Samstag, 3. Mai 2014

Wiederentdeckung von K. O. Götz - Retrospektive zum 100. Geburtstag im Museum Küppersmühle am Duisburger Innenhafen

K.O. Götz, Giverny VII/1, 1988
Museum Küppersmühle
Anlässlich des 100. Geburtstages von K. O. Götz (22.02.2014) macht das Museum Küppersmühle im Duisburger Innenhafen mit einer großen Retrospektive auf einen prägenden und trotzdem nahezu vergessenen Maler der Gegenwart aufmerksam (1).
Im Kontext tiefer struktureller Veränderungen des Ruhrgebietes belohnen interessante Eindrücke der Mischung von moderner Bebauung und umgewidmeten historischen Industriegebäuden in der Umgebung des umgestalteten Duisburger Innenhafens einen Besuch auf der Route der Industriekultur. Aber erst die Ausstellung macht aus unserer Sicht den Besuch zu einem herausragenden Erlebnis (2). Als gebürtige Duisburger sind wir nicht unbefangen, aber wir sind uns sicher, dass Kunst, Architektur und städtebauliches Konzept bereits jeweils für sich eine bemerkenswerte Qualität aufweisen. Als Ensemble verdient die Qualität gemäß Kriterien des Guide Michelin mehr als Beachtung (ein Stern). Sie ist mindestens einen Umweg wert (zwei Sterne). Wir vergeben drei Sterne. Der Besuch ist eine Reise wert! Die Webseite des Künstlers bietet eine ausführliche Übersicht seiner Werke: Webseite K. O. Götz
 

Retrospektive zum 100. Geburtstag von K. O. Götz (Diashow der Fotoserie 'K.O. Götz')  


K. O. Götz, Nirak, 1980

Der im Jahr 1914 geborene Maler K. O. Götz gilt als ein Hauptprotagonist der Stilrichtung des 'Informels' (3). Ab 1935 erteilten Nationalsozialisten ihm Mal- und Ausstellungsverbot. K. O. Götz malte weiter und vernetzte sich über Deutschland hinaus mit gleichgesinnten Künstlern. 1949 wurde K. O. Götz Mitglied der avantgardistischen Künstlergruppe CoBraA, die sich aus politischen Gründen von traditioneller bürgerlich-akademischer Ästhetik abwendete und sich einem spontanen kreativen Prozesses verschrieb.
1951 begegnet K. O. Götz Arbeiten von Jackson Pollock, Willem de Kooning, Wols und Hans Hartung, die seine eigene Entwicklung vermutlich beeinflussen. 1952 verbinden sich Karl Otto Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz, Bernard Schultze zur avantgardistischen Künstlergruppe Quadriga, deren Arbeiten im informellen Stil auch international wahrgenommen werden. 1959 wird K. O. Götz als Professor an die renommierte Düsseldorfer Kunstakademie berufen. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1979 lehrt K. O. Götz 'freie Malerei' und gilt bis heute als wichtigster deutscher Kunstprofessor nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu seinen ehemaligen Schülern zählen u.a. Sigmar Polke, Gerhard Richter, HA Schult, Franz Erhard Walther, die sich im Kunstmarkt etablieren konnten, während K. O. Götz allmählich in Vergessenheit geriet.


K.O. Götz, Norlys (Polarlicht), 2006
Um das kürzlich noch revolutionäre 'Informel' ist  inzwischen Ruhe eingekehrt. Die Stilrichtung des 'Informels' wurde von Moden des Kunstmarktes verdrängt und genießt in der Gegenwart nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Museen folgen Trends. Sie lagern Arbeiten des 'Informels' in Archiven und stellen sie nur noch selten öffentlich aus.
Dank seines 100. Geburtstag erfährt K. O. Götz eine Neuentdeckung. Eine große Retrospektive würdigt die kunstgeschichtliche Bedeutung des Malers. Printmedien, Rundfunk und Fernsehen stellen die Retrospektive vor (4).
Die aktuelle Werkschau umfasst 80 Arbeiten aus sieben Jahrzehnten und trifft im Erdgeschoss des Museums Küppersmühle auf optimale Ausstellungsbedingungen.





