Montag, 8. September 2025

Listen to the Echo - Retrospektive William Kentridge im Museum Folkwang, Essen, 4.09.2025 - 18.01.2026 (Update 9.09.2025)

Museum Folkwang, Essen William Kentridge, I Look in the Mirror, I Know What I Need, 2023 William Kentridge, Handgewebte Mohair-Tapisserien, 2001-2007
 
William Kentridge (*1955 in Johannesburg) gehört weltweit zu den renommiertesten zeitgenössischen Künstlern. International bekannt wurde er Ende der 1980er Jahre durch seine animierten Kurzfilme, in denen Kentridge sich kritisch, zugleich aber auch sehr poetisch mit der Vergangenheit und Gegenwart Südafrikas auseinandersetzt [Biografie]. Diese Filme, die auf großformatigen Kohlezeichnungen basieren, bilden den Ausgangspunkt für ein umfangreiches Œuvre, das Zeichnung, Druckgrafik, Tapisserie und Skulptur ebenso umfasst wie Operninszenierungen und multimediale Bühnenstücke. In seinen inhaltlich miteinander verwobenen Werken thematisiert Kentridge immer wieder die Frage nach Gerechtigkeit, aber auch das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft.

Zum 70. Geburtstag des Künstlers präsentiert das Museum Folkwang eine große Retrospektive, die mit [160] Exponaten aus über vier Jahrzehnten die gesamte Laufbahn William Kentridges umspannt. [William Kentridge, 04.09.2025 - 18.01.2026] Einen Schwerpunkt bilden die Filme der Reihe Drawings for Projection, in denen Aufstieg und Niedergang von Johannesburg ebenso zur Sprache kommen wie das schwierige Erbe der Apartheid. Auch Kentridges Beschäftigung mit dem Kolonialismus europäischer Mächte in Afrika spielt in der Ausstellung eine wichtige Rolle, insbesondere in der Zeichnungsserie Colonial Landscapes, den Porter-Tapisserien oder der mechanischen Miniaturbühne Black Box/Chambre Noire. 
 
William Kentridge, Drawing for Self-Porträt as a Coffee-Pot (2 Private Thoughts), 2021
Drawing for Self-Porträt as a Coffee-Pot
(Private Thoughts), 2021
William Kentridge konzipiert seit vielen Jahren eigene Stücke für das Musiktheater, die er zu multimedialen Werken weiterentwickelt, darunter To Cross One More Sea, eine Dreikanal Filminstallation über die Flucht von Künstler:innen und Intellektuellen per Schiff vor dem Naziregime. Kentridge tritt auch selbst in seinen Filmen in Erscheinung. Die Filmserie Self Portrait as a Coffee-Pot gibt auf amüsante Weise tiefe Einblicke in sein Denken und in sein Studio als Ort kreativer künstlerischer Praxis.
Quelle des Einleitungstextes: Ausstellungsflyer, Museum Folkwang, mit hinzugefügten Verlinkungen und eigenen Ergänzungen in eckigen Klammern
 
 
 
 
 
Besuch der Ausstellung im Museum Folkwang 
 
Museum Folkwang, Essen Museum Folkwang, Essen Museum Folkwang, Essen
 
Am Morgen sind wir um 10:00 Uhr zunächst die einzigen Besucher der Sonderausstellung Listen to the Echo und befinden uns gegenüber den Aufsichtspersonen in der Unterzahl. Fehlendes Gedränge kann uns nur Recht sein, aber das trotz Medienberichte auffällig geringe Interesse empfinden wir als erstaunlich und bemerkenswert. Dieser Sachverhalt vermittelt einmal mehr, wie schwer es Kunst der Gegenwart generell in der öffentlichen Wahrnehmung hat und wie noch deutlich schwerer sie es hat, wenn sie politisch und kulturkritisch aufgeladen ist. Kentridges Arbeiten sind weder Dekorationen noch Meditationsvorlagen, sondern provozierende Statements, die zum Nachdenken über Absurditäten und Widersprüche von Zuständen und Prozessen der Welt anregen. Anscheinend empfinden die meisten Menschen solche Statements eher als Belästigung. 
 
