William Kentridge (*1955 in Johannesburg) gehört weltweit zu den renommiertesten zeitgenössischen Künstlern. International bekannt wurde er Ende der 1980er Jahre durch seine animierten Kurzfilme, in denen Kentridge sich kritisch, zugleich aber auch sehr poetisch mit der Vergangenheit und Gegenwart Südafrikas auseinandersetzt [Biografie]. Diese Filme, die auf großformatigen Kohlezeichnungen basieren, bilden den Ausgangspunkt für ein umfangreiches Œuvre, das Zeichnung, Druckgrafik, Tapisserie und Skulptur ebenso umfasst wie Operninszenierungen und multimediale Bühnenstücke. In seinen inhaltlich miteinander verwobenen Werken thematisiert Kentridge immer wieder die Frage nach Gerechtigkeit, aber auch das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft.
Zum 70. Geburtstag des Künstlers präsentiert das Museum Folkwang eine große Retrospektive, die mit [160] Exponaten aus über vier Jahrzehnten die gesamte Laufbahn William Kentridges umspannt. [William Kentridge, 04.09.2025 - 18.01.2026] Einen Schwerpunkt bilden die Filme der Reihe Drawings for Projection, in denen Aufstieg und Niedergang von Johannesburg ebenso zur Sprache kommen wie das schwierige Erbe der Apartheid. Auch Kentridges Beschäftigung mit dem Kolonialismus europäischer Mächte in Afrika spielt in der Ausstellung eine wichtige Rolle, insbesondere in der Zeichnungsserie Colonial Landscapes, den Porter-Tapisserien oder der mechanischen Miniaturbühne Black Box/Chambre Noire.
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Drawing for Self-Porträt as a Coffee-Pot (Private Thoughts), 2021 |
William Kentridge konzipiert seit vielen Jahren eigene Stücke für das Musiktheater, die er zu multimedialen Werken weiterentwickelt, darunter To Cross One More Sea, eine Dreikanal Filminstallation über die Flucht von Künstler:innen und Intellektuellen per Schiff vor dem Naziregime. Kentridge tritt auch selbst in seinen Filmen in Erscheinung. Die Filmserie Self Portrait as a Coffee-Pot gibt auf amüsante Weise tiefe Einblicke in sein Denken und in sein Studio als Ort kreativer künstlerischer Praxis.
Quelle des Einleitungstextes: Ausstellungsflyer, Museum Folkwang, mit hinzugefügten Verlinkungen und eigenen Ergänzungen in eckigen Klammern
Besuch der Ausstellung im Museum Folkwang
Am Morgen sind wir um 10:00 Uhr zunächst die einzigen Besucher der Sonderausstellung Listen to the Echo und befinden uns gegenüber den Aufsichtspersonen in der Unterzahl. Fehlendes Gedränge kann uns nur Recht sein, aber das trotz Medienberichte auffällig geringe Interesse empfinden wir als erstaunlich und bemerkenswert. Dieser Sachverhalt vermittelt einmal mehr, wie schwer es Kunst der Gegenwart generell in der öffentlichen Wahrnehmung hat und wie noch deutlich schwerer sie es hat, wenn sie politisch und kulturkritisch aufgeladen ist. Kentridges Arbeiten sind weder Dekorationen noch Meditationsvorlagen, sondern provozierende Statements, die zum Nachdenken über Absurditäten und Widersprüche von Zuständen und Prozessen der Welt anregen. Anscheinend empfinden die meisten Menschen solche Statements eher als Belästigung.
Dieser Post beabsichtigt nicht, unseren Besuch und die Ausstellung umfassend zu dokumentieren. Er macht lediglich auf eine Ausstellung aufmerksam, die neben der Retrospektive anlässlich des 80. Geburtstags von Anselm Kiefer ("Sag mir wo die Blumen sind" - Retrospektive in Amsterdam anlässlich Anselm Kiefers 80. Geburtstag) auch auf internationalem Niveau als Highlight des Jahres 2025 zu werten ist. In dieser Dichte und Qualität waren William Kentridges Arbeiten aus 40 Jahren bisher noch nie zu sehen und werden auf unabsehbare Zeit nicht mehr zu sehen sein. Wir waren entschlossen, den Ausstellungskatalog zum Preis von 38 € zu erstehen, aber im Museum war nur die englische Ausgabe verfügbar. Die deutsche Ausgabe haben wir beim Verlag bestellt..

