Sonntag, 18. Mai 2014

Wols, der große Inspirator des Informels - Ausstellungen zum 100. Geburtstag

Composition champigny, 1951
Mein gelber Hund mit seinen vor Alter grauen Haaren,
der alle Bäume des so literarischen Boulevard Saint-Germain zweimal am Tag anpinkelt.
Er hat mir gesagt: Deine Malerei ist blödsinnig. Das hat er mir gesagt.

Kurz nach K.O. Götz, dessen Retrospektive wir zu Beginn des Monats besucht haben (Post der Ausstellung im Museum Küppersmühle vom 3.5.2014), könnte auch der mit dem Künstlernamen Wols signierende Maler Wolfgang Schulze seinen 100. Geburtstag feiern, wenn er nicht bereits am 1. September 1951 im Alter von 38 Jahren unter tragischen Umständen verstorben wäre.
K.O. Götz wird als Protagonist des Informels in Deutschland gewertet. Wols übt nachhaltigen Einruck auf die europäische Nachkriegs-Avantgarde aus und eröffnet völlig uneitel und absichtslos ein neues Kapitel der Kunstgeschichte. Posthum erlebt Wols eine Weltkarriere und gilt in der Gegenwart neben dem US-Amerikaner Jackson Pollock als Inspirator des Informels.
Anlässlich seines 100. Geburtstages würdigen 5 Sonderausstellungen die herausragende Bedeutung des Künstlers(1). Wir haben das Glück, auf unserer Reiseroute über den Harz und den Thüringer Wald in Quedlinburg und in Kassel 2 der 5 aktuellen Sonderausstellungen besuchen zu können.

Austellung in Quedlinburg - Wols. Das große Mysterium (Diashow der Fotoserie)


Nasobem, 1943
Die im Jahr 2013 eröffnete Lyonel-Feininger-Galerie präsentiert einen ebenso kompakten wie qualitativ hochwertigen Querschnitt durch ein bemerkenswert vielgestaltiges und breites Werk des Künstlers Wols. Trotz einer relativ kurzen Schaffensperiode von 18 Jahren setzt Wols als autodidaktischer Fotograf, Zeichner und Maler Maßstäbe, an denen sich Generationen nachfolgender Künstler abarbeiten.
Die strategielose Lebenstragik des Künstlers bleibt in der Ausstellung nicht ausgespart. Das phänomenale Lebenswerk des Künstlers Wols erschließt sich erst aus der Kenntnis von Zerrissenheit und Tragik einer künstlerischen Lebensgeschichte im Kontext von Zeitgeschichte. Eine oft propagierte Trennung der Betrachtung von künstlerischer Produktion und individueller Künstlerbiografie wäre zumindest für das Verständnis des Werkes von Wols völlig unangemessen.






 
Komposition, 1947
Der größere Teil der ausgestellten Werke ist kleinformatig und erlaubt wegen seiner Lichtempfindlichkeit keine optimale Ausleuchtung. Besucher, die sich trotzdem auf Bedingungen von Werk und Ausstellung einlassen, finden Zugang in 'Das große Mysterium' nur schwer durchschaubarer Zusammenhänge einer Biographie, die zwischen turbulenten zeitgeschichtlich-politischen und -sozialen Dynamiken und Strukturen das eigene Leben scheinbar schwere- und widerstandslos so annimmt, wie es sich ergibt. Auf seinem ziellosen Weg durch das Leben 'dünstet' Wols große Kunst ohne kommerzielle Interessen wie am Fließband aus und zerbricht mit Anlauf an Anforderungen des Lebens.



 






Die Masse, 1943
Als Fotograf war Wols durchaus kommerziell erfolgreich. Sein fotografisches Werk erlebt aktuell eine Wiederentdeckung. In der Internierung aufgrund nationalsozialistischer Besetzung Frankreichs war Wols eine fotografische Betätigung nicht länger möglich. Wols entdeckte für sich kreatives Zeichnen und Malen und verfiel einem destruktiven Alkoholismus. Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie gestaltete und zerstörte er sein Leben gleichzeitig.
Einen Verkauf seiner Bilder betrachtete Wols als Entwertung, wenn nicht gar als Verrat künstlerischer Arbeit. Wols verkaufte keine Bilder, er verschenkte sie u.a. an Jean-Paul Satre, der die besondere Begabung des Künstlers erkannte und Wols mehrfach aus wirtschaftlichen Problemen befreit haben soll. Zu Lebzeiten war Wols widerwillig an 2 Ausstellungen beteiligt. Aus einer der beiden Ausstellungen wollte er seine Arbeiten wieder abziehen. Seine erfolglose Bemühung quittierte er mit dem eingangs zitierten Gedicht. (Wols: Blumen des Bösen)







Lyonel-Feininger-Galerie Quedlinburg
Die kleine, feine Lyonel-Feininger-Galerie bietet in der Quedlinburger Altstadt unterhalb des Schlosses für diese Ausstellung einen ebenso schönen wie auch intimen Rahmen. Unbedingt empfehlenswert ist der Ausstellungskatalog zum Preis von 17 €. 
Wer an Druckgrafiken des Bauhaus-Künstlers Lyonel Feininger interessiert ist, erfreut sich dank einer Dauerleihgabe der Sammlung Klumpp einer repräsentativen Übersicht der Werke.   







