Fridericianum und Occupy Camp am Friedrichplatz |
Der aktuelle Post beschreibt allgemeine Aspekte unseres Besuchs der documenta. Die besonderen Erfahrungen an einzelnen Ausstellungsorten würdigen jeweils spezifische Artikel. Link 1: Offizielle Webseite documenta 13 - Link 2: Diashow Fotos 'Friedrichsplatz'
Für die Vor- oder Nachberbeitung eines Besuchs erweist sich der 'virtuelle Rundgang' des hessischen Rundfunks als extrem hilfreich: Link: Virtueller Rundang documenta13
Erste Eindrücke
Orangerieschloss Karlsaue |
'Rahmenbau' von Haus-Rucker-Co am Friedrichsplatz |
Occupy Camp auf dem Friedrichplatz |
Die Aushändigung der gebuchten und bereits bezahlten Führungstickets bereitet zunächst Probleme. Wir sollen die Führungen noch einmal bezahlen, weil 'das System' vermeintlich nicht den Status 'bezahlt' ausweist. Anhand der Belege könnten wir später eine Rückforderung ggf. ungerechtfertigter Bezahlungen veranlassen, versucht man uns zu erklären. Auf diesen Vorschlag wollen wir uns nicht einlassen. Nach interner Beratung der anwesenden Fachkompetenz löst sich das Problem auf. Wir erhalten unsere Tickets und sind zufrieden.
Prosecco am Friedrichplatz |
Ausstellungsgebäude im Nordflügel des Hauptbahnhofs |
Vorplatz der Hauptbahnhofs Kassel |
Gedanken zum Konzept der Ausstellung
Eine Veranstaltung dieser Art lebt nicht vom Konsens, der in diesem Themenfeld ohnehin nicht
möglich ist, sondern von der Dynamik und der Reibung, die in einem Konzert eigenwilliger und
selbstbewusster Solisten unvermeidbar sind. Indem Prinzipien eines Orchesters dekonstruiert werden,
eröffnen sich neue Erlebniswelten und Zusammenhänge, in denen ein Rezipient nicht nur stiller
Beobachter ist, sondern aktiver Teilnehmer wird. Struktur, Klang und Farben eines Konzertes
entstehen und verändern sich mit den subjektiven Wahrnehmungen von Rezipienten. Das war nie
anders, aber auf der documenta wird dieser selbstverständliche Sachverhalt zum Bestandteil eines
Konzeptes. Kein Besucher wäre in der Lage, alle Angebote der documenta aufzunehmen. Jeder
Besucher ist gezwungen, Auswahlentscheidungen zu treffen, Schwerpunkte zu setzen, Deutungen
und Wertungen zu finden. Letztlich konstruiert jeder Besucher seine individuelle documenta und ist
darum auch mitverantwortlich für die Qualität des subjektiven Erlebniswertes. Das macht die
documente sehr spannend.
Viel deutlicher als den meisten Menschen dürfte gerade Künstlern bewusst sein, dass vermeintliche Realität auf einer Fiktion menschlicher Wahrnehmung beruht. Mutter Natur hat uns mit einem kognitiven Apparat ausgestattet, der subjektive Wahrnehmung in objektive Wahrheiten und Kausalbeziehungen transformiert, ohne dass wir tatsächlich sicheres Wissen erlangen können. Große Anstrengungen zur Wahrheitsfindung verkehren sich in ihr Gegenteil. Je mehr wir uns um dieses Wissen bemühen, umso eher verstehen wir die Unmöglichkeit dieses Begehrens. Der evolutionäre Prozess bestätigt für die Vergangenheit die Nützlichkeit dieser Fiktion. Die Zukunftsfähigkeit muss sich dagegen noch erweisen. Zweifel sind erlaubt und auch angebracht. Seriöse zeitgenössische Kunst kann vor diesem Hintergrund keine affirmative oder wie auch immer geartete visionäre Haltung einnehmen, sondern zieht sich entweder auf eine hermetische Subjektivät zurück oder sie wird politisch im Sinne von mahnend, anklagend und aufklärend. Auf der documenta überwiegt Kunst mit politischer Ausrichtung, was nicht nur Beifall findet, sondern auch Ablehnung und Widerspruch provoziert. Widerspruch und Aufklärung stören das soziale Zusammenleben und erzeugen Konflikte. Die Reibung an diesen Dissonanzen belebt kreative Kräfte auf Seiten von Künstlern, die uns mit ihren Arbeiten dazu verhelfen, das Spannungsfeld zu vermessen, in dem unser eigenes Leben stattfindet.