Dieser Post beabsichtigt nicht, unseren Besuch und die Ausstellung umfassend zu dokumentieren. Er macht lediglich auf eine Ausstellung aufmerksam, die neben der Retrospektive anlässlich des 80. Geburtstags von Anselm Kiefer ("Sag mir wo die Blumen sind" - Retrospektive in Amsterdam anlässlich Anselm Kiefers 80. Geburtstag) auch auf internationalem Niveau als Highlight des Jahres 2025 zu werten ist. In dieser Dichte und Qualität waren William Kentridges Arbeiten aus 40 Jahren bisher noch nie zu sehen und werden auf unabsehbare Zeit nicht mehr zu sehen sein. Wir waren entschlossen, den Ausstellungskatalog zum Preis von 38 € zu erstehen, aber im Museum war nur die englische Ausgabe verfügbar. Die deutsche Ausgabe haben wir beim Verlag bestellt..
 
William Kentridge, Video-Projektion Self-Porträt as a Coffee-Pot Die Ausstellung Listen to the Echo gliedert sich im Museum Folkwang räumlich und thematisch in 11 Werkgruppen, die mehr oder weniger fließend ineinander übergehen. Technische Kontinuität des sich über 40 Jahre entfaltenden Werks bilden Kohlezeichnungen, Scherenschnitte, Filmsequenzen. Inhaltlich befassen sich Darstellungen mit kulturellen Themen wie Kolonialismus, Rassismus, Ausbeutung, Gewalt, Entfremdung, Leidenschaft sowie mit der Natur und scheuen ironische Selbstdarstellungen nicht. In bis zu 30 Minuten langen Kurzfilmen verbindet Kentridge Schauspiel, Schattenspiel, Musik, Tanz, Trickfilm meistens in Mehrkanaltechnik mit Überblendungen zu opernartigen Gesamtkunstwerken, von denen die Essener Ausstellung Listen to the Echo mehrere präsentiert. Filmmusik erinnert an Kompositionen der US-amerikanischen Musikerin und Komponistin Carla Bley, insbesondere an ihr Projekt Escalator over the Hill (1967-1971), das 1997 zum ersten Mal live aufgeführt wurde. Das Konzert der Uraufführung in der Kölner Musikhochschule haben wir erfreuchlicherweise erlebt. Dass Kentridge dieses Werk kennt, ist nicht belegt, aber es würde uns sehr wundern, wenn es nicht so wäre.
 
 
William Kentridges soziales und kulturelles Engagement für Menschenrechte
 
Selbstgenügsamkeit und Egoismus widerstreben William Kentridge. Seine künstlerische Arbeit nimmt Positionen gegen Apartheid, Rassismus, Armut, Menschenrechtsverletzungen ein. Darüber hinaus engagiert sich William Kentridge persönlich in zahlreichen politischen Projekten für soziale und kulturelle Ziele. (DW, 03.09.2025: William Kentridge: Kunst für Menschenrechte)
 
In Johannesburg betreibt William Kentridge mit etlichen festen und temporären Mitarbeitern und in Zusammenarbeit mit Künstlerkollegen und Produktionspartnern das Kentridge Studio (Online-Portal Kentridge Studio in deutscher Übersetzung). Als eines von zahlreichen Projekten des Studios hat Kentridge 2016 gemäß dem südafrikanischem Sprichwort "If the good doctor can’t cure you, find the less good doctor" (Wenn der gute Arzt Sie nicht heilen kann, suchen Sie sich einen weniger guten Arzt) das Centre for the Less Good Idea (Zentrum für die weniger gute Idee) gegründet. Das Zentrum experimentiert mit neuen Ideen und entwickelt Kurzprojekte spielerisch-spontan. Im Zeitraum zwischen 2016 und 2023 hat das Zentrum mit mehr als 800 Künstlern aller Disziplinen ca. 500 Performances, Filme und Installationen erarbeitet. Seit 2020 baut das Projekt SO | The Academy for the Less Good Idea diese Idee systematisch als kreatives kulturelles Konzept über Südafrika hinaus international aus. 
 
