründungsbau des 4. Jahrhunderts erhalten ist. Lt. Legende ist die Säule mit dem Blut der Märtyrer getränkt. Wenn sich ein Betrüger, Mörder oder sonstiger Verbrecher der Säule nähert, findet er den sofortigen Tod.

 
 
 
 
 

Ausschnitt des Altarbilds St. Gereon: Mittelalterliches irdisches Köln
Ehemaliges Altarbild St. Gereon: Irdisches Köln mit Kölner Heiligenhimmel, Johann Hulsmann und Johann Toussyn, ca. 1635) Im Hochchor zeigt ein erhaltenes Altarbild des von Johann Hulsman und Johann Toussijn (der Name hat verschiedene Schreibweisen) gestalteten ehemaligen Sebastianusaltars das vom Kölner Heiligenhimmel geschützte irdische Köln. Bemerkenswert ist vor allem die spätmittelalterliche Kölner Stadtansicht.



Anmerkungen
  1. Wikipedia: Kölner Gerichtswesen vom Mittelalter zur Neuzeit 
  2. Wikipedia: Vogt
  3. Quellen zur Heiligenlegende St. Gereon:
  4. Zu Mechtern:
    In Mechtern entstand an Stelle der Pfarrkirche St. Bartholomäus 1180 ein Kloster als Filiale von St. Gereon. Das Augustiner-Chorherrenstift St. Mechtern wurd 1277 wegen „Zuchtlosigkeit und Verschwendung“ aufgelöst und in ein Zisterzienserinnenkloster umgewandelt.
    1474 beschloss der Kölner Stadtrat, die vor den Stadttoren gelegenen Frauenklöster Mechtern und Weiher (Weyer, in der Region der heutigen Straße Weyertal) zu zerstören, weil die Klöster als Schwachstellen der Stadtbefestigung in der Kölner Stiftsfehde (1473 - 1480) galten.
  5. Das Kölner Stadtsiegel verkündete bis zum 18. Jahrhundert in lateinischer Sprache: Heiliges Köln, durch Gottes Gnade der römischen Kirche getreue Tochter - Lea Raith: Die Verherrlichung Kölns. Konstruktionen städtischer Vergangenheit vom 10.-12. Jahrhundert
  6. Skulpturen im Kulturraum NRW: Joseph Beuys - Stadtverwaldung anstelle von Stadtverwaltung
  7. Quellen zur Architektur von St. Gereon:
    • Wikipedia: St. Gereon (Köln)
    • Portal Colonia Romanica des Fördervereins Romanischer Kirchen Köln: St. Gereon
    • Webseite der Pfarrgemeinde St. Gereon Köln: St. Gereon
    • Hiltrud Kier und Ulrich Krings: Die Romanischen Kirchen in Köln, 5. Aufl, Köln 1991
  8. Bilddatenbank zu antiken Steindenkmälern: 20692 Altar für Isis Myrionyme
  9. Grabungsbericht Arnim von Gerkan (PDF)
  10. Eine ausführliche Betrachtung der Fenster erfordert eine spezielle Führung. Mit Tom Hammes haben wir abgesprochen, nach unseren Sommerreisen einen Privattermin für eine spezielle Führung zur Glaskunst zu vereinbaren. Vielleicht lässt sich zu dieser Führung im Freundeskreis eine Gruppe Interessierter organisieren. Wer für moderne Kunst keine Antennen hat, wird sich jedoch für die Fenster kaum begeistern können.

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