Dienstag, 29. Juni 2021

Führung in der Kölner romanisch-gotischen Kirche St. Severin

Ballonfahrt über Severinstraße, St. Severin in Köln - © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Unser Besichtigungsprojekt romanischer Kirchen in Köln motiviert zur Teilnahme an einer vom Kölner Domforum organisierten Führung in St. Severin. Die Kirche ist dem dritten Bischof von Köln, dem Heiligen Severin geweiht, Schutzpatron der Stadt Köln sowie der Weber.(1) Das Bauwerk liegt im Zentrum des Severinsviertels der südlichen Kölner Altstadt in einem eng bebauten Viertel und ist nur aus der Luft überschaubar. In Richtung Severinstraße ist dem Mittelschiff der Kirche ein zweigeschossiger gotischer Westturm mit quadratischem Grundriss vorgelagert.(2) 
Die Baugeschichte von St. Severin setzt in der Römerzeit um 320 ein und erlebt in ihrer langen Zeitspanne zahlreiche Umbauten und Veränderungen gemäß zeitlich modischer Baustile und Ausstattungen. Oberflächlich betrachtet stellen sich in der Gegenwart zunächst Eindrücke eines unspektakulären Kirchengebäudes ein. Ganz im Gegenteil begeben wir uns dank kompetenter und engagierter Führung einer in der Pfarrgemeinde St. Severin verwurzelten Historikerin auf eine spannende Zeitreise, die trotz Fußball-EU und Spiel der deutschen Mannschaft gegen England 5 Teilnehmer interessiert. - Fotoserie
 
 
Vorgeschichte und Baugeschichte St. Severin(3)
Römische Stadt Köln und römische Begräbnisstätten an Ausfallstraßen Das römische Köln, Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA), lag im Zentrum strahlenförmig angeordneter römischer Fernstraßen.(4) Kölner Verbindungsstraßen der Gegenwart, wie Severinstraße (Bonner Straße), Luxemburger Straße, Aachener Straße, Neusser Straße gehen auf römische Heeres- und Handelsstraßen zurück. Im gesamten römischen Reich lagen Bestattungsplätze außerhalb der Stadt an Verbindungsstraßen. Daher waren Ausfallstraßen zugleich Begräbnisstraßen. In CCAA bestanden an allen Ausfallstraßen Begräbnisfelder. Das südliche Gräberfeld an der Severinstraße war das größte. Es wurde über mehrere Jahrhunderte genutzt und im späten 4. Jh. christlich umgewidmet. 
 
 
 
 
Erweiterungen des früchchristlichen Kirchenbaus, fränkische Grabstätten, Umrisse der Kirche St. SeverinGräberfelder 1. - 5. Jahrhundert, frühchristliche Kirche des 4. Jh. Weitläufige Ausgrabungsräume machen die Geschichte von St. Severin im Untergrund anschaulich. (5) Um das Jahr 320 ließ eine wohlhabende römische Familie in dem Gräberfeld einen Saalbau mit Apsis errichten, der sich unter dem Mittelschiff von St. Severin befindet. Severins Bestattung kann auf dem Gräberfeld archäologisch nicht nachgewiesen werden. Seitenschiffartige Erweiterungen und eine Vorhalle entstanden nach christlicher Umwidmung im 5. oder 6. Jahrhundert. Seit 866 ist ein Chorherrenstift bezeugt. Im 9. Jahrhundert begann der Bau einer 948 geweihten dreischiffigen romanischen Basilika. Gemäß strittiger Deutung war möglicherweise die Überführung von Reliquien des Heiligen Severin Auslöser dieser Aktivitäten. 
 
In der Umgebung des Chorherrenstifts siedelte sich das dörflich geprägte Kirchspiel St. Severin an. Bis zum Hochmittelalter lag das Kirchspiel außerhalb der Kölner Stadtmauer, weshalb das Stift von einer eigenen Befestigungsanlage geschützt war. Mit der letzten Erweiterung der Stadtmauer von 1180 bis 1259 erfolgte die Eingliederung des Kirchspiels in die Stadt Köln. Formal wurde der Stiftsbezirk erst mit der Säkularisation im Jahr 1802 aufgehoben. Die Ur-Bevölkerung des Viertels pflegt bis in der Gegenwart ein ausgeprägtes Veedel-Bewusstsein der traditionellen Zusammengehörigkeit.  
 