 
Fotos der Ausstellung im Museum Folkwang 
 
Dieser Post zeigt eine Auswahl der bei unserem Besuch aufgenommenen Fotos aus 11 Werkgruppen in bescheidener Smartphone-Qualität. Das komplette Album ist hier zu sehen: Fotoserie
 
 
Kohlezeichnungen aus Videoprojektion der Reihe Drawings for Projection, 1989-2003 
 
Video-Projektion, William Kentridge Video-Projektion, William Kentridge Video-Projektion, William Kentridge
 
 
The Black Box / Chambre Noir, 2005 (Genozid deutscher "Schutztruppen" in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) an Hereros) 
Kentrige Studio: Black Box / Chambre Noir 

William Kentridge, The Black Box / Chambre Noir (Herero-Genozid durch deutsche "Schutztruppen" in Deutsch-Südwestafrika, 2005 William Kentridge, The Black Box / Chambre Noir (Herero-Genozid durch deutsche "Schutztruppen" in Deutsch-Südwestafrika, 2005 William Kentridge, The Black Box / Chambre Noir (Herero-Genozid durch deutsche "Schutztruppen" in Deutsch-Südwestafrika, 2005 William Kentridge, The Black Box / Chambre Noir (Herero-Genozid durch deutsche "Schutztruppen" in Deutsch-Südwestafrika, 2005 William Kentridge, The Black Box / Chambre Noir (Herero-Genozid durch deutsche "Schutztruppen" in Deutsch-Südwestafrika, 2005
 
 
Handgewebte Mohair-Tapisserien der Serie Porter (Träger), 2001-2007, nach Collagen von William Kentridge
 
William Kentridge, Handgewebte Mohair-Tapisserien, 2001-2007 William Kentridge, Scherenschnitte, Handgewebte Mohair-Tapisserien Wlliam Kentridge, Handgewebte Mohair-Tapisserie Wlliam Kentridge, Handgewebte Mohair-Tapisserien, 2001-2007 Wlliam Kentridge, Handgewebte Mohair-Tapisserien, 2001-2007 William Kentridge, Carte hyposométrique de lèmpire Russe (Höhenkarte des russischen Reichs), 2020, Handgewebte Mohair-Tapisserie
 

Fotos der Dreikanal-Filmprojektion Kaboom (Lastenträger), 2018
 
Video-Projektion Kaboom, William Kentridge Video-Projektion Kaboom, William Kentridge Video-Projektion Kaboom, William Kentridge Video-Projektion Kaboom, William Kentridge Video-Projektion Kaboom, William Kentridge Video-Projektion Kaboom, William Kentridge Video-Projektion Kaboom, William Kentridge
 
  
Dreikanal-Filminstallation To Cross One More Sea, 2024
 
William Kentridge, Filminstallatation To Cross One More Sea, 2024 William Kentridge, Filminstallatation To Cross One More Sea, 2024 William Kentridge, Filminstallatation To Cross One More Sea, 2024
 
 
Video-Installation Self-Portrait as a Coffee Pot, 2020-2024
 
William Kentridge, Video-Projektion Self-Porträt as a Coffee-Pot William Kentridge, Video-Projektion Self-Porträt as a Coffee-Pot William Kentridge, Video-Projektion Self-Porträt as a Coffee-Pot
 
  
Retrospektive Listen to the Echo in Dresden, 06.09.2025 - 14.01./15.02./28.06.2026
 
Die große Retrospektive anlässlich des 70. Geburtstags von William Kentridge findet an drei weiteren Orten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden statt, die wir November 2025 besuchen werden. Im Mittelpunkt dieser Ausstellungen steht die wiederkehrende Beschäftigung des Künstlers mit dem Thema der Prozession als Metapher für das Streben menschlicher Veränderung.
 
