Sonntag, 27. Juni 2021

Führung in der Kölner romanischen Kirche Groß St. Martin

Rathausturm, Groß St. Martin und Kölner Dom von Deutzer Brücke
Kölner Rheinpanorama mit Vierungsturm Groß St. Martin zwischen Rathausturm und Kölner Dom
 
Im Rahmen eines Projektes der Besichtigungen romanischer Kirchen in Köln nehmen wir heute an einer Führung in Groß St. Martin teil. Der mächtige Vierungsturm von Groß St. Martin, ein Prestige-Objekt des Benediktinerordens, dominierte seit dem 13. Jahrhundert bis zur Vollendung des Kölner Doms im 19. Jahrhundert die Kölner Skyline am Rhein. Die Gründung des Kölner Klosters und Chorherrenstifts St. Martin verbirgt historisches Dunkel. Ab dem 10. Jahrhundert sind Kloster und Stift durch Quellen gesichert. Vorgängergebäude wichen nach einem großen Brand im Jahr 1150 einem im 13. Jahrhundert vollendeten Neubau im romanischen Stil, dessen Architektur bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg weitgehend unverändert blieb. Nach 40-jährigem Wiederaufbau konnte Groß St. Martin 1985 erneut geweiht werden. Seit 2009 ist in Groß St. Martin eine Niederlassung des aus Paris stammenden Ordens Fraternité de Jérusalem beheimatet.
Mit uns finden sich 3 weitere Interessierte zur Besichtigung ein. - Fotoserie  -  Einen virtuellen Besuch der Kirche gestattet ein Clip der Lokalzeit WDR: Unter Gottes Gewölbe - Groß St. Martin 
 

Groß St. Martin aus Nordwesten Westportal Groß St. Martin Fischmarkt und Vierungsturm Groß St. Martin aus Südosten

 
Architektur Groß St. Martin(1)
Die Kirche wurde in der historischen Kölner Rheinvorstadt östlich der befestigten Kernstadt errichtet. Das Gelände der Vorstadt lag ehemals auf einer schmalen, lang gestreckten Rheininsel, die ein sumpfiger Rheinarm abtrennte. Zur Römerzeit reichte eine Verlängerung des Rheinarms bis unter die Kernstadt und wurde als Hafen ausgebaut. Ab ca. 200 verlandete der Rheinarm. Da das Gelände sich nicht als Bauland eignete, entstanden hier die Plätze Alter Markt und Heumarkt.(2)
 
Das Kirchengebäude besteht aus einer dreischiffigen Basilika mit einer kleeblattförmigen zweigeschossigen Dreikonchenanlage (auch Drei-Konchen-Chor oder Kleeblattchor).(3) Der Zentralbau der Konchen bildet eine unechte quadratische Vierung, über der sich ein massiver Vierungsturm mit 4 mehrfach gegliederten und verzierten Flankentürmen erhebt.(4)

Bei der Weihung der Kirche im Jahr 1172 war das zweigeschossige Langhaus noch im Bau und wurde im Laufe des 13. Jahrhunderts fertiggestellt, als sich bereits der gotische Baustil durchzusetzen begann. Leicht zugespitzte Rundbögen der oberen Arkaden im Langhaus deuten diese Entwicklung an. Ab dem 13. Jahrhundert blieb die Bausubstanz abgesehen von Wiederherstellungsmaßnahmen und Reparaturen bis zur Säkularisation im Jahr 1802 weitgehend unverändert.


Hauptschiff Groß St. Martin in Richtung Chor Chorraum Groß St. Martin Seitenschiff Groß St. Martin
 
 
Ausstattung Groß St. Martin
Wie in allen Kölner romanischen Kirchen war auch der Innenraum von Groß St. Martin vollständig ausgemalt und mit zahlreichen Altären ausgestattet. Im 17./18. Jahrhundert erhielt Groß St. Martin eine barocke Ausstattung. Ende des 18. Jahrhunderts wurde Ferdinand Franz Wallraf (1748 - 1824) mit einer Neuausstattung beauftragt. Wallrafs Programm mischte barocke mit klassizistischen Elementen und war selbstverständlich umstritten. 