K.O. Götz, I-Elemente, 2010
Trotz körperlicher Gebrechen und zunehmender Erblindung malt K. O. Götz auch noch im hohen Alter. Die jüngste aller ausgestellten Arbeiten ist mit dem Jahr 2010 datiert. Das beeindruckende Werk 'I-Elemente' aus dem Jahr 2010 erlaubt keine Rückschlüsse auf das Alter des Malers von 96 Jahren zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes. In seiner Tiefenwirkung wirkt das Bild wie eine Holografie, die den Schnappschuss eines in Super-Zeitlupe aufgenommen dynamischen Prozesses zweier federartiger Objekte in einem nicht sichtbaren Raum darstellen könnte, von denen ein Objekt schnell zu rotieren scheint, während das andere Objekt vermeintlich schwebt. Wie beschwerlich der kreative Akt für K. O. Götz tatsächlich ist, vermittelt ein Artikel der FAZ aus dem Jahr 2009: Die Richtung des Pinselschlags spüren  



Museum Küppersmühle (MKM) im Duisburger Innenhafen (Diashow der Fotoserie 'Küppersmühle im Innenhafen')


Museum Küppersmühle im Innenhafen Duisburg
Über mehr als 100 Jahre war das Ruhrgebiet das bedeutendste Industriegebiet Europas. An der Ruhrmündung entwickelte sich die Stadt Duisburg von einem Handelszentrum zur Industriemetropole. Steinkohlevorkommen und Wasserstraßen boten günstige Bedingungen für die Ansiedlung von Stahlindustrie. Duisburg wuchs schnell. Der Umschlag gigantischer Mengen von Rohstoffen und Industriegütern ließ an der Ruhrmündung den zeitweilig größten Binnenhafen der Welt entstehen. In der Nähe des Stadtzentrums siedelten sich am Innenhafen Getreidemühlen, Silos und Lagerhäuser an. Über Jahrzehnte galt der Innenhafen als 'Brotkorb des Ruhrgebietes'.
In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts war Duisburg die reichste Stadt Deutschlands. In der Gegenwart ist Duisburg eine der ärmsten Städte Deutschlands. Die Stadt ist mehr als finanziell überschuldet, "Duisburg ist pleite", erklären kommunale Politiker in einem Artikel der FAZ vom 30.07.2009.
Der in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts einsetzende Strukturwandel traf die gesamte Region und insbesondere Duisburg nicht überraschend, aber unvorbereitet. Der Innenhafen wurde überflüssig und lag 20 Jahre brach. Seit 1990 findet eine Wiederbelebung im Rahmen eines Masterplans statt, den das renommierte britische Architekturbüro Foster + Partners konzipierte. Die Ergebnisse sind mehr als vorzeigbar, sie sind ein Leuchtturm des Projektes 'Zukunft', der Hoffnung keimen lässt und ein deutliches Mehr an Lebensqualität in einer vermeintlich sterbenden Stadt ermöglicht. Einen Überblick über das Projekt vermittelt das Portal Innenhafen Duisburg.


Penck-Skulpturen am MKM-Treppenturm
Im Rahmen der Neugestaltung und der Wiederbelebung des Innhafens Duisburg haben sich am Hafenbecken mehrere Museen angesiedelt. Das Museum Küppersmühle für Moderne Kunst nimmt mit hochkarätigen Werken aus der Sammlung Ströher in der Umgebung ehemaliger Industriekultur eine herausragende Postion ein, die weit über Duisburg hinaus ausstrahlt. Das Konzept des Umbaus entwickelte das renommierte Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron, das seine internationale Reputation dem Projekt der Tate Modern in London aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verdankt und gegenwärtig seinen Ruf mit dem Projekt Elbphilharmonie international beschädigt.
In Duisburg wurde das ehemalige Lagerhaus eines Mühlenkomplexes vollständig entkernt und als dreigeschossiges Museum mit optimalen Raum- und Lichtbedingungen konzipiert. Der Anbau eines betonierten 'Treppenturms' ist ein architektonisches Glanzstück.
Eine Bruchlandung erleben Herzog & de Meuron aktuell auch in Duisburg mit der Konzeption eines kühnen Erweiterungsbaus des Museums. Das 2010 begonnene Bauprojekt wird 2011 aufgrund von Baumängeln gestoppt. 2 Jahre rostet die Ruine vor sich hin. Nun wird sie abgerissen und verschrottet. Ein Artikel der WAZ vom 18.02.2014 fasst die Chronik der Skandalbaustelle zusammen. Wie so oft bei gescheiterten Bauprojekten, bleibt auch hier der Justiz die Frage zur Klärung überlassen, wie sich die Verantwortung für Mängel über die Beteiligten verteilt.


