Abteien oder Klöster sind vor allem religiös konnotiert. In der Realität bestehen über Zeit oftmals weitere und mitunter völlig abweichende Konnotationen, auf die dieser Post im Kontext der Abteil Brauweiler eingeht. Besucher der ehemaligen Abtei Brauweiler treffen zunächst auf ein Ensemble von Gebäuden gemäß Erwartungen einer religiösen Zweckbestimmung. Architektonisch ist über einen Zeitraum von ca. 1000 Jahren in unterschiedlichen Epochen ein Konglomerat entstanden, das Romanik (ehemalige Abteikirche und heutige Pfarrkirche St. Nikolaus und St. Medardus sowie Kreuzgang des Marienhofs) mit Barock vermengt (Prälatenflügel des Klostergebäudes, Marienstatue des Marienhofs, Ausstattungsdetails der Abteikirche). Vergleichbar einem Eisberg, ist an der Oberfläche nur ein kleiner Teil der langen Bau- und Nutzungsgeschichte sichtbar. Erst unter der Oberfläche wird verständlich, wie historische Dynamik das Konglomerat formte. - Fotoserie
2:40 min Drohnenflug über die Abtei Brauweiler (Domradio.de)
Vor- und Baugeschichte der Abtei Brauweiler bis zur Säkularisierung
Frühgeschichte
- Besiedlungsspuren sind in der Region seit der Eisenzeit dokumentiert. Neuzeitliche Grabungen entdeckten auf dem Gelände der Abtei Reste eines römischen Herrenhaus und Guthofs.
- Keimzelle der Abtei Brauweiler mit der ehemaligen Abteikirche und heutigen Pfarrkirche St. Nikolaus und St. Medardus sowie der Ortschaft Brauweiler ist eine historisch nicht gesicherte karolingische Holzkapelle des 8. Jahrhunderts, in der Reliquien des hl. Medardus von Noyon aufbewahrt wurden.(1) Diese Kapelle dürfte zeitgleich mit der Kapelle bestanden haben, die als Vorgängerbau des Krieler Dömchens vermutet wird.(2)
- Der lothringische Pfalzgraf Hermann I. (verstorben 996) ließ die Holzkapelle durch eine Steinkapelle ersetzen und von Erzbischof Warin (verstorben 985) weihen. Neben der Kapelle ließ Hermann I. ein zerstörtes Hofgut neu errichten, aus dem sich die Ansiedlung Brauweiler entwickelte.
- Hermann I. verheiratete seinen Sohn Ezzo-Ehrenfried mit Mathilde, Tochter Kaiser Otto II. und seiner Gattin Theophanu.(3) Als standesgemäße Mitgift der Kaisertochter erhielt Ezzo etliche Grafschaften und Vogteien. Dadurch gelangten große Fernwege unter Ezzos Kontrolle, was den Kölner Erzbischöfen gar nicht gefiel und einen länger andauernden Kampf im Machtpoker mit wechselnden Koalitionen zwischen Kaiser, Papst und Kölner Erzbischof provozierte.
- Ezzo und Mathilde veranlassten ab 1024 auf ihrem Hofgut Brauweiler den Bau eines Benediktinerklosters, das sie aber nur bescheiden ausstatteten. Die Kapelle der Hofanlage ließen Ezzo und Mathilde zu einer Kirche ausbauen. Im November 1025 verstarb Pfalzgräfin Mathilde. 1028 wurden Kloster und Kirche von Erzbischof Pilgrim geweiht.
- Alle 10 Kinder der Ehe Ezzos mit Mathilde wurden mit bedeutenden Gütern und Titeln versorgt.(4) Einfluss auf die Geschichte der Abteil Brauweiler nahmen die Kinder:
- Richeza (995-1063), älteste Tochter von Ezzo und Mathilde, war ab 1013 Gemahlin des polnischen Königs Mieszko II. Lambert (990-1034). Nach dem Tod des Königs im Jahr 1034 kehrte Richeza zu ihrer Familie zurück, nannte sich aber weiter Königin von Polen.
- Ida jüngere Schwester von Richeza, war Äbtissin des Stifts Maria im Kapitol.
- Hermann II. (935-1056, war Erzbischof von Köln (1036-1056). Hermann betrieb ein ehrgeiziges Bauprogramm. Er wollte Rom kopieren und auf diesem Wege seine Macht ausbauen.
- Teophanu (997-1058) war Äbtissin des Stifts Essen, aus dem die Stadt Essen hervorging.
