Sonntag, 8. Juni 2025

Expressionismus und Gabriele Münter im Schlossmuseum Murnau

Schloss Murnau,13. Jh. Gabriela Münter, Murnau (1908), Selbstbildnis (1909), Erma Bossi und Kandinsky am Tisch (1909(/10) Fußgängerzone Murnau Untermarkt
 
Das Wetter bleibt instabil. Wir bevorzugen ein Kulturprogramm und fahren zum 20 km entfernten Ort Murnau am Staffelsee, um von Gabriele Münter hinterlassene Spuren zu besichtigen. Die 1877 in Berlin geborene Malerin gilt neben Paula Modersohn-Becker als bedeutendste Vertreterin des Expressionismus. Von 1909 bis zu ihrem Tod 1962 lebte Gabriele Münter in Murnau, wo Werke von ihr im Schlossmuseum ausgestellt sind und ihr Wohnsitz Münter-Haus besucht werden kann. Wir beschränken uns auf das Schlossmuseum. - Fotoserie
 
 
Schlossmuseum
 
Der Wohnturm des im 13. Jahrhundert errichteten und im 16. Jahrhundert ausgebauten Murnauer Schlosses bildet den Kern eines räumlich und lichttechnisch als Kunstmuseum eher suboptimalen Gebäudes. Die Wetterlage zieht zahlreiche Besucher an, die das Sehvergnügen in den verwinkelten und zu hoch temperierten Räumlichkeiten zusätzlich einschränken. Den Ticketpreis halten wir mit 11,50 € bzw. 10 € Senioren für ein Provinzmuseum als überzogen, wenn man sie z.B. mit den Münchener Pinakotheken vergleicht. In der Alten und Neuen Pinakothek werden jeweils nur 9 € / 6 € bzw. 10 € / 7 € in der Pinakothek der Moderne aufgerufen. Sonntags erheben alle drei Museen nur 1 €. 
 
Neben ca. 80 Gemälden, Grafiken, Zeichnungen Gabriele Münters zeigt die Sammlung "Neue Künstlervereinigung München” und "Der Blaue Reiter” Werke von Wassily Kandinsky, Franz Marc, Alexej Jawlensky, Marianne von Werefkin, Alexander Kanoldt, Franz Marc, Heinrich Campendonk, Erma Bossi, Adolf Erbslöh, Alfred Kubin, August Macke. Der Bestand des Schlossmuseums umfasst darüber hinaus Sammlungen von Hinterglaskunst, Malerei des 19. Jahrhunderts sowie eine Dokumentation zum Leben und Werk Ödön von Horváths, der von 1920 bis 1933 in Murnau lebte. Außerdem zeigt das Museum Leihgaben der Antikensammlung von James Loeb.
 
Die aktuelle Sonderausstellung ist der Malerin Olga Meerson (1882-1930) gewidmet, eine russisch-jüdische Schülerin von Kandinsky und Muse von Matisse, die sich 1912 mit Heinz Pringsheim verheiratete, Schwager von Thomas Mann. Ein Artikel der FAZ beschreibt die Biografie: Für Matisse war sie mehr als eine Schülerin. Als sich Heinz Pringsheim 1930 einer anderen Herzensdame zuwendete, begann Olga Meerson Suizid. 
 
Gabriela Münter, Murnau (1908), Selbstbildnis (1909) Wasslily Kandinsky, Münter als Malerin (1908), Gabriele Münter (1908/9) Gabriele Münter (1933) Gabriele Münter Gabriele Münter, Wegkreuz in Kochel (19909), Murnau (1909) Gabriele Münter, Högener Kirche mit weidendem Pferd (1939), Herbstlandschaft (1933) Alexej von Jawlensky, Violetter Turban, 1911 IMG_9858.jpg IMG_9860.jpg IMG_9871.jpg Gabriele Münter, Bootsfahrt Gabriele Münter Gabriele Münter Alexej von Jawlensky Heinrich Campendonk Heinrich Campendonk
Bei Positionierung des Cursors auf einem Bild werden Beschriftungen gezeigt, die jedoch unvollständig sind.  
 
 
Biografische Skizzen zu Gabriele Münter und Wassily Kandinsky
 
Gabriele Münters (1877-1962) bemerkenswerte Biografie beschreibt der Eintrag in Wikipedia ausführlich. Aus heutiger Sicht war Gabriele Münter eine frühe Feministin mit für ihre Zeit ungewöhnlichem Selbstbewusstsein und großer Eigenständigkeit. Bereits in jungen Jahren begann Gabriele Münter zu malen und war entschlossen, ihre zu Fähigkeiten entwickeln. Nach dem Tod der Eltern unternahm Gabriele Münter mit ihrer Schwester ab 1897 eine zweijährige Reise in die USA.
 