Treppenhaus im MKM
Treppenhaus im MKM
Treppenhaus im MKM

Das Erdgeschoss des Museums ist Wechselausstellungen vorbehalten. Aktuell ist die im ersten Abschnitt dieses Posts beschriebene Retrospektive zu Gast. Im 1. und 2. Obergeschoss des Museums sind Werke der  Sammlung Ströher ausgestellt, die zu den bedeutendsten Sammlungen deutscher Kunst nach 1945 zählt.


Bernhard Schulze, Torso-Mannequin-Migof, 1965
Skulptur von Georg Baselitz
Gerhard Richter, Courbet, 1986


Anselm Kiefer, Sternenlager IV, 1998
'Avantgarde' ist jene Kunst, die sich von Traditionen löst. Sie reibt sich an Traditionen, bedient keine Erwartungen ästhetischer Klischees des 'schönen Scheins' und scheut keine Provokationen. Auf bürgerliches Weltverständnis wirkt sie oft polarisierend und verstörend. Avantgardekunst ist aus bürgerlicher Sicht Außenseiterkunst und kann daher nicht elitär sein. Sie wird jedoch häufig als elitär missverstanden, weil sie keine 'Volksmusik' spielt. 
Deutsche Avantgardekunst der Nachkriegszeit ist natürlich nicht jedermanns Sache.  Aktuelle 'Deutsche Avantgardekunst' bezieht sich auf einen Ausschnitt spezifisch deutscher Kultur und definiert sich insbesondere in der Nachkriegszeit als kreative Auseinandersetzung mit Traumata jüngerer deutscher Geschichte. Über die Frage, ob oder wie diese mitunter spezifisch deutsche Kunst ihr Thema politisch und ästhetisch bewältigt oder verfehlt, lässt sich trefflich streiten. Nicht streiten lässt sich dagegen über die Frage, wie künstlerische Objekte auf Betrachter einwirken. Unstrittig ist, dass die im Museum Küppersmühle ausgestellten Arbeiten auch gemäß internationalen Maßstäben zu herausragenden Objekten der Nachkriegskunst zählen.


Anmerkungen zum 'Informel'


Zwei Weltkriege verändern im vorigen Jahrhundert unsere Welt nicht nur gründlich und nachhaltig, sie bewirken auch den Verlust des kulturellen Erbes. Traditionen verlieren ihre Unschuld und können nicht mehr fortgeschrieben werden. Kritische Nachkriegsjugend versteht das Erbe ihrer Vorgänger als faul und verlogen. Avantgarde-Kunst der Nachkriegszeit lehnt etablierte Form-, Struktur- und Kompositionsprinzipien ebenso ab, wie die geometrische Abstraktion des Konstruktivismus (Malewitsch, Mondrian, Baumeister etc.) oder der konkreten Kunst (Arp, Bill, Kandinsky etc.). Aus dieser Haltung entwickelt sich auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen in der frühen Nachkriegszeit eine Malweise, die das Gestische, Texturelle und Spontane gegenüber sorgfältig geplanten strukturellen Konzepten bevorzugt. Der Sammelbegriff 'Informel' fast diese Stilrichtungen informeller Kunst zusammen und bezeichnet daher keine spezifische inhaltliche Ausdrucksform, sondern eine Haltung, deren Gemeinsamkeit in der Ablehnung formeller Kunst besteht. Inhaltlich umfasst 'Informel' eine große Vielfalt unterschiedlicher Ausdrucksformen, die mitunter an Kalligrafie erinnern und oft in einer Choregraphie schneller Malprozesse entstehen, deren Ergebnisse Betrachter häufig als 'eingefrorene Bewegungen' verstehen und diese mit Emotionen, Energie oder auch Lyrik assoziieren.     