Hochmittelalter bis zur Neuzeit
- 1047 entschied sich Richeza für ein Leben als Stiftsdame und betätigte sich als Stifterin. Richezas historisch bedeutendste Stiftung ist der zweite Bau der Abteikirche Brauweiler im Zeitraum 1045-1061.(5)
- Der Neubau zeigt deutliche architektonische Bezüge zur Kölner romanischen Kirche St.Maria im Kapitol, die Richezas Schwester Ida und Bruder Hermann II. zur gleichen Zeit errichten ließen.(6)
- Eine Urkunde vom 17. Juli 1051 belegt, dass Richeza, Theophanu und Herman die Abtei Brauweiler dem Erzbistum Köln übertrugen. Die Übertragung hatte zuvor bereits unter Ezzo stattgefunden, wurde aber von den drei Kindern in einem Rechtsstreit angefochten. Das Blatt wendete sich wahrscheinlich, als Hermann Kölner Erzbischof wurde.(7) Hermanns Nachfolger als Kölner Erzbischof war ab 1056 der mächtige Anno II., der den Einfluss der Ezzonen stutzte.
- 1135 beginnt unter Abt Aemilius der dritte Bau von Kirche und Kloster, der sich in das 13. Jahrhundert erstreckte und die Kirche in die heutige Form brachte.
- Ab 1136 entstand die Dreiturmgruppe der Westseite der Abteikirche Brauweiler und bildete das Vorbild für die ab 1170 errichtete Turmanlage von St. Maria im Kapitol.(8)
- Während seiner Residenzzeit empfing Abt Aemilius 1146 Bernhard von Clairvaux in der Abtei Brauweiler. Zu dieser Zeit reiste Bernhard durch Europa, um für das Zustandekommen des 2. Kreuzzugs zu werben. Der Kreuzzug kam zwar erfolgreich zustande (1147-1149), er endet jedoch für die Kreuzfahrer als Debakel. Der Ausgang schadete Bernhard nicht. Im Gegenteil wurde er 1174 heilig gesprochen.(9)
Aemilus wurde dagegen 1148 aus nicht bekanntem Grund auf dem Konzil von Reims von Papst Eugen III. (ein Schüler Bernhards) seines Amtes enthoben und starb im Jahr darauf. Das Konzil von 1148 dominierte Bernhard von Clairvaux. Ob Bernhards Einrücke seines Besuchs in Brauweiler für die Amtsenthebung von Abt Aemilius maßgeblich waren, kann vermutet werden, bleibt aber Spekulation. - Nikolaus Lauxen, Architekt des Spätbarocks, war 1771 Baumeister der repräsentativen Dreiflügelanlage um den Prälatenhof der Abtei und gestaltet 1780-1785 den Prälatenflügel der Abtei Brauweiler.(10)
- 1802 erfolgte die Aufhebung des Klosters im Kontext der Säkularisation des linksrheinischen Gebiets durch französische Revolutionstruppen unter Napoleon. Die Abteikirche wurde zur Pfarrkirche umgewidmet.
Auf Anordnung von Napoleon sollte im Klostergebäude ein Bettlerdepot eingerichtet werden. Bettler sollten von der Straße geholt, im Bettlerdepot inhaftiert und durch harte Arbeit umerzogen bzw. zu arbeitswilligen Personen korrigiert werden. 1811 nahm die Bettleranstalt unter französischer Verwaltung ihre Arbeit auf. Hauptproduktion der Einrichtung war die Herstellung von Textilien. Zur gleichen Zeit wurde Betteln verboten und kriminalisiert, d.h. unter Strafe gestellt.(11) - 1815 übernahm die preußische Verwaltung die Bettleranstalt und erweiterte sie zur Provinzial-Arbeitsanstalt Brauweiler: "In der Arbeitsanstalt wurden Obdachlose, Landstreicher*innen, Prostituierte und Spielsüchtige zwangsweise inhaftiert und sollten durch Arbeit diszipliniert und zu produktiven Mitgliedern der Gesellschaft umerzogen werden. Außerdem gab es Sonderabteilungen für Alkoholkranke, psychisch Kranke, Land- und Ortsarme sowie schwer erziehbare Jugendliche."(12)
- 1873 übergab der preußische Staat die Arbeitsanstalt an die Provinzialverwaltung, die die Einrichtung an die industrielle Produktion anpasste. Die Arbeitsanstalt hatte einen berühmt-schlechten Ruf. Eine typische Drohung dieser Zeit lautete: "Ab nach Brauweiler."(12)
- Repressionen innerhalb der Anstalt verschärften sich während der NS-Zeit ab 1933. Zahlreiche Häftlinge wurden zwangssterilisiert.(13,14) Teile der Anstalt wurden zum "Schutzhaftlager" umfunktioniert, in das Personen ohne richterlichen Beschluss inhaftiert wurden.
