Mittwoch, 14. Mai 2014

Werner Tübkes Monumentalgemälde "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" im Panorama Museum auf dem Schlachtberg

Schlacht bei Frankenhausen - Thomas Müntzer gesteht mit gesenkter Fahne die Niederlage der Bundschuh-Bewegung

Unsere kurze Reise vom Harz zum Thüringer Wald führt über den Kyffhäuser. Wir nutzen diese Gelegenheit zur Besichtigung des Kyffhäuserdenkmals auf dem Kyffhäuserburgberg und des Panorama Museums auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen. Der erste Stopp hält uns nur kurz auf. Die zweite Station fasziniert und inspiriert uns. Wir nehmen viele Anregungen auf und beschäftigen uns noch immer mit dem Szenario.                                          Diashow 1: Szenen des Panoramabildes                         Diashow 2: Reisefotos       

Kurztrip zum Kyffhäuserdenkmal


Kyffhäuser
Kyffhäuserdenkmal
Das Kyffhäuserdenkmal ist auf der Reiseroute schon bald auf dem Kyffhäuserburgberg zu erkennen. Das 1896 eingeweihte Denkmal sollte Wilhelm I. (1797-1888) glorifizieren. Wir sind keine Fans des Preußentums und schon gar nicht deren Könige und Kaiser, aber als zeitgeschichtliches Objekt scheint uns das Denkmal einen kurzen Abstecher wert zu sein.
Bus- und motorradreisende Gruppen lassen uns bereits ahnen, dass wir uns zur richtigen Zeit am falschen Platz aufhalten. Der Weg vom Parkplatz zum Denkmal gestaltet sich als Slalomparcours vorbei an Imbiss- und Souvenirständen, Biergärten und Gaststätten. Die Kuppe des Burgberges, auf der sich Denkmal und Ruinen der Reichsburg Kyffhausen befinden, ist vollständig mit Zäunen abgesperrt. An einem Durchlass wird Wegezoll erhoben. Maximal 3 € sind wir bereit zu zahlen. Gefordert werden 6 € pro Person. Unser ohnehin kleines Interesse sinkt in Anbetracht des Preises unter Null. Wir beenden diesen Abstecher mit einem kleinen Spaziergang um den Burgberg.


Besuch des Panorama Museums auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen


Panorama Museum auf dem Schlachtberg
Bei der Anfahrt bietet das vom Kulturministerium der DDR 1975 anlässlich des 450. Jahrestages der Schlacht bei Frankenhausen in Auftrag gegebene Panorama Museum auf dem Schlachtberg ein eher abschreckendes Bild. Ein 18 m hohes Gebäude mit einem Außenumfang von 44 m ist aus Betonfertigteilen zusammengesetzt und weckt Assoziationen an Gasometer, Kühltürme oder Klärbecken. Die Gestaltung des Gesamtkomplexes könnte auf dem Reißbrett von Nazi-Architekten entstanden sein. Die Bevölkerung der damaligen DDR lehnt den Komplex als verfehlte Parteipropaganda ab. Der das Werk ausführende Leipziger Maler Werner Tübke wird als 'Hofmaler' verdächtigt und die Architektur als 'Elefantenklo' geschmäht. Die Kosten des Komplexes erscheinen in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage des Landes und seiner Menschen als völlig unangemessen.




Panorama Museum auf dem Schlachtberg
Am 14.09.1989 wurde die Gedenkstätte eröffnet. An der Entstehung war die Stasi beteiligt, wie ein Spiegel-Artikel vom 12.08.1996 zu berichten weiß. Zwei Monate später fiel die Mauer. Schließung und Abriss des Komplexes wurden diskutiert. In Summe umgibt das Museum eine unglückliche Aura, die weit weniger anziehend auf Besucher wirkt als das Kyffhäuserdenkmal.
Inzwischen zählt jedoch das Panorama Museum mit mehr als 100.000 Besuchern pro Jahr zu den touristischen Attraktionen der Region, obwohl das architektonische Konzept des Komplexes fremdartig und peinlich anmutet und die Innenarchitektur bestenfalls an Großkinos aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts erinnert.
Der Eintrittspreis von 6 € beinhaltet wechselnde Sonderausstellungen sowie Führungen, die zu jeder vollen Stunde mit einer Dauer von ca. 3/4 Stunde angeboten werden. Der Katalog zum Preis von 17 € ist empfehlenswert.



Gemäldeausschnitt des Bauernkriegspanoramas im Panorama Museum 

Wir betreten den dunklen Panoramasaal, in dem nur das Gemälde dezent ausgeleuchtet ist, und sind vom ersten Eindruck spontan überwältigt. An der Innenwand des Rundbaus mit 123 m Umfang ist ein 14 m hohes Rundgemälde ohne Anfang oder Ende auf einer Leinwand aus einem Stück angebracht. Als geübte Museumsbesucher können wir zwar Details identifizieren, aber das Gemälde nicht in seiner Bedeutung erschließen. Wir haben das Glück, an der Führung eines in jeder Hinsicht hoch kompetenten Experten teilzunehmen, der uns in weniger als einer Stunde einige Schlüssel zum Verständnis des Werkes vermittelt.


Gemäldeausschnitt des Bauernkriegspanoramas im Panorama Museum 

Der Bau des Museumskomplexes war bereits in Gang, ohne dass Innenraumgestaltung und Ausführende bekannt oder gar entschieden waren. 3 Maler lehnten den Auftrag ab. Lediglich Werner Tübke, ein unbequemer Querdenker, der einen symbolisch-manieristischen Malstil entwickelte und sich politischen Anforderungen einer sozialistischen Kunst verweigerte, traute sich den Auftrag zu.