Viel deutlicher als den meisten Menschen dürfte gerade Künstlern bewusst sein, dass vermeintliche Realität auf einer Fiktion menschlicher Wahrnehmung beruht. Mutter Natur hat uns mit einem kognitiven Apparat ausgestattet, der subjektive Wahrnehmung in objektive Wahrheiten und Kausalbeziehungen transformiert, ohne dass wir tatsächlich sicheres Wissen erlangen können. Große Anstrengungen zur Wahrheitsfindung verkehren sich in ihr Gegenteil. Je mehr wir uns um dieses Wissen bemühen, umso eher verstehen wir die Unmöglichkeit dieses Begehrens. Der evolutionäre Prozess bestätigt für die Vergangenheit die Nützlichkeit dieser Fiktion. Die Zukunftsfähigkeit muss sich dagegen noch erweisen. Zweifel sind erlaubt und auch angebracht. Seriöse zeitgenössische Kunst kann vor diesem Hintergrund keine affirmative oder wie auch immer geartete visionäre Haltung einnehmen, sondern zieht sich entweder auf eine hermetische Subjektivät zurück oder sie wird politisch im Sinne von mahnend, anklagend und aufklärend. Auf der documenta überwiegt Kunst mit politischer Ausrichtung, was nicht nur Beifall findet, sondern auch Ablehnung und Widerspruch provoziert. Widerspruch und Aufklärung stören das soziale Zusammenleben und erzeugen Konflikte. Die Reibung an diesen Dissonanzen belebt kreative Kräfte auf Seiten von Künstlern, die uns mit ihren Arbeiten dazu verhelfen, das Spannungsfeld zu vermessen, in dem unser eigenes Leben stattfindet.
Wenn verbindliche Vorgaben für eine Justierung von Deutungen und Bewertungen ausfallen, eröffnen sich Räume, in denen sich Kreativität entfalten kann. Auch kreative Artefakte basieren wie jedes Handeln auf Erfahrungen und sind darum immer auch kulturabhängig. Artefakte empfinden wir aber erst dann als Ergebnis eines kreativen Prozesses, wenn sie die Grenzen kultureller Standards und Kontexte überschreiten bzw. über diese hinausweisen und uns aufmerksam oder sogar neugierig machen auf neue Sichtweisen und neue Erkenntnisse. Auf dieser abstrakten Ebene lösen sich Unterschiede auf, die zwischen Kunstschaffenden und Kunstbetrieben auf der einen Seite sowie Unternehmern und Wirtschaftsunternehmen auf der anderen Seite auszumachen sind. Beide verdanken ihre Existenz der Nachfrage nach ihren Produkten. Sie sind darum immer nur Teil eines größeren Kontextes struktureller Zusammenhänge und dynamischer Prozesse, den wir als 'Markt' umschreiben. Märkte bleiben jedoch abstrakt, weshalb sie unsere Wahrnehmung nicht bildlich zu erfassen vermag. Inzwischen hat sich der Begriff 'Virtualität' durchgesetzt für diese komplexen Prozesse, die in unanschaulichen Strukturen stattfinden. 'Virtualität' ist ein bedeutender Aspekt dieser documenta 13. Einige Arbeiten versuchen, abstrakte 'Virtualität' sichtbar und damit erfahrbar zu machen.
