Chick Corea hat die alten Kumpels der Fusion-Ära wieder einmal gerufen, um gemeinsam mit ihnen das Doppelalbum "Forever" einzuspielen, das insbesondere Titel des Albums "Hymn of the 7th Galaxy" aus dem Jahr 1973 aufgreift und in der sensationellen Besetzung mit Stanley Clarke (Bass) und Lenny White (Drums) akustisch und elektrisch neu interpretiert. Bill Connors, Gitarrist der Urversion aus 1973 und der französische Jazz-Geiger Jean-Luc Ponty komplettieren diese hochkarätige Besetzung.
Von Juni 2011 bis September 2011 geht die Formation mit diesem Material und einer personellen Veränderung auf Welttournee: Frank Gambale, der bereits in den 80er Jahren Mitglied der Chick Corea Electric Band war, ersetzt Bill Connors als Gitarristen. Ein Konzert der "Forever Welttournee" findet im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr 2011 am 11. Juli 2011 in der Duisburger Mercatorhalle statt.
In seiner seit mehr als 30 Jahren äußerst erfolgreichen Musikerkarriere kann Chick Corea eine eindrucksvolle Liste von Awards vorweisen, zu denen u.a. 16 Grammy's sowie die Aufnahme in die Hall of Fame im Jahr 2010 zählen.
Ein Rückblick auf die Hintergründe offenbart einige interessante Zusammenhänge!
Rückblick - Miles Davis und die Entwicklung des Fusions
Maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des Fusion (Jazz-Rock) hatte insbesondere Miles Davis:
- 1968 beruft Miles Davis den Pianisten Chick Corea als Ersatz für den ausgeschiedenen Herbie Hancock in seine Formation.
- Im Zeitraum 1962 - 1969 begründet Tony Williams im Miles Davis Quintet seinen Ruf als Ausnahmedrummer. Als Tony Williams 1969 aus dem Quintet ausscheidet, holt Miles Davis Jack de Johnette in seine Formation.
- Auf den Gitarristen John McLaughlin wird Miles Davis aufmerksam, als John McLaughlin mit zwei Musikern des Umfeldes von Miles Davis, Tony Williams (Drums) und Larry Young (Organ) ein Power Trio bildet. 1969 spielt dieses Trio unter dem Namen Lifetime das hochenergetische Album "Emergency! Vol. 2" ein, das die Stilrichtung des Fusions vorwegnimmt. Es soll Tony Williams gewesen sein, der die Verbindung zu Miles Davis herstellt. Miles Davis holt John McLaughlin in seine Band.
- Miles Davis spielt 1969 mit dieser jazzgeschichtlich revolutionären Fusion-Formation unter dem Eindruck des Woodstock Festivals das legendäre Album "Bitches Brew" ein, das nach seiner Veröffentlichung im Jahr 1970 den Urknall des Fusions auslöst. An den Keyboards sind neben Chick Corea auch Joe Zawinul und Larry Young beteiligt. Der Saxophonist Wayne Shorter zählt seit 1964 zur Stammbesetzung. An den Drums spielt neben Jack de Johnette auch Lenny White.
Rückblick - Fusion in der Ära nach Miles Davis
Nach Einspielung des Albums "Bitches Brew" löst sich diese Formation bereits wieder auf. Nun sind es insbesondere einige ihrer ehemaligen Mitglieder, die Fusion in mehreren wegweisenden Formationen weiterentwickeln und sich in den letzten Jahrzehnten als Giganten des Jazz profilieren:
- Gemäß John McLaughlin's eigener Darstellung fordert Miles Davis ihn 1970 nach einem gemeinsamen Auftritt in Boston auf, eine eigene Band zu gründen. John McLaughlin formiert 1971 das außergewöhnlich erfolgreiche Mahavishnu Orchestra. Zur Gründungsformation gehören Billy Cobham (Drums), Jan Hammer (Keyboards), Rick Laird (Bass) und der Jazzgeiger Jerry Goodman, der zuvor Mitglied der spannenden Fusion-Formation The Flock war.
