Sonntag, 3. Oktober 2021

Führung in der Kölner romanischen Kirche St. Maria im Kapitol

Konchenanlage aus Richtung Lichhof Kreuzgang und Innenhof St. Maria im Kapitol Ostkonche mit romanischen Würfelkapitellen und Umgang hinter spätgotischen Chorschranken
 
Im Rahmen unseres Exkursionsprojektes der Besichtung romanischer Kirchen in Köln nehmen wir zusammen mit 8 weiteren Teilnehmern an einer vom Kölner Domforum organisierten Führung (12 €/pP) in und an der frühromanischen Kirche St. Maria im Kapitol teil.(1,2) Die Krypta, eine Nachbildung der Krypta des Doms zu Speyer, konnten wir nicht besichtigen, weil keine Kirchenaufsicht anwesend war. Ein Video des WDR vermittelt Eindrücke.(3) Das Abschlusskonzert des Festivals Romanischer Sommer Köln findet tradionell als Romanische Nacht in St. Maria im Kapitol statt.
Unter den 12 großen romanischen Kirchen in Köln ist St. Maria im Kapitol mit 100 m Länge und 40 m Breite die größte romanische Kirche der Stadt mit dem ältesten Drei-Konchen-Chor, dessen Grundriss die Kölner romanischen Kirchen Groß St. Martin, St. Aposteln und St. Andreas aufnahmen. Im Mittelalter war St. Maria im Kapitol neben dem Dom die wichtigste sowie nach Dom und St. Gereon die reichste Kölner Kirche. Die um 1040 begonnene und 1065 geweihte romanische Kirche gilt als Schöpfungsbau einer neu formulierten Kirchenarchitektur, die antike Motive nach dem Vorbild der Geburtskirche in Bethlehem aufgriff. - Fotoserie
 
 
Kurzer Abriss zur Baugeschichte von St. Maria im Kapitol
  • Die Architekturgeschichte von St. Maria im Kapitol beginnt weit vor dem Mittelalter. Am Ort der heutigen Kirche wurde im 1. Jahrhundert in der damals römischen Colonia Claudia Ara Agrippinensium auf einer leichten Erhöhung ein Kapitolstempel für die 3 wichtigsten römischen Gottheiten errichtet. Das von späteren Kirchenbauten als Fundemant genutzte Mauerwerk des Tempels gab Maße dieser Kirchenbauten vor. Reste des Kapitoltempels sind im Mauerwerk der Nachfolgekirchen verbaut.
  • Den ersten christlichen Gründungsbau stiftete auf dem Kapitolshügel im frühen 8. Jahrhundert Plektrudis (ca. 660 - 725), Ehefrau des karolingischen Hausmeiers Pippin der Mittlere. Plektrudis fand in der Kirche ihre Grablege. Während Plektrudis Gebeine verloren gingen, sind von mehreren bekannten, aber nicht mehr existierenden Grablegen des 12. und 13. Jahrhunderts zwei Grabplatten erhalten.
  • Im Winter 881/2 zerstörten Wikinger auf ihren Raubzügen den frühchristlichen Gründungsbau.(4) 
  • Im 10. Jahrhundert gründete Erzbischof Bruno I. (925 - 965), Bruder von Kaiser Otto I. (912 - 973), an diesem Ort ein Benediktinerinnen-Kloster. Die Architektur dieses Baus ist unbekannt. Mauerwerk des Baus ist im heutigen Westbau erhalten. Ob weitere Teile für den salischen Neubau des 11. Jahrhunderts Verwendung fanden, bleibt Spekulation.
  • Ab dem 9. Jahrhundert erklärte sich Köln zur heiligen Stadt und zum Rom des Nordens.(5) Diesen Anspruch wollte der Kölner Erzbischof Hermann II. kraft beeindruckender Kirchenarchitektur symbolisch manifestieren. Hermann und seine Schwester Ida, Äbtissin des Frauenstifts St. Maria im Kapitol, ließen nach dem Vorbild der römischen Kirche Santa Maria Maggiore eine Kirche errichten, deren Architektur bedeutende Kirchenbauten und Herrschaftssymbole ihrer Zeit zitiert, wie die Geburtskirche Bethlehem, den Speyerer Dom und die karolingische Aachener Pfalzkapelle. Unter Teilnahme von Kaiser Heinrich III. weihte Papst Leo IX. 1049 Kreuzaltar und Längsschiff des Neubaus. Erzbischof Anno II. spendete 1065 die Schlußweihe. 
  • Im 12. Jahrhundert wurde das Benediktinerinnen-Kloster in ein Kanonissenstift für Frauen des Adels umgewandelt.
  • In nachfolgenden Jahrhunderten erfolgten zahlreiche Ausbauten, Umbauten, Anbauten und Reparaturen.(6) 
 
Historistische Ausstattung des 19. Jh. nach Entwürfen von August Essenwein
Historistische Ausstattung des 19. Jh.
Architektonische Details des salischen Neubaus des 11. Jahrhunderts sind heute nicht mehr rekonstruierbar. Unter dem Einfluß der Romantik verbreiteten sich im 19. Jahrhundert in Europa historistische Architekturideen. In Kölner romanischen Kirchen wurden Barockisierungen von Innenräumen zugunsten einer historistischen Neuausstattung nach Entwürfen von August Essenwein rückgängig gemacht. Nach Zerstörungen des 2. Weltkriegs wurden historistische Ausstattungen des 19. Jahrhunderts bei der Rekonstruktion Kölner romanischer Kirchen nicht wiederhergestellt und sind daher nur noch in Spuren vorhanden.