Zeitlich parallel entsteht in Nordamerika 'Abstrakter Epressionismus' als neue künstlerische Ausdrucksform mit vielen Gemeinsamkeiten zum 'Informel'. Da sich beide Strömungen weitgehend unabhängig voneinander und in räumlich unterschiedlichen Zentren entfalten, haben beide Sammelbegriffe trotz aller Gemeinsamkeiten ihre Berechtigung. Stilistische Weite und Heterogenität des 'Abstrakten Epressionismus' zeigt exemplarisch ein zugegeben oberflächlicher Vergleich von Werken Mark Rothkos (1903-1970), Cy Twomblys (1928-2011) und Jackson Pollocks (1912-1956). Letzterer entwickelt die Technik des 'Action Paintings', bei der die Leinwand auf dem Boden liegt und Farbe in schnellen Rhythmen tropfend, fließend, schüttend, schleudernd, spachtelnd etc. aufgetragen wird und ggf. im Nachgang Strukturen mit relativ beliebigen Instrumenten erzeugt werden. Der kreative Prozess entfaltet sich spontan und entwickelt sich mit Hilfe von Zufällen und unbewussten Eingebungen. Völlig entgegengesetzt malte Mark Rothko (1903-1970), der sehr genaue Vorstellungen von seinen Bildern hatte, die in komplexen Arbeitsprozessen völlig durchkomponiert entstanden. Zwischen diesen beiden Polen ist Cy Twombly (1928-2011) anzusiedeln, dessen Bilder wie naives Gekritzel wirken, aber tatsächlich sorgfältig komponiert sind. 'Abstrakter Epressionismus' möchte mit malerischen Mitteln gegenstandslose starke Emotionen darstellen und beim Betrachter auslösen. Mit welchen Mitteln und auf welchem Weg Emotionen erzielt werden, gibt 'Abstrakter Epressionismus' ebensowenig vor wie 'Informel'.

In den späten 50er Jahren sind 'Informel' und 'Abstrakter Epressionismus' Synonyme für moderne Avantgarde-Kunst, die auf der documenta II in Kassel (1959) und auf der Biennale von 1958 in Venedig hohe Aufmerksamkeit erzielt. Doch schon bald drängen neue Strömungen auf den Kunstmarkt, wie Pop-Art, Op-Art, ZERO, Konzeptkunst, Fluxus, Neue Gegenständlichkeit, Neoexpressionismus etc. 'Abstrakter Epressionismus' wird zur Museumskunst der 'klassischen Moderne'. 'Informel' verschwindet in Archiven von Museen.     

Wir leben in einer Welt fortschreitender Differenzierung und Vernetzung sozialer Strukturen. In diesem Prozess differenzieren sich auch Wertvorstellungen und modellieren Normen, die soziales Verhalten bestimmen. Im Prozess der Differenzierung verlieren soziale Werte und Normen ihre allgemeingültige Verbindlichkeit. Sie sind nur noch für Segmente sozialer Strukturen in abgeschwächter Form von Bedeutung und können im Prozess individueller Lebensgeschichte angepasst oder ausgewechselt werden. Künstlerischer Pluralismus i. S. eines Nebeneinanders konkurrierender Stilrichtungen und Programmatiken reflektiert die Komplexität unserer Lebenswelt. Die pluralistische Weite und Vielfalt des sozialen Raumes bietet genug Platz, um 'Informel' als eine von vielen möglichen künstlerischen Ausdrucksformen der Realitätsbewältigung zulassen zu können. Persönlich würden wir begrüßen, wenn 'Informel' nicht überwiegend in Archiven lagert, sondern wieder sichtbarer würde.


Fußnoten


1) Nach dem Auftakt in der Neuen Nationalgalerie Berlin (13.12.2013 - 02.03.2014) ist die Ausstellung aktuell vom 21.03. - 15.06.2014 im Museum Küppersmühle im Duisburger Innenhafen zu sehen. Letzte Station der Ausstellung ist vom 11.07. - 12.10.2014 das Museum Wiesbaden.
2) Der Post geht auf beide Einrichtungen ein, die Besuchern instruktive Eindrücke von Prozessen eines Strukturwandels des Ruhrgebietes vermitteln.
3) Der letzte Abschnitt dieses Posts beleuchtet die Stilrichtung des 'Infomels'.
4) Linksammlung von Veröffentlichungen zur K. O. Götz-Retrospektive

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