 
Innenraum des römischen Saalbaus, um 320Apsis des römischen Saalbaus, um 320 In Ausgrabungsräumen unter St. Severin sind Reste des römischen Saalbaus aus dem Jahr 320 erhalten. Die eher unordentliche Anordnung römischer und fränkischer Steinkisten- und Brandgräber sowie zahlreicher Steinplatten resultiert aus dem Sachverhalt, dass für Bauaktivitäten in späterer Zeit Steinmaterial von Gräbern bevorratet wurde.
 
 

Dreischiffige Hallenkrypta (1043 geweiht) unter St. Severin Confessio mit Severinsgrabstätte in der Krypta, 10. Jh. Mit dem Neubau der dreischiffigen Basilika wurde im 10. Jahrhundert unter dem Hauptaltar der Basilika auf Höhe der Ausgrabungsräume eine stollenartige Krypta angelegt, die in einer Confessio Gebeine des Heiligen Severin in einer Holzlade aufnahm. Bei 1030 beginnenden Erweiterungen erfolgten ein Ausbau der Confessio und der Anbau einer dreischiffigen Hallenkrypta.

 
Stoffumhüllung der Reliquien: Seidengewebe des 7.–10. Jh. aus dem frühislamischen Kulturraum Sacrarium in einer Seitenkrypta von St. Severin Die Sakristei der Krypta dient in der Gegenwart als Sacrarium, in dem Objekte der Heiligenverehrung aufgehoben sind. 1999 wurde die versiegelte Reliquienlade geöffnet, um den Inhalt wissenschaftlich zu untersuchen. Dabei wurden u.a. Seidentücher gefunden, in die Gebeine des Heiligen verpackt und als Bündel in einer Holzlade aufgehoben waren.(6) Vermutlich sind die Seidentücher im 7. - 9. Jahrhundert auf der Seidenstraße aus dem frühislamisch-asiatischen Kulturraum nach Europa gelangt. 

 
Architektur und Innenausstattung St. Severin
Romanischer Chor St. Severin Blick aus dem Chor in das Langhaus St. Severin Gotisches Langhaus St. Severin
 
Mit Umbauten ab 1286 erhielt das fünfjochige Langhaus zum Beginn des 16. Jahrhunderts seine heutige spätgotische Form. Das 1393 - 1411 errichtete Untergeschoss des gotischen Westturms ersetzte einen romanischen Westbau. Das Obergeschoss entstand 1518 - 1526. Bis 1550 wurde ein Spitzhelm aufgesetzt. Auch nach dem 16. Jahrhundert wurden noch zahlreiche Umbauten, Erneuerungen und Sanierungen durchgeführt. Eine zwischenzeitliche Barockisierung der Ausstattung ersetzte im 19. Jahrhundert eine historizistische neuromanische Ausstattung, die 1932 - 1937 einer puristischen Neugestaltung wich.
 
Im 2. Weltkrieg erlitt St. Severin zwischen 1942 und 1945 starke Kriegsschäden. Von 1945 bis 1961 erfolgte ein Neuaufbau mit dem Ziel, die in verschiedenen Bauphasen über Jahrhunderte errichtete romanisch-gotische Kirche wiederherzustellen. Auf zeitgeschichtlich wechselnde ehemalige Innenraumausmalungen wurde bis auf sparsame Akzente an Säulenkapitellen verzichtet. Zuletzt wurde St. Severin im Zeitraum 2015 - 2018 in einem umfassenden Projekt vollständig saniert, restauriert und erneuert. In der Gegenwart überzeugt St. Severin mit einer gelungenen Balance zwischen Architektur betonender puristischer Schlichtheit und eher wenigen bemerkenswerten sakralen Ausstattungsobjekten, die in dieser Umgebung eine besondere Magie entfalten.  

 
Bilderzyklus der Severinslegende um 1520 im gotischen Stil, unbekannter Meister von St. Severin Romanischer Chor mit Severin-Bilderzyklus (um 1500) und gotischem Chorgestühl (Ende 13. Jh.) Glanzstücke von St. Severin verdichten sich im Hochchor. Das überwiegend im Original erhaltene und auf beiden Seiten des Chores angeordnete gotische Chorgestühl des 13. Jahrhunders ist das älteste erhaltene Chorgestühl in Köln und mit kunstvollen naturalistischen figürlichen Darstellungen und Ornamenten ausgestattet. Zwei um 1520 vom unbekannten Meister von St. Severin im gotischen Stil gemalte Bildzyklen an Wänden über dem Chorgestühl zeigen auf der Südseite Szenen der Severin-Legende und stellen auf der Nordseite Stifts-Chorherren in ihren jeweiligen Umgebungen dar. Zwei im 19. Jahrhundert neugotisch überarbeitete monumentale Bilder des 14. Jahrhunderts zeigen Marias Krönung und Marias Himmelfahrt.
 