- Joe Zawinul (Keyboard) und Wayne Shorter (Saxophon) gründen 1970 mit weiteren und häufig wechselnden Mitgliedern Wheather Report, nach Ansicht des DownBeat Magazine (weltweit führende Jazz-Fachzeitschrift) eine der wichtigsten Jazzbands seit den 70er Jahren.
- Neben seinen Solo-Projekten spielt Chick Corea zunächst gemeinsam mit dem Bassisten Dave Holland, der ebenfalls von Miles Davis kommt, in verschiedenen Formationen, die einen akustischen und eher freien Jazz bevorzugen. 1972 gründet Chick Corea mit dem Bassisten Stanley Clarke die Formation Return to Forever, deren Stil zunächst in Richtung Latin weist. In Verbindung mit einigen Umbesetzungen stößt 1973 Lenny White zu der Formation, die nun als Fusion-Band das auch kommerziell erfolgreiche Album "Hymn of the 7th Galaxy" einspielt. 1974 gewinnt Chick Corea den erst 19jährigen Gitarristen Al Di Meola für Return to Forever. In den Folgejahren veröffentlichen Return to Forever einige außerordentlich erfolgreiche Alben im Fusion-Stil, mit denen Al Di Meolas Weltkarriere startet.
Entwicklungsstränge, Querbeziehungen und Tiefenstrukturen
Chick Corea bleibt seit den 70er Jahren nicht ausschließlich dem Fusion verpflichtet, sondern entfaltet seine künstlerischen Fähigkeiten in unterschiedlichen Stilrichtungen. Chick Coreas Vorliebe für Musik des Latin und Spain bleibt durchgängig erkennbar und erlebt 1976 einen Höhepunkt mit dem Album "My Spanish Heart". Auch hier zeigt sich im Hintergrund der Geist des Meisters. Miles Davis reflektiert in den 50er Jahren das Erbe der spanischen Musik und ehrt 1959 mit dem musikgeschichtlich herausragenden Album "Sketches of Spain" dieses Vermächtnis.
Bezüge zur Musik des Latin und Spain sowie die Zuwendung zu kosmisch-mythischen Themen in quasi-religiöser Ausprägung bilden eine Konstante in Chick Coreas reichem Schaffen. Insbesondere der kosmisch-mystische Aspekt seines Werkes wird in Anbetracht von Chick Coreas Verbindung zu Scientology nachvollziehbar und macht schamanenhafte Züge seiner Persönlichkeit verständlich.
Spiritueller Hunger, der Orientierung an metaphysischen Strukturen und Handlungsprogrammen fordert und schamanenhafte Züge fördert, bildet interessanterweise auch bei John McLaughlin eine starke Motivation. John McLaughlin zeigt sich zunächst von Carlos Castaneda und dessen "Lehren des Don Juan" beeinflusst, die den Weg zu einer von kulturellen Grenzen befreiten Wahrnehmung u.a. mittels Einsatz halluzinogener Pflanzen aufzeigen. Während Miles Davis (wie viele andere Jazzgrößen seiner Zeit) nicht als Drogengegner auffällt, kann John McLaughlin dem Einfluss von Drogen erfolgreich entkommen, indem er sein Leben neu ausrichtet und sich der indischen Kultur und dem Buddhismus zuwendet. Sri Chinmoy, sein Guru, gibt ihm den Namen Mahavishnu, den John McLaughlin auf mehrere Formationen des Mahavishnu Orchestras überträgt. Bezüge zur indischen Musik bilden seit den 70er Jahren eine Konstante in John McLaughlin's Musik.