Da Frauen zu dieser Zeit eine Ausbildung in staatlichen Kunstakademien verschlossen blieb, mussten sie sich mit Malschulen, Malkursen und privaten Lehrern begnügen. 1901 zog Gabriele Münter nach München. Im Sommer 1902 nahm sie in Kochel an einem Malkurs von Wassily Kandinsky (1869-1944) teil. Die beiden kamen sich näher und gingen eine Beziehung ein. 1903 verlobten sie sich, was Heiratsabsicht bedeutete, obwohl Kandinsky zu dieser Zeit in Russland mit einer Cousine verheiratet war. Ab 1904 unternahmen Münter und Kandinsky ausgedehnte Reisen in Europa und Nordafrika.
 
Am Münchener Wohnsitz von Münter und Kandinsky waren das russische Künstlerpaar Marianne von Werefkin (1860-1938) und Alexej von Jawlensky (1865-1941) ihre Nachbarn. Jawlensky wird als umtriebiger Schürzenjäger beschrieben. Marianne von Werefkin war finanziell unabhängig. Sie lehnte eine Ehe mit Jawlensky ab und akzeptierte die Beziehung Jawlenskys mit dem Hausmädchen, mit dem er ein Kind hatte. Werefkin und Jawlensky pflegten Verbindungen nach Frankreich. Sie orientierten sich an der Avantgarde der französischen Malerei und inspirierten Münter und Kandinsky. Zeitweilig bestand eine enge Zusammenarbeit zwischen den Paaren.
 
1909 entdeckten Münter und Kandinsky das Münter-Haus in Murnau. Aufgrund ihrer Erbschaft konnte Gabriele Münter das Haus erwerben, in dem sie gemeinsam bis 1914 wohnten und Kontakte mit der in der Umgebung lebenden künstlerischen Avantgarde pflegten. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs emigrierten sie gemeinsam in die Schweiz. 1914 reiste Kandinsky nach Russland und ließ sich in Moskau nieder, wo er in zweiter Ehe heiratete. Gabriele Münter ging 1915 nach Stockholm, 1917 nach Kopenhagen und kehrte 1920 nach Deutschland zurück. Kandinsky übernahm 1922 eine Lehrtätigkeit am Bauhaus, die er in Weimar, Dessau, Berlin bis 1933 ausübte und sich in Richtung Abstraktion entwickelte. 
 
Am sich als politisch progressiv und als künstlerische Avantgarde verstehenden Bauhaus waren Frauen formell gleichberechtigt zum Studium zugelassen. In der Realität wurden sie marginalisiert und in Textilfächer oder die Töpferei abgedrängt und als Bauhausmädels bezeichnet. "Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib", soll der Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer abfällig über die Bauhaus-Studentinnen gesagt haben. Er war nicht der Einzige: So behauptete der Bauhausmeister und Begründer der Farbtypenlehre Johannes Itten, dass Frauen nur zweidimensional denken könnten, Männer hingegen dreidimensional. Und Paul Klee war sich sicher: Genie ist männlich. (Zeit, 27.01.2019: 100 Jahre Bauhaus: Und wo sind die Frauen?)
 
Grabstelle Gabriele Münter und Johannes Eichner auf dem Friedhof St.Nikolaus in Murnau
Grab Gabriele Münter, Johannes Eichner
Friedhof St.Nikolaus in Murnau
CC 2.0 User: Mattes
Bis Gabriele Münter in den 1920er Jahren von Kandinskys Heirat erfuhr, glaubte sie noch an das Eheversprechen. Zwischen Münter und Kandinsky entwickelte sich ein harter Rosenkrieg, in dem Kandinsky seine in Murnau hinterlassenen Arbeiten zurückforderte. 1926 erkannte er Münters Eigentumsrechte an diesen Arbeiten an. 1927 lernte Gabriele Münter den 9 Jahre jüngeren Kunsthistoriker Johannes Eichner (1886-1958) kennen. Die beiden liierten sich und lebten gemeinsam bis zu Eichners Tod im Münter-Haus. Eichner wurde Münters Agent und Förderer. Auf dem Friedhof Murnau sind sie in einem gemeinsamen Grab bestattet.
 
Zur Zeit des Nationalsozialismus galt expressionistischer Malerei als entartet. Persönlich blieb Gabriele Münter unbehelligt, aber sie konnte keine Arbeiten ausstellen oder verkaufen. Um über die Runden zu kommen vermietete sie zeitweilig das Haus oder Zimmer. Weil Beschlagnahmung zu befürchten war, versteckte sie alle Arbeiten ihres Besitzes und konnte sie so über den Zweiten Weltkrieg retten. Ihren Besitz brachte Gabriele Münter testamentarisch in eine vom Münchener Lehnbachhaus verwaltete Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung ein. Bis zu den 1980er Jahren galt Gabriele Münter als ein eher naives Anhängsel des Expressionismus. Seit den 1990er Jahren wird ihr Einfluss auf den Expressionismus als bedeutend bewertet. In der Gegenwart erhalten Gabriele Münters Arbeiten zunehmende Wertschätzung.

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