 
Ansicht der zerstörten Kirche von Nordwesten 1948
Ansicht der zerstörten Kirche von Nordwesten 1948
Ansicht der zerstörten Konchenanlage 1947
Ansicht der zerstörten Konchenanlage 1947
Während des 2. Weltkriegs zerstörten alliierte Bombardements 1942 - 1945 den bis dahin vielfach umgestalteten salischen Neubau des 11. Jahrhunderts. Im Zeitraum 1956 - 1985 erfolgte gemäß Bauforschung des 20. Jahrhunderts eine Rekonstruktion des romanischen Bauwerks im Stil des 11. Jahrhunderts.(7) Historisch hat das aktuelle Bauwerk zu keiner Zeit in der heutigen Ansicht existiert.
 
  

Ausstattung St. Maria im Kapitol
 
Von der originalen historischen Ausstattung der Kirche ist nur wenig erhalten. Objekte des Innenraums stammen teilweise aus anderen Kölner Kirchen oder aus dem Kunsthandel. 
 
Madonna des hl. Hermann Josef, 12. Jh. Limburger Madonna, um 1300 (im 19. Jh. über den Kunsthandel erworben) Ursprünglich an der Stirnwand des Nordschiffs angebrachte Madonnenfigur mit Kind über einem Löwen, um 1200
 
Das Marienpatronat motiviert zur Aufstellung von Marienstatuen:
  • Die linke Statue Madonna des hl. Hermann Joseph stammt aus einer Kölner Werkstatt und war vermutich ursprünglich Teil eines Altarretabels oder einer Chorschranke.(8) Am Sockel der Statue abgelegte Äpfel verweisen auf die Legende des hl. Hermann Josef von Steinfeld
  • Die mittlere Limburger Madonna (um 1300) wurde 1879 im Kunsthandel erworben.
  • Die rechte Steinskulptur der thronenden Madonna mit Kind (um 1200) war ursprünglich im Außenbereich der Westwand in großer Höhe angebracht.
 
Gotisches Kreuzigungsfenster, 16. Hj. Judenfeindliche Darstellung im Kreuzigungsfenster Gotisches Ursula-Fenster, 16. Jh.

Im nördlichen Seitenschiff sind zwei während des 2. Weltkriegs ausgelagerte gotische Fenster des 15./16. Jahrhunderts erhalten: 
  • Das Kreuzigungsfenster (kinks) zeigt auf drei Bahnen im Umfeld der Kreuzigungsszene eine Versammlung von Heiligen sowie kleinformatige Darstellungen der Stifter am Fuß des Kreuzes. Eine Darstellung der rechten Bahn dokumentiert nicht nur in Köln verbreiteten Judenhass, indem sie neben dem hl. Hieronymus als Kardinal unter mehreren Zuschauern die klischeehafte judenfeindliche Darstellung eines Mannes mit Hakennase und Bart zeigt, der mit Hass in Richtung Kreuz schaut.(9)  
  • Die hl. Ursula, Schutzpatronin der Stadt Köln, ist im Ursulafenster als Schutzmantel-Ursula mit Märtyrerpalme zwischen dem hl. Jakobus und dem hl. Gereon dargestellt. Im unteren Teil des Fensters knien die Stifter. Gemäß dem Prinzip 'tue Gutes und rede darüber' weist ein Engel zwischen ihnen die Familienwappen der Stifter aus.
Weitere Fenster des gotischen Zyklus wurden für die Konchenanlage im 19. Jahrhundert nach Entwürfen des 15. Jahrhunderts gefertigt. Neben historischen Fenstern enthält die Kirche moderne Fenster mit einer abstrahierenden Bildsprache.

 
Romanische Holztür mit 26 Reliefs aus dem Leben Christi, 1060 (ehemals Nordkonche) Gotische Grabplatte der Plektrudis mit Modell von St. Maria im Kapitol, 1280/90-1300 Gotisches Leidenskruzifix mit Gabelkreuz, frühes 14. Jh.