Ausstellung in Kassel - Wols. Aufbruch nach 1945 (Diashow der Fotoserie)

 

Neue Galerie Kassel
Auf dem Heimweg vom Thüringer Wald bietet sich ein kurzer Umweg über Kassel zum Besuch der Wols-Ausstellung an. Der internationale Museumstag macht öffentliche Museen heute frei zugänglich, was für uns erfreulich ist, aber unser Interesse nicht maßgeblich beeinflusst. Da uns die Neue Galerie in Kassel aufgrund von Besuchen der documenta vertraut ist, schätzen wir ohnehin diesen attraktiven Ort.









Der Titel der Ausstellung 'Aufbruch nach 1945' ist nicht wörtlich zu nehmen, lässt sich aber so verstehen, dass auch einige der ab 1945 entstandenen Ölgemälde ausgestellt sind. Die Ausstellung konzentriert sich auf die zweite Hälfte der Schaffensperiode des Künstlers und setzt mit Arbeiten ab ca. 1940 ein. Wols hat seine Arbeiten weder betitelt noch datiert oder in irgendeiner Form systematisch katalogisiert oder geordnet. Diese Aufgabe haben seine Nachlassverwalter übernommen. Unschärfen der Einordnung sind unvermeidbar. Ein reichhaltiger Katalog bietet Interessierten zum Preis von 24,95 € eine gewinnbringende Vertiefung der Ausstellung.

Ohne Titel, 1944
Das verrückte Wildschwein, 1945
Die verzauberte Stadt, 1945

Der Pfeil, 1951
Formale Kriterien sind für Wols bedeutungslos. Material, das mit wenig Kosten und Aufwand zur Verfügung steht, nutzt Wols für die Gestaltung seines eigenen Mikrokosmos. Frühe Zeichnungen erinnern an Arbeiten des Malers Paul Klee, obwohl sich Wols zunächst am Surrealismus orientiert, der im Zeitraum zwischen Weltkrieg I und II als Avantgarde galt. André Breton, dessen Urteil als Papst und Verwalter des Surrealismus für Maler des surrealistischen Stils den Ritterschlag bedeutet, ignoriert den Maler Wols. Wols Biographie lässt jedoch den Rückschluss zu, dass er den Aufstieg in den Kunstadel ohenhin nicht anstrebte.
In den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt Wols eine als 'lyrische Abstraktion' umschriebene 'gestische Maltechnik', deren Grundzüge den als 'art informel' bezeichneten Stil kreieren, der die Nachkriegs-Avantgarde prägt und nachfolgende Künstlergenerationen maßgeblich beeinflusst.       


Brennende Büsche, 1944/45
Der Großteil des erhaltenen malerischen Werkes besteht aus Tuschezeichnungen oder aus Kombinationen von Aquarellen mit Tuschezeichnungen. Das Material der wenigen auf Leinwand mit Öl entstandenen Arbeiten war von Galeristen gesponsert, die vor allem ihr eigenes Geschäft im Auge hatten, während Wols das Galeristengeschäft als Perversion künstlerischen Anspruchs betrachtete.









Heinz Trökes (1913-1997), Schneeschmelze
Die ständige Sammlung der Neue Galerie ist auch ohne Sonderausstellung einen Besuch wert. Einige qualitativ hochwertige Werke des Informels zeigen den Einfluss von Wols auf Bernard Schultze (1915-2005), Emil Schuhmacher (1912-1999), K.O. Götz (geb. 1914) und auf den ebenfalls 1913 geborenen Duisburg-Hamborner Maler Heinz Trökes (1913-1997), den eine enge Freundschaft mit Wols verband, auf den er nach dessen Tod mit einigen Aufsätzen in Zeitschriften aufmerksam machte.
Wer nach soviel Kunst noch aufnahmefähig ist, dem sei das Brüder Grimm Museum im benachbarten Haus empfohlen.





  

Anmerkungen


(1) Sonderausstellungen anlässlich des 100. Geburtstages von Wols:

1 Kommentar:

  1. Very interesting - the work is really great and yes, the story is tragic. I would love to find out some more background information for each of the works. Thank you for sharing and putting in all that work to tell us about it all.

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