William Kentridges soziales und kulturelles Engagement für Menschenrechte
Selbstgenügsamkeit und Egoismus widerstreben William Kentridge. Seine künstlerische Arbeit nimmt Positionen gegen Apartheid, Rassismus, Armut, Menschenrechtsverletzungen ein. Darüber hinaus engagiert sich William Kentridge persönlich in zahlreichen politischen Projekten für soziale und kulturelle Ziele. (DW, 03.09.2025: William Kentridge: Kunst für Menschenrechte)
In Johannesburg betreibt William Kentridge mit etlichen festen und temporären Mitarbeitern und in Zusammenarbeit mit Künstlerkollegen und Produktionspartnern das Kentridge Studio (Online-Portal Kentridge Studio in deutscher Übersetzung). Als eines von zahlreichen Projekten des Studios hat Kentridge 2016 gemäß dem südafrikanischem Sprichwort "If the good doctor can’t cure you, find the less good doctor" (Wenn der gute Arzt Sie nicht heilen kann, suchen Sie sich einen weniger guten Arzt) das Centre for the Less Good Idea (Zentrum für die weniger gute Idee) gegründet. Das Zentrum experimentiert mit neuen Ideen und entwickelt Kurzprojekte spielerisch-spontan. Im Zeitraum zwischen 2016 und 2023 hat das Zentrum mit mehr als 800 Künstlern aller Disziplinen ca. 500 Performances, Filme und Installationen erarbeitet. Seit 2020 baut das Projekt SO | The Academy for the Less Good Idea diese Idee systematisch als kreatives kulturelles Konzept über Südafrika hinaus international aus.
Fotos der Ausstellung im Museum Folkwang
Dieser Post zeigt eine Auswahl der bei unserem Besuch aufgenommenen Fotos aus 11 Werkgruppen in bescheidener Smartphone-Qualität. Das komplette Album ist hier zu sehen: Fotoserie
Kohlezeichnungen aus Videoprojektion der Reihe Drawings for Projection, 1989-2003
The Black Box / Chambre Noir, 2005 (Genozid deutscher "Schutztruppen" in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) an Hereros)
Kentrige Studio: Black Box / Chambre Noir
Fotos der Dreikanal-Filmprojektion Kaboom (Lastenträger), 2018
Dreikanal-Filminstallation To Cross One More Sea, 2024
Video-Installation Self-Portrait as a Coffee Pot, 2020-2024
Retrospektive Listen to the Echo in Dresden, 06.09.2025 - 14.01./15.02./28.06.2026
Die große Retrospektive anlässlich des 70. Geburtstags von William Kentridge findet an drei weiteren Orten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden statt, die wir November 2025 besuchen werden. Im
Mittelpunkt dieser Ausstellungen steht die wiederkehrende Beschäftigung des Künstlers
mit dem Thema der Prozession als Metapher für das Streben menschlicher
Veränderung.
Der südafrikanische Künstler William Kentridge, Sohn
litauisch-jüdischer Emigranten, schöpft seine Themen aus persönlichen
Erfahrungen der Diaspora und seinem Wissen über die zerstörerischen
Auswirkungen von Rassismus und Antisemitismus. In Zusammenarbeit mit den
Staatlichen Kunstsammlungen Dresden knüpft er nun an die Erfahrungen
verschiedener Generationen im Osten Deutschlands an. An einem Ort, der
von gesellschaftlicher Polarisierung durch antidemokratische Kräfte
geprägt ist, thematisiert das Ausstellungs-Festival „Listen to the echo“
ab September 2025 Identität, Tradition und Verantwortung für das
Gemeinwesen.
Im Residenzschloss präsentiert das
Kupferstich-Kabinett die Druckgrafik von Kentridge als Medium für
Bildpolitik und Debattenkultur. Im Albertinum steht mit dem
„Fürstenzugkarton“ aus der Sammlung des Kupferstich-Kabinetts ein noch
nie gezeigtes Werk im Dialog mit der monumentalen Mehrkanalprojektion
„More Sweetly Play the Dance“. Erstmals sind in einem deutschen
Ausstellungskontext auch Künstlerinnen des von Kentridge und Bronwyn
Lace gegründeten „Centre for the Less Good Idea“
aus Johannesburg beteiligt. In der Puppentheatersammlung erforschen
sie, wie sich Puppen künstlerisch (re-)aktivieren lassen. Im Mittelpunkt
stehen die Figur des Todes und die Bedeutung der Schwarzen Figur im
Puppentheater. Eine Kooperation mit dem Museum Folkwang in Essen spannt
unter demselben Titel einen Bogen zwischen West- und Ostdeutschland, ist
jedoch nicht Teil der Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes. - Quelle: Kulturstiftung des Bundes: William Kentridge. Listen to the echo
Begegnungen mit William Kentridge
Unser erster Kontakt mit einem Werk von William Kentridge fand 2012 auf der documenta 13 in Kassel statt, wo das Gesamtkunstwerk einer Fünf-Kanal-Video-Installation The Refusal of Time (Die Verweigerung der Zeit)
gezeigt wurde, die uns derart begeisterte, dass wir sie am nächsten
Tag noch einmal angeschaut und in einem Post beschrieben haben: documenta 13 - 'The Refusal of Time' im Kulturbahnhof. Kleine Besuchergruppen saßen nach Voranmeldung in einem abgedunkelten Raum des ehemaligen Güterbahnhofs und fühlten sich durch Projektionen verschiedener Kanäle der Installation als Teilnehmer des Chaos in der Welt. Mitten im Raum arbeitete eine als Elefant bezeichnete Maschine scheinbar als Pumpe des Chaos. In Projektionen dargestellte Szenen vermittelten in schnell wechselnden kurzen Sequenzen Emotionen von Gewalt, Hoffnung, Glück.