Die verwandten Motivationsmuster bei Chick Corea und John McLaughlin sind für das Verständnis ihrer Musik von untergeordneter Bedeutung. Der Blick auf diese Muster gleicht eher einem Blick unter die Motorhaube herausragender Kreativitätsmaschinen. Trotz dieser bemerkenswerten Zusammenhänge entsteht nach der Miles-Davis-Ära erst wieder im Jahr 2008 eine intensive Zusammenarbeit zwischen Chick Corea und John McLaughlin. Sie formieren gemeinsam die Five Peace Band, die sich erneut auf Fusion besinnt und das Material ihres Doppelalbums in den Jahren 2008 und 2009 während einer Welttournee vorstellt.
Erwähnenswert ist in der Musikergeschichte John McLaughlin's u.a., dass dieser in den 60er Jahren mit Ginger Baker und Jack Bruce Mitglied der Graham Bond Organization war, deren Musik bereits eine Verbindung zwischen Jazz und Blues eingeht. Nachdem Ginger Baker und Jack Bruce die Gruppe verlassen, um zusammen mit Eric Clapton 1966 die legendäre Superformation des Blues-Rock mit dem Namen Cream zu gründen (die sich 1968 bereits wieder auflöst), und John McLaughlin ebenfalls die Gruppe verlässt, um sich dem Jazz zuzuwenden, stoßen Jon Hisemann und Dick Heckstall-Smith zur Graham Bond Organization. 1968 verlassen Jon Hisemann und Dick Heckstall-Smith die Gruppe wieder. Nach einem kurzen Intermezzo bei John Mayall's Bluesbrakers gründen sie 1968 die Jazz-Rock-Blues-Band Colosseum, die wenige Jahre als eine herausragende Life-Band ausschließlich auf Tour ist und bald ausbrennt.
John McLaughlin und Jack Bruce sind dann noch einmal gemeinsam an Carla Bley's Projektmonument einer Jazz Opera beteiligt, deren Ergebnis nach vierjähriger Arbeit 1971 als Tripple-Album mit dem Titel "Escalator over the Hill" erscheint. Erst im Juni 1997 findet im Rahmen der MusikTriennale Köln die konzertante Erstaufführung dieses Meilensteins zeitgenössischer Musikgeschichte statt, an der jedoch John McLaughlin, Jack Bruce und einige weitere Schlüsselfiguren der Ersteinspielung nicht mehr beteiligt sind. Dank kongenialem Ersatz ist die Erstaufführung nicht nur ein Höhepunkt der MusikTriennale, sondern darüber hinaus ein musikgeschichtlich herausragenden Ereignis.
Nachbemerkung
Unter dem Einfluss eigener Erfahrungen und Vorlieben versucht dieser Post, einige Hintergründe und Kontexte des Auftritts von Chick Corea's Return for Forever auf dem Klavier-Festival Ruhr 2011 auszuleuchten. Diese Kurzdarstellung fokussiert auf Fusion-Aspekte mit einigen strukturellen Zusammenhängen im Umfeld von Chick Corea und Miles Davis. Der Post beansprucht nicht, die Entwicklung des Fusions insgesamt, seine musikgeschichtliche Bedeutung, seine Abgrenzung zu anderen Stilrichtungen, seine wichtigsten Protagonisten und seine vielfältigen wie verschlungenen Quer- beziehungen umfassend darzustellen oder angemessen zu bewerten.
Heroen wie Miles Davis, John McLaughlin, Wayne Shorter, Jack Bruce, Ginger Baker, Carla Bley, Jon Hiseman, Dick Heckstall-Smith konnten wir bereits in Konzerten (z.T. auch mehrfach und in unterschiedlichen Formationen) erleben. Das Erlebnis eines Konzerts mit Chick Corea und Return for Forever ist uns bisher entgangen. Um so erfreulicher, dass diese Lücke am 11.07.2011 geschlossen werden kann.
Einige der im Post angesprochenen Protagonisten sind bereits verstorben:
13.03.1973 - Larry Young
08.05.1974 - Graham Bond
28.09.1991 - Miles Davis
23.02.1997 - Tony Williams
17.12.2004 - Dick Heckstall-Smith
11.09.2007 - Joe Zawinul
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