Der südafrikanische Künstler William Kentridge, Sohn litauisch-jüdischer Emigranten, schöpft seine Themen aus persönlichen Erfahrungen der Diaspora und seinem Wissen über die zerstörerischen Auswirkungen von Rassismus und Antisemitismus. In Zusammenarbeit mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden knüpft er nun an die Erfahrungen verschiedener Generationen im Osten Deutschlands an. An einem Ort, der von gesellschaftlicher Polarisierung durch antidemokratische Kräfte geprägt ist, thematisiert das Ausstellungs-Festival „Listen to the echo“ ab September 2025 Identität, Tradition und Verantwortung für das Gemeinwesen. 
 
Im Residenzschloss präsentiert das Kupferstich-Kabinett die Druckgrafik von Kentridge als Medium für Bildpolitik und Debattenkultur. Im Albertinum steht mit dem „Fürstenzugkarton“ aus der Sammlung des Kupferstich-Kabinetts ein noch nie gezeigtes Werk im Dialog mit der monumentalen Mehrkanalprojektion „More Sweetly Play the Dance“. Erstmals sind in einem deutschen Ausstellungskontext auch Künstlerinnen des von Kentridge und Bronwyn Lace gegründeten „Centre for the Less Good Idea“ aus Johannesburg beteiligt. In der Puppentheatersammlung erforschen sie, wie sich Puppen künstlerisch (re-)aktivieren lassen. Im Mittelpunkt stehen die Figur des Todes und die Bedeutung der Schwarzen Figur im Puppentheater. Eine Kooperation mit dem Museum Folkwang in Essen spannt unter demselben Titel einen Bogen zwischen West- und Ostdeutschland, ist jedoch nicht Teil der Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes. - Quelle: Kulturstiftung des Bundes: William Kentridge. Listen to the echo
 
 
Begegnungen mit William Kentridge 
 
Unser erster Kontakt mit einem Werk von William Kentridge fand 2012 auf der documenta 13 in Kassel statt, wo das Gesamtkunstwerk einer Fünf-Kanal-Video-Installation The Refusal of Time (Die Verweigerung der Zeit) gezeigt wurde, die uns derart begeisterte, dass wir sie am nächsten Tag noch einmal angeschaut und in einem Post beschrieben haben: documenta 13 - 'The Refusal of Time' im Kulturbahnhof. Kleine Besuchergruppen saßen nach Voranmeldung in einem abgedunkelten Raum des ehemaligen Güterbahnhofs und fühlten sich durch Projektionen verschiedener Kanäle der Installation als Teilnehmer des Chaos in der Welt. Mitten im Raum arbeitete eine als Elefant bezeichnete Maschine scheinbar als Pumpe des Chaos. In Projektionen dargestellte Szenen vermittelten in schnell wechselnden kurzen Sequenzen Emotionen von Gewalt, Hoffnung, Glück.
 
Clips haben wir glücklicherweise am ersten Tag aufgenommen. Beim zweiten Besuch waren Videoaufnahmen und Fotos verboten. Rechte am Werk waren nämlich bereits an das Museum of Modern & Contemporary Art (MET) in New York verkauft (The Refusal of Time), das keine Aufnahmen gestattete, nachdem zahlreiche Medien Kentridges Videoinstallation als Highlight der documenta 13 bewertet hatten. - Kentridge Studio, Peter L. Galison (Physiker): Die Ablehnung der Zeit (deutsche Übersetzung Seite 22ff.)
 
Seit der documenta 13 ist Wiiliam Kentridge in Deutschland als Künstler eine namhafte Größe und wurde mit mehreren Einzelausstellungen gewürdigt. Ein Wiedersehen feierten wir 2018 mit der Ausstellung William Kentridge, O Sentimental Machine im Frankfurter Liebighaus, wo u.a. auch The Refusal of Time gezeigt wurde (Digitorial der Ausstellung O Sentimental Machine).
 
 
Posts und Medienberichte zu William Kentridge und Ausstellungen

Eigene Posts

Biografien, Interviews, Preise, Presse
 
Medienberichte zur Ausstellung Listen to the Echo
 
Weitere Ausstellungen und Events

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