Clips haben wir glücklicherweise am ersten Tag aufgenommen. Beim zweiten
Besuch waren Videoaufnahmen und Fotos verboten. Rechte am Werk waren
nämlich bereits an das Museum of Modern & Contemporary Art (MET) in New York verkauft (The Refusal of Time),
das keine Aufnahmen gestattete, nachdem zahlreiche Medien Kentridges
Videoinstallation als Highlight der documenta 13 bewertet hatten. - Kentridge Studio, Peter L. Galison (Physiker): Die Ablehnung der Zeit (deutsche Übersetzung Seite 22ff.)
Seit der documenta 13 ist Wiiliam Kentridge in Deutschland als Künstler eine namhafte
Größe und wurde mit mehreren Einzelausstellungen gewürdigt. Ein
Wiedersehen feierten wir 2018 mit der Ausstellung William Kentridge, O Sentimental Machine im Frankfurter Liebighaus, wo u.a. auch The Refusal of Time gezeigt wurde (Digitorial der Ausstellung O Sentimental Machine).
Posts und Medienberichte zu William Kentridge und Ausstellungen
Eigene Posts
- 2012: documenta 13 - 'The Refusal of Time' im Kulturbahnhof
- 2018: O Sentimental Machine - William Kentridge im Liebighaus, Frankfurt
Biografien, Interviews, Preise, Presse
- Interview im Magazin Deichtorhallen Hamburg, 20.03.2021: »Von der Zeichnung geht alles aus«
- Pressemitteilung Museum Folkwang, 04.11.2024: William Kentridge erhält den Internationalen Folkwang Preis
- WAZ, 04.11.2024: „Versuch‘s mit weniger guten Ideen!“, sagt William Kentridge
- Kultur.West, 23.12.2024: Interview »Wenn ich nur dasitze und nachdenke, hänge ich irgendwann fest«
- NZZ, 06.09.2025: Interview «Ich bin gefangen in Johannesburg», sagt William Kentridge. «Die Fragen, die sich hier stellten, erwiesen sich aber als sehr produktiv»
- Art in Words, 03.09.2025: William Kentridge: Biografie
- DW, 03.09.2025: William Kentridge: Kunst für Menschenrechte
Medienberichte zur Ausstellung Listen to the Echo
- SZ, 04.11.2024: Folkwang-Preis an William Kentridge - 2025 große Ausstellung
- WDR, 04.09.2025: William Kentridge im Museum Folkwang: Über Apartheid, Flucht und Gold FAZ, 28.04.2025: William Kentridge 70: Der Künstler als Kaffeekanne
- FAZ, 06.09.2026: William Kentridge: Der Maler der fließenden Welt
- SZ, 03.09.2025: Bergbau und Kolonialleid: Folkwang zeigt Kentridge-Werkschau
- Art in Words, 04.09.2025: Museum Folkwang: William Kentridge
Weitere Ausstellungen und Events
- MoMa, New York, 2006: William Kentridge’s 9 Drawings for Projection
- Deutschlandfunk, 30.07.2012: Gegen den Lauf der Zeit
- Museum of Modern & Contemporary Art (MET), New York, 2012: The Refusal of Time
- Museum of Modern & Contemporary Art (MET), New York: William Kentridge (25 Werke)
- Berlin 2016: No, it is! William Kentridge
- FAZ, 23.03.2018: Kentridge im Liebighaus: Die Kontinuität der Automaten
- Liebighaus: William Kentridgte. O Sentimental Machine
- Liebighaus: The Resusal of Time
- Liebighaus: Coffee Pot
- Liebighaus: Black Box
- London 2022, Royal Academie of Arts: William Kentridge
- Biennale Venedig, FAZ, 18.10.2024: William Kentridge: Allein mit sich selbst im Atelier
- Musiktheater: The Great Yes, The Great No
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