Höhepunkte der Innenausstattung:
  • Im Langhaus zeigen Reliefs einer romanischen Bildertür des 11. Jahrhunderts auf 26 Tafeln Szenen aus dem Leben Christi. Die Holztür war ursprünglich am Portal der Nordkonche angebracht und zählt zu den bedeutendsten erhaltenen Holztüren der Kunstgeschichte.(10) 
  • An der Südwand des Langhauses ist eine um 1290 gefertigte gotische Grabplatte aufgestellt, die ursprünglich die romanische Grablege der Plektrudis abdeckte. Plektrudis ist als weltliche Herrscherin dargestellt und hält in der linken Hand ein Modell von St. Maria im Kapitol. Eine ältere romanische Grabplatte (um 1160) bedeckt einen im nördlichen Langhaus aufgestellten Kalksteinsarkophag. Diese Grabplatte zeigt Plektrudis mit Heiligenschein, obwohl sie nie heilig gesprochen wurde.
  • In einer Kapelle der Ostkonche ist ein Crucifixus dolorosus im gotischen Stil des frühen 14. Jahrhunderts angebracht, das Leiden und Sterben Christi betont expressiv an einem Gabelkreuz darstellt. Aus diesem Ausdruck mystischer Frömmmigkeit entwickelten sich Darstellungen der Pietà.(11) 

Außenanlagen St. Maria im Kapitol

Kreuzgang und Westbau St. Maria im KapitolKreuzgang und Innenhof St. Maria im Kapitol In der Gegenwart betreten Besucher die Kirche nach Durchquerung eines Kreuzgangs durch das Westportal. Zur Zeit des Kanonissenstifts war der Zugang der Kirche durch das Westportal den Stiftsdamen vorbehalten, deren Klausurgebäude sich um den im Westen liegenden Kreuzgang gruppierten. Laien betraten die Kirche durch Türen der Nord- oder Südkonche. Vom Kreuzganghof ist nur ein unvollständiger Blick auf den dreiteiligen Westbau möglich, dessen Architektur die benachbarte romanische Kirche St. Pantaleon zitiert.
 
 
 
 
 
Lichhof, Dreikonchenanlage, Skulptur "Die Trauernde" von.Gerhard Marcks
Lichhof, Konchenanlage (Foto Hans Peter Schäfer)
Dreikönigenpförtchen („Dreikünnijepöötzche“) zwischen Marienplatz und Lichhof Im Mittelalter lag der Gesamtkomplex des Stifts hinter einer Mauer, die einen kirchlichen Immunitätsbezirk eingrenzte, innerhalb dessen kein Stadtrecht ausgeübt wurde, sondern die Äbtissin des Stifts Recht sprach. Der Immunitätsbezirk konnte nur durch mehrere abschließbare Pforten betreten werden. Die Konchenanlage ist vom Lichhof umgeben, auf dem sich ehemals der Kirchenfriedhof ('Leichenhof') befand. Um den Lichhof aus Richtung Marienplatz zu erreichen, muss das Dreikönigenpförtchen (Dreikünnijepöötzche) durchquert werden, das als einzige Immunitätspforte erhalten ist. Verantwortlich für diesen Sachverhalt dürfte die Legende sein, dass Erzbischof Rainald von Dassel die Gebeine der Heiligen Drei Könige als Kriegsbeute zunächst nach St. Maria im Kapitol brachte und darum diese Pforte mit den Gebeinen durchschritt. 1310 angebrachte Figuren über dem spitzbögigen Durchlass des Tores stellen die Anbetung der Heiligen Drei Könige dar. Figuren der Pforte sind Kopien. Die Originale befinden sich im Museum Schnütgen.

Luftbild St. Maria im Kapitol, 2010
Luftbild St. Maria im Kapitol, 2010, Fotograf/Urheber: Neuwieser, CC-BY-SA-2.0

Anmerkungen
  1. Post: Besichtigungen romanischer Kirchen in Köln
  2. Online-Beschreibungen von St. Maria im Kapitol:
  3. Video-Clip der Reihe Lokalzeit aus Köln: Unter Gottes Gewölbe - St. Maria im Kapitol
  4. Wikipedia: Raubzüge der Wikinger in das Rheinland
  5. Siehe Post Besichtigungen romanischer Kirchen in Köln
  6. Portal des Fördervereins Romanische Kirchen Köln: Baugeschichte St.Maria im Kapitol: 12. bis 18. Jahrhundert
  7. Portal des Fördervereins Romanische Kirchen Köln: Baugeschichte St.Maria im Kapitol: Krieg & Wiederaufbau 
  8. Portal des Fördervereins Romanische Kirchen Köln: Ausstattung St. Maria im Kapitol: Sog. Madonna des hl. Hermann Josef
  9. Die Kulturgeschichte des Antisemitismus in Köln machte im Sommer 2021 eine Ausstellung sichtbar, über die ein Post vom 9. Juli 2021 berichtet: Der Kölner Dom und die Juden
  10. Wikipedia: Holztür von St. Maria im Kapitol
  11. Wikipedia: St. Maria im Kapitol: Gabelkreuz, Pietà

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