Die Präferenz des Sichtbaren in der menschlichen Wahrnehmung, unsere Bevorzugung des Dauerhaften gegenüber dem Flüchtigen und unsere Neigung zu symbolischer Überhöhungen banaler Gegenstände oder Artefakte beruhen auf Mechanismen unseres kognitiven Apparates, die sich unserer bewussten Kontrolle entziehen. Etliche Installationen der documenta 13 zielen darauf ab, diese Mechanismen bewusst zu machen und zu durchbrechen, indem sie das Dunkel des Unbewussten ausleuchten. Geräusche und Klangmuster befinden sich im Zentrum einiger Installationen oder stehen gleichberechtigt neben optischen Reizen. Ein erheblicher Anteil des Programms besteht aus Events, Performances und sogar physikalischen Experimenten. Eine Reihe von Arbeiten reklamieren Beziehungen zu Arbeiten an entfernten Orten.
Die Qualität der Distanz ist dabei ohne Bedeutung. Bei sehr großen Distanzen vermag zwar ein Betrachter nicht mehr zu überprüfen, ob Behauptungen zu Objekte oder Sachverhalte an entfernten Orten zutreffend sind, aber selbst wenn diese Prüfung möglich wäre, bleibt die Frage der Validierung irrelevant. Es geht nämlich nicht um Objekte, sondern um nicht sichtbare Beziehungen bzw. Strukturen. Sie existieren nur darum, wenn wir ihre Existenz als real annehmen aufgrund vermeintlich erkannter oder angenommener Wechselwirkungen. Diese Wechselwirkungen haben keine dingliche Qualität mit räumlicher Ausdehnung, sondern es handelt sich um Kräfte (wie z.B. Magnetismus, Elektrizität oder Religion), von denen wir wissen oder zu wissen glauben, dass sie Wirkungen auf Objekte oder Subjekte entfalten. "Wenn Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real," lehrten uns bereits W. I. und D. S. Thomas (The Child in America, 1928).
Was mit 'Sichtbarmachung von Virtualität' gemeint ist, soll ein Beispiel exemplarisch verdeutlichen:
Eine Tafel macht auf die Installation 'Klangtext' der
schottischen
Künstlerin Susan Philipsz aufmerksam. In einem abgelegenen Abschnitt der
Gleise erklingt getragene Streichermusik aus Bahnhofslautsprechern. Die
Musik klingt nicht besonders aufregend. Der Sound ist grottenschlecht
und die Umgebung ist eher abschreckend. Die banale Bezeichnung der
Installation ist nicht erleuchtend. Die
Installation sperrt sich gegen eine naive Rezeption.
In der Wahrnehmung des Rezipienten eröffnen sich vieldimensionale Räume, in denen sich die Geschichte von Nationen, Völkern, Kriegen und Menschen entfaltet. Bilder des Grauens tauchen auf. Emotionen von Mitgefühl, Scham, Trauer oder auch Wut werden geweckt. Susan Philipsz Installation ist eingebunden in Strukturen, die unsichtbar bleiben und erst in unserer eigenen Wahrnehmung real werden. Hier erleben wir sehr intensiv, wie sehr unsere eigene Wahrnehmung vom gespeicherten Hintergrundwissen (Erfahrung) abhängig ist und die Qualität bestimmt, in der wir diese Klanginstallation rezipieren.
Konzept der dTours der dOKUMENTA (13)
Öffentliche Führungen betreuen 'Wordly Companions', die nicht als Experten zu verstehen sind und
meistens auch keine Experten sind. Das Konzept sieht keine Führer vor, sondern engagierte Begleiter vor, die Besucher auf
'Umwegen' ('dtours') durch das Gelände leiten und mittels interaktiver Techniken mit den Besuchern
vertiefende Gespräche über Erlebnisse und Erfahrungen anregen möchten.
Moderne Kunst bewegt sich bekanntlich auf dünnem Eis. Sie ist überwiegend offen gegenüber unterschiedlichen Arten der Annäherung und der Rezeption. Sie will keine vordergründigen Deutungsmuster vorgeben, sondern möchte die Wahrnehmung der Betrachters zu einer individuellen Auseinandersetzung mit Deutungsmustern anregen. Aus dieser Sicht wirkt das Konzept der 'Wordly Companions' stimmig. Unsere eigenen Erfahrungen, die natürlich nicht repräsentativ sein können und keine Allgemeingültigkeit beanspruchen, sind enttäuschend. Nach halbjährigem Training zeigen sich die 'Wordly Companions' durchaus fit. Sie sind aber offensichtlich dazu angehalten, 'besucherzentrierte Gespräche' zu führen nach dem Muster: Jeder schaut sich fünf Minuten eine Sequenz, einen Raum, eine Installation etc. an; anschließend tauschen wir uns über die subjektiven Empfindungen aus und erwarten mittels der Bündelung unserer Eindrücke neue Erkenntnisse.