- 1938 diente die Einrichtung als Durchgangslager für inhaftierte Juden.
- Während des 2. Weltkriegs war die Einrichtung ein Gefängnis der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) für Angehörige von Widerstandsgruppen, u.a. Mitglieder der Kölner Edelweißpiraten.(15). Folterungen und Morde zählten auch in Brauweiler zum Repertoire der Gestapo. Prominentester Insasse des Gestapo-Gefängnisses war über 2 Monate Konrad Adenauer.(16)
- Nach dem Ende des 2. Weltkriegs richtete die amerikanische Besatzung 1945 in dem Komplex ein Camp für Displaced Persons ein, das bis 1949 bestand.(17)
- Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland gelangte die Einrichtung in die Verantwortlichkeit des Provinzialverbandes Rheinland, aus dem 1953 der Landschaftsverband Rheinland hervorging. Der Komplex diente erneut als Arbeitsanstalt im Stil der Zeit von 1873-1933.(18)
- 1969 wurde die Landesarbeitsanstalt geschlossen und der Komplex als Landeskrankenhaus Brauweiler in eine Klinik für Suchtkranke umgewandelt.
- In den 1970er Jahren gelangten zahlreiche Missstände an die Öffentlichkeit, was jedoch bis zum Psychiatrieskandal 1975 wenig oder nichts bewirkte.(19) 1972 wurde eine Sachverständigenkommission mit Untersuchungen von Zuständen der psychiatrischen Versorgung beauftragt.
- Ergebnisse der Untersuchung fasst die 1975 veröffentlichte Psychiatrie-Enquête zusammen und dokumentiert strukturelle Mängel der psychiatrischen Versorgung durch Großkliniken. An Missständen waren sämtliche Landeskrankenhäuser und psychiatrische Anstalten mehr oder weniger stark beteiligt. Hinter verschlossenen Türen praktizierten medizinische und administrative Schergen der Nazi-Zeit nach wie vor mit Methoden, die seit dem Mittelalter bis zur Nazi-Zeit üblich waren. Besonders unrühmlich machten medizinisch verantwortliche Leiter der Landesanstalt Brauweiler und Direktoren des Landschaftsverbandes Rheinland Furore.(20,21)
- Der Psychiatrieskandal schlug wie eine Bombe ein. Er alarmierte eine intellektuelle Elite und setzte politische Organisationen unter Druck. Ende 1978 wurde das Landeskrankenhaus Brauweiler geschlossen und Patienten verlegt oder entlassen. Strukturelle Veränderungen der psychiatrischen Versorgung kamen in Deutschland jedoch erst allmählich in Gang. Die Wochenzeitschrift SPIEGEL textete: "Es war wie bei Dürrenmatt. Die sich so verquer gaben, waren nicht Patienten, sondern Ärzte in einem Irrenhaus, Psychiater am Landeskrankenhaus Brauweiler bei Köln."(22,23) Konkrete Missstände zu Einzelfällen deckte insbesondere die Sozialistische Selbsthilfe Köln (SSK) auf.
- Nach dem Ende des Landeskrankenhauses Brauweiler stand der Komplex für kulturelle Nutzungen zur Verfügung. Zunächst waren über mehr als 10 Jahre zahlreiche Restaurierungs- und Umbaumaßnahmen erforderlich, bis Zweckbestimmungen kultureller Art Fahrt aufnahmen.(24)
- 2008 eröffnete die Gedenkstätte Brauweiler, die die Geschichte der Jahre 1933-1945 dokumentiert. Warum bleibt die menschlich unwürdige Nutzung des Komplexes vor 1933 und nach 1945 in der Gedenkstätte unberücksichtigt?
- In der Gegenwart ist die Abtei Brauweiler eine beliebte Hochzeitslocation.(26)
- 2008 eröffnete die Gedenkstätte Brauweiler, die die Geschichte der Jahre 1933-1945 dokumentiert. Warum bleibt die menschlich unwürdige Nutzung des Komplexes vor 1933 und nach 1945 in der Gedenkstätte unberücksichtigt?