Nach der Säkularisation wurde das Kloster abgerissen. Das für unterschiedliche Zwecke genutzte Kirchengebäude verwahrloste. Ab 1861 begann eine umfassende Restaurierung, bei der das Innere der Kirche erneuert werden sollte. Mit der Planung wurde August Essenwein (1831 - 1892) beauftragt, Direktor des Germanischen Museums in Nürnberg. Essenweins Programm knüpfte im Geist des Historismus an die Bildsprache des Mittelalters an. Den ursprünglich großen Ausschmückungsplan setzte von 1868 bis 1885 in modifizierter und vereinfachter Form der Kölner Maler Alexius Kleinertz um. Bei zahlreichen Luftangriffe auf Köln wurde Groß St. Martin mehrmals von Bomben getroffen und erheblich beschädigt sowie die Ausstattung zerstört. Zum Ende des 2. Weltkriegs war Groß St. Martin eine Ruine. Von der Ausstattung des 19. Jahrhunderts sind Bodenmosaike erhalten. Reste der Ausmalung sind in einem Seitenschiff zu erkennen.(5) 
 
 
Tilman van der Burch zugeschriebene Kreuzigungsgruppe, 1509, unter gotischem Blendbogen, staufischer Taufstein Tilman van der Burch zugeschriebene Grablegungsgruppe, 1509 Statue des St. Eliphius, 2. Schutzpatron der Kirche Groß St. Martin
 
Während des 40-jährigen Wiederaufbaus von Groß St. Martin diskutierten Konservatoren ausführlich die Frage der Vervollständigung der Innenraumbemalung, die schließlich unterblieb, weil nicht entscheidbar war, welcher Zustand eine historisch authentische Restaurierung rechtfertigt. Von der Innenausstattung sind neben Ausstattungsresten des 19. Jahrhundert von einem 1509 gestifteten Kreuzaltars zwei Figurengruppen erhalten, die Kreuzigungsgruppe und die Grablegungsgruppe im gotischen Stil. Das Werk wird dem Kölner Bildhauer und Holzschnitzer Tilman van der Burch zugeschrieben. In der Gegenwart steht die Kreuzigungsgruppe am vermuteten Originalstandort unter einem gotischen Blendbogen, der überputzt war und erst bei der Restaurierung entdeckt wurde. Ein staufischer Taufstein des 13. Jahrhunderts und eine den zweiten Patron der Kirche symoblisierende Figur, Eliphius von Rampillon,(6) stammen aus anderen Umgebungen. 
 
 
Ausgrabungen unter Groß St. Martin
Ausgrabungen unter der OstkoncheZerstörung Groß St. Martin im 2. Weltkrieg Der Wiederaufbau von Groß St. Martin ermöglichte unter der Kirche Grabungen, nach deren Abschluss Grabungsorte öffentlich zugänglich gemacht wurden. Grabungen im Rahmen des Kölner U-Bahnbaus erschlossen weitere Erkenntnisse über die römische Stadtgeschichte und Architekturen der historischen Kölner Rheinvorstadt.(7,8) Die Besichtung von Grabungsorten ist ein Highlight der Führung.
 
Anmerkungen
  1. Quellen zur Architektur von Groß St. Martin:
  2. Fortis Colonia: Chronologie der Kölner Befestigung
  3. Als Schöpfungsbau dieses mittelalterlichen Architekturtypus gilt die Kölner romanische Kirche St. Maria im Kapitol, die wir bisher noch nicht besichtigt haben. Die Bauform ist jedoch in der Sakralarchitektur wesentlich älter. Die Geburtskirche Bethlehem ist wahrscheinlich das Vorbild mittelalterlicher Dreikonchenanlagen.
  4. Vierungstürme oder -kuppeln sind ein typisches Element mittelalterlicher romanischer Architektur und insbesondere in Frankreich und in Irland verbreitet. 
  5. Einen Eindruck von Groß St. Martin in der Ausstattung von August Essenwein dokumentiert das Portal Geschichte der Fliese: Mettlacher Platten- und Stiftmosaikbeläge in der Kölner Kirche Groß St. Martin
  6. Ökumenisches Heiligenlexikon: Eliphius
  7. Wikipedia: Archäologische Befunde über römische Vorgängerbauten
  8. Wikipedia: Topografie und archäologische Befunde der historischen Kölner Rheinvorstadt  

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