Für Schulklassen mag dieser Ansatz erfolgversprechend sein, weil wenig oder keine Vorkenntnisse, aber umso mehr Vorurteile vorausgesetzt werden können und beide Sachverhalte eine angemessene Rezeption erschweren. Erwachsene Besucher, die sich bewusst für einen Besuch entscheiden, Zeit freihalten und Kosten in Kauf nehmen, folgen ihren Interessen und Vorkenntnissen. Dank ihrer Motivation bringen sie Erfahrungen mit und verfügen vielleicht auch über partielles Expertenwissen. Sie suchen nach vertiefenden Informationen und möchten ihre Zeit nicht mit einem belanglosen Austausch über diffuse Befindlichkeitssignale in zufällig und temporär bestehenden Selbsthilfe-Gruppe verschwenden.
Zwei unserer drei Führungen laufen nach diesem Muster ab. Die erste Führung leitet eine blutjunge und äußerst engagierte Abiturientin. Sie schlägt sich bemerkenswert gut, redet sich aber in dem vorgegebenen Konzept letztlich nur wund und erregt damit ein gewisses Mitleid. Eine weitere Führung am nächsten Tag verlassen wir, sobald wir erneut dieses wenig fruchtbare Muster erkennen. Die Führung durch das Fridericianeum entspricht dagegen unseren Erwartungen und ist für uns ein Gewinn. Unsere 'Wordly Companion' kündigt zwar ebenfalls an, keine übliche Führung zu leiten, sondern mit der Gruppe über einige ausgewählte Arbeiten ins Gespräch kommen zu wollen. Stattdessen nehmen wir glücklicherweise an einer sehr instruktiven und inspirierenden 'klassischen Führung' teil. Danke!
Moderne Kunst bewegt sich bekanntlich auf dünnem Eis. Sie ist überwiegend offen gegenüber unterschiedlichen Arten der Annäherung und der Rezeption. Sie will keine vordergründigen Deutungsmuster vorgeben, sondern möchte die Wahrnehmung der Betrachters zu einer individuellen Auseinandersetzung mit Deutungsmustern anregen. Aus dieser Sicht wirkt das Konzept der 'Wordly Companions' stimmig. Unsere eigenen Erfahrungen, die natürlich nicht repräsentativ sein können und keine Allgemeingültigkeit beanspruchen, sind enttäuschend. Nach halbjährigem Training zeigen sich die 'Wordly Companions' durchaus fit. Sie sind aber offensichtlich dazu angehalten, 'besucherzentrierte Gespräche' zu führen nach dem Muster: Jeder schaut sich fünf Minuten eine Sequenz, einen Raum, eine Installation etc. an; anschließend tauschen wir uns über die subjektiven Empfindungen aus und erwarten mittels der Bündelung unserer Eindrücke neue Erkenntnisse.
Für Schulklassen mag dieser Ansatz erfolgversprechend sein, weil wenig oder keine Vorkenntnisse, aber umso mehr Vorurteile vorausgesetzt werden können und beide Sachverhalte eine angemessene Rezeption erschweren. Erwachsene Besucher, die sich bewusst für einen Besuch entscheiden, Zeit freihalten und Kosten in Kauf nehmen, folgen ihren Interessen und Vorkenntnissen. Dank ihrer Motivation bringen sie Erfahrungen mit und verfügen vielleicht auch über partielles Expertenwissen. Sie suchen nach vertiefenden Informationen und möchten ihre Zeit nicht mit einem belanglosen Austausch über diffuse Befindlichkeitssignale in zufällig und temporär bestehenden Selbsthilfe-Gruppe verschwenden.
Zwei unserer drei Führungen laufen nach diesem Muster ab