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- Online-Artikel zur Abtei Brauweiler
- Wikipedia: Abtei Brauweiler
- Erzbistum Köln: Die ehemalige Bendiktinerabtei Brauweiler
- Baukunst NRW: Ehemalige Benediktinerabtei Brauweiler
- LVR KuLaDig: Benediktinerabtei Brauweiler
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler
- Freundeskreis Abtei Brauweiler: Kultur in der Abtei Brauweiler
- Post: Besichtigung der romanischen Kirche Alt St. Stephan (Krieler Dömchen) in Köln-Lindenthal
- Nach dem Tod von Otto II. im Jahr 983 wurde der 3-jährige Sohn zum König Otto III. gekrönt und gesalbt. Dessen Erziehung übernahm der Kölner Erzbischof Warin. Stellvertretend für den noch unmündigen Sohn übte Theophanu die Regierungsgeschäfte mit kluger Machtpolitik aus, die ihrem Sohne den Kaiserthron sicherte. Bestattet wurde Theophanu 991 auf eigenem Wunsch in der Kölner Abtei St. Pantaleon.
- Wikipedia: Ezzo: Nachkommen
- Richezas Gebeine befinden sich seit der Neuzeit in der Johanneskapelle des Kölner Doms, in der Erzbischof Konrad von Hochstaden bereits in der frühen Bauzeit des Doms einen herausragenden Bestattungsplatz erhielt.- Wikipedia: Hochgrab des Erzbischofs Konrad von Hochstaden
- Post: Führung in der Kölner romanischen Kirche St. Maria im Kapitol
- Wikipedia: Richeza (Polen)
- Baukunst NRW: St. Maria im Kapitol in Köln
- Ökumenisches Heiligenlexikon: Bernhard von Clairvaux
- Wikipedia: Nikolaus Lauxen
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Bettlerdepot
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Arbeitsanstalt
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Zweiter Weltkrieg
- MDR: Zwangssterilisation im Dritten Reich
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Gedenkbuch Brauweiler - Edelweißpiraten
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Gedenkbuch Brauweiler - Konrad Adenauer
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: DP-Camp
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Landesarbeitsanstalt
- Bedeutende Anstöße zur Reformierung der unmenschlichen
Anstaltspsychiatrie sowie zur Öffnung der Psychiatrie und zur Auflösung
von Anstalten leistete der italienische Psychiater Franco Basaglia. Basaglia, Michel Foucalt
und andere entwickelten aus dem Zustand der Psychiatrie eine radikale
Gesellschaftskritik. Basaglia bewirkte 1978 ein Gesetz zur Abschaffung
psychiatrischer Anstalten in Italien.
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Landeskrankenhaus Brauweiler
- LVR: KuLaDig: Arbeitsanstalt Brauweiler
- SPIEGEL 7/1981: Tür zudrücken
- Diese Informationen und die Sprachlosigkeit der Väter-Generation haben mich als damaligen Student von Sozialwissenschaften stark irritiert und verstört. Das Verhältnis zur Generation unserer Vorgänger sowie der persönliche Blick auf die Welt und auf Chancen einer humanen Politik ist von diesen Erfahrungen nachhaltig negativ beeinflusst.
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Gedenkstätte Brauweiler
- LVR: Kulturzentrum Abtei Brauweiler: Heiraten in der Abtei Brauweiler
Rundgang in der Pfarrkirche St. Nikolaus und St. Medardus (1,2)
Im Unterschied zur beeindruckenden äußeren Architektur der Pfarrkirche fällt die Innenausstattung eher schlicht aus, zumindest soweit sie nicht aus dem Barock stammt. Wer sich mit barockem Inventar anfreunden kann, findet in der Pfarrkirche Freude. Von der älteren romanischen und später auch gotischen Ausstattung ist wenig erhalten.(3,4) Die Krypta ist sachlich eingerichtet. Auf uns wirkt die Einrichtung lieblos.
Foto-Kurzbeschreibung:
Links: Terrakottafigur des St. Medardus in einer Wandnische der Vorhalle (vermutlich Barock)
Mitte-links: Skulptur des hl. Nikolaus, um 1180
Mitte-rechts: Säule mit Bemalung des 14. Jahrhunderts
Rechts: Marienaltar (um 1180): Maria als Himmelskönigin mit ihrem Sohn, Pfarrpatrone Nikolaus und Medardus sowie Propheten
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- Wikipedia: Nikolaus von Myra
- Wikipedia: Medardus von Noyon
- Erzbistum Köln: Kurzführer Abtei Brauweiler (PDF)
- LVR KuLaDig: Pfarrkirche St. Nikolaus Brauweiler
Kunstausstellung in der Abtei Brauweiler
Im Winterrefektorium der Abtei Brauweiler präsentiert das Kulturzentrum (kostenlos) zum Zeitpunkt unseres Besuchs in der Ausstellung Grenzgänge 12 Bilder des Kölner Künstlers Gregory Berstein.
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- Kultur in der Abtei Brauweiler: Ausstellung Grenzgänge
- Internetpräsenz: Gregory Berstein
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