 
Severinusschrein (1819)Führung im Chor St. Severin Die vergoldete Truhe des Severin-Schrein aus dem 11. Jahrhundert wurde 1798 eingeschmolzen, um Kriegslasten der napoleonischen Besatzung zu begleichen.(7) Im Rahmen der historistischen Chorausstattung des 19. Jahrhunderts entwarf der Kölner Bildhauer Friedrich Wilhelm Mengelberg 1888 den aktuellen neuromanischen Hochaltar mit Reliquenschrein, in dem sich die Holzlade mit Reliquien des Heiligen Severin befindet. Vier große Bronzereliefs auf der Stirnseite des Severin-Schreins stellen die wichtigsten Stationen des Heiligen gemäß Legende dar. Der 2016 restaurierte Schrein ruht auf Säulen. Am Ende der wöchentlichen Severinusmesse schreiten Gläubige mit Priester und Messdienern in einer Prozession unter dem Schrein hindurch und an Reliquien geöffneter Schatzschränke in der Wand des Hochchores vorbei, um den wöchentlich zu erneuernden Schutz des Heiligen zu erhalten.(8)

Im Volksmund ist die Severinusmesse auch als Hörnchensmesse bekannt.(9) Die Bezeichnung leitet sich von einem der Reliquiare ab, an denen die Prozession vorbeizieht. Das "Hörnchen"ist ein verziertes Büffelhorn, das im 14. Jahrhundert ursprünglich als Trinkgefäß oder Jagdhorn entstand und um 1500 zum Reliquiar umgewidmet wurde. Das Horn verweist auf den Heiligen Cornelius(10), der zusammen mit dem Heiligen Cyprian(11) und dem Heiligen Severin das Patronat von St. Severin bildet und enthält Reliquien des Heiligen Cornelius.(12) Das Horn beruht als Attribut des Heiligen Cornelius auf einer volksetymologischen Herleitung des Namens "Cornelius" von lateinisch "cornu" (Horn).(13) 
 
 
Abendmahlstriptychon von Bartholomäus Bruyn, um 1550/55 Die hoch interessante, spannende Führung endet am Abendmahlstriptychon (um 1550/55) des Kölner Malers Bartholomäus Bruyn der Ältere (1493 – 1555), der zu den bedeutendsten deutschen Malern der Renaissance zählt und wahrscheinlich ein Mitarbeiter der Werkstatt des unbekannten Meisters von St. Severin war.(14) Im 2. Weltkrieg war das Triptychon nach Thüringen ausgelagert und kam erst nach langen Verhandlungen mit der damaligen DDR gegen eine Kostenerstattung von 1,6 Millionen DM nach Köln zurück. Den Betrag brachte eine bürgerliche Kölner Stiftung auf.(15)
 
 


 
 
Anmerkungen
  1. Quellen zur Heiligenlegende:
  2. Vorbild des gotischen Westturms war der erste Turm der Duisburger Salvatorkirche  (Baukunst NRW: St. Severin Köln
  3. Quellen zur Architektur von St. Severin:
  4. Die römische Nord-Süd-Verbindung entlang des Rheins führte durch Köln (Neusser Straße und Severinstraße). In Köln begannen oder endeten die zum Atlantik führende Via Belgica (auch Via Agrippinensis, heute Aachener Straße) sowie die über Trier nach Marseille führende Via Agrippa (heute Luxemburger Straße). Eine Rheinbrücke zum Kastell Deutz stellte Anschlüsse zum rechtsrheinischen Raum her. - Quellen:
  5. Römisch Germanisches Museum: Unter St. Severin
  6. Berichte zur Öffnung des Schreins:
  7. LVR: Das Rheinland unter den Franzosen (1794 - 1813)
  8. Katholische Kirchengemeinde St. Severin Köln: Severinusmesse
  9. Katholische Kirchengemeinde St. Severin Köln: Das "Hörnchen" aus St. Severin
  10. Ökumenisches Heiligenlexikon: Cornelius
  11. Ökumenisches Heiligenlexikon: Cyprian von Karthago
  12. Erzbistum Köln: Cornelius-Verehrung
  13. "Das Horn ist das ikonografische Heiligenattribut des Papstes Cornelius, was auf eine Fehlinterpretation des Namens „Cornelius“ vom lateinischen „cornu“ (Horn) zurückgeht und zu seiner Rolle als Patron des „Hornviehs“ geführt hat." - Wikipedia: Korneliushorn aus St. Severin
  14. Wikipedia: Bartholomäus Bryn der Ältere
  15. Katholische Kirchengemeinde St. Severin Köln: Abendmahl in St. Severin

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