Der Staatsauftrag der DDR war selbstverständlich politisch motiviert und zielte darauf ab, die DDR in die Tradition der Bundschuh-Bewegung zu rücken, um diesen Teil Deutschlands als Vollstrecker universeller Gerechtigkeit darzustellen und implizit das westliche Deutschland als Bewahrer von Unterdrückung, Gewalt und Unrecht zu zeigen. Ein typisches Historiengemälde kam für Werner Tübke ebensowenig in Frage wie ein politisches Propagandabild. Werner Tübke wollte kein dokumentarisches Bild einer Schlacht erstellen, sondern ein Kunstwerk mit umfassender Verallgemeinerung und machte seine künstlerische Autonomie zur Bedingung. Mangels Alternativen ging der Auftrag zur Ausführung 1976 an Werner Tübke. Innerhalb der Vorgabe, ein Bauernkriegspanorama mit dem offiziellen Titel 'Frühbürgerliche Revolution in Deutschland' zu malen, ließ sich Werner Tübke weitgehende Gestaltungsfreiheit hinsichtlich des künstlerischen Konzeptes und der Ausführung garantieren.
 
1976 nahm Werner Tübke die über insgesamt 12 Jahre laufende Arbeit auf. Nach vierjähriger Vorarbeit malte Werner Tübke mit Unterstützung von bis zu 14 Helfern täglich ca. 10 Stunden vor Ort auf Gerüsten ausschließlich an diesem Bild. Alle anderen Arbeiten oder Verpflichtungen waren niedergelegt oder ruhten. Ca. 60 % des Bildes sind nach dessen Einschätzung von Werner Tübke selbst gemalt.


Gemäldeausschnitt des Bauernkriegspanoramas im Panorama Museum 

Am 16. September 1987 setzte Werner Tübke seine Signatur unter das fertige Werk. Weitere 2 Jahre sollten ins Land gehen, bis am 14. September 1989 das Museum eröffnet und der Öffentlichkeit übergeben wurde. Höchste politische Prominenz blieb der Eröffnungsfeier fern.

Das Monumentalgemälde im Stil des magischen Realismus beschränkt sich auf keinen zeitlichen und räumlichen Ausschnitt einer Epoche, sondern bildet auf einer Fläche von 1772 qm ein Puzzle mit 75 Schlüsselszenen, in denen mehr als 3.000 Personen dargestellt sind, von denen viele als historische Figuren erkennbar sind. Werner Tübke geht es jedoch nicht um die Darstellung historischer Ereignisse. Er visualisiert in einer suggestiven Bildsprache allegorische Szenen menschlicher Leidenschaften und Ängste, die an Bilder von Hieronymus Bosch oder von Malern aus der Breughel-Familie erinnern. Erklärt hat der Künstler sein Werk nie.


Detailmotiv des Panoramabildes
Detailmotiv des Panoramabildes
Detailmotiv des Panoramabildes

Der westdeutsche Kunsthistoriker Eduard Beaucamp interpretierte das 14 × 123 Meter große Rundbild mit dem Titel „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ als „historische Parabel menschlicher Irrungen und Wirrungen" und erklärt in einem Nachruf zu Tübkes Tod vom 27.05.2004: "Das thüringische Bauernkriegspanorama (1976 bis 1987) ist keine didaktische Großillustration, sondern eine historische Parabel menschlicher Irrungen und Wirrungen mit Durchblick auf gesellschaftliche Unruhen, Umbrüche und Glaubenskämpfe der Moderne, auf eine Welt nicht im Aufbruch, sondern im Taumel einer Spätzeit: Weltgeschichte vollzieht sich als Weltgericht."(1)


Detailmotiv des Panoramabildes
Detailmotiv des Panoramabildes
Detailmotiv des Panoramabildes

Gerd Lindner, Direktor und Kurator des Panorama Museums, erklärt das Konzept mit den Worten: "Geschichte spiegelt sich hier als in sich kreisende, ewige Wiederkehr, vorgestellt “im Gewand des 16. Jahrhunderts wie eine Shakespeare-Aufführung, doch gleich dieser offen für alle Epochen.” (...) Tübke entzog sich (...) nicht nur jeder ideologischen Verantwortlichkeit, sondern auch dem ursprünglichen Auftraggeberwillen, eine primär historisch ausgerichtete Bauernkriegsgedenkstätte in Form eines klassischen Panoramas zu schaffen. Werner Tübke hat vielmehr ein genuin eigenständiges, subjektives künstlerisches Universum archetypischen menschlichen Verhaltens in einem konfliktreichen gesellschaftlichen Umwälzungsprozess gestaltet, das primär religiös-anthropologisch argumentiert, voller Widersprüche, Apokalyptik und innerer Dialektik steckt und in seiner formalen Bildgestalt ausschließlich der hochmanieristischen Kunstwelt des Malers Tübke verpflichtet ist, die gleichwohl selbst maßgebliche Impulse aus diesem Projekt empfangen hat."(2)

Einen Eindruck des Gemäldes vermittelt eine mittels Flash Player animierte Bildsaaltour.


Anmerkungen 


(1) Eduard Beaucamp zu Tübkes Tod im Mai 2004: Nachruf in der FAZ vom 25.04.2014

(2) Auszug einer Rede von Gerd Lindner auf der Panorama-Konferenz in Luzern,1999, die auf der Webseite des Museums nachzulesen ist: Der entwendete Auftrag 

Links zu Webseiten und Artikeln über das Panorama Museum, Werner Tübke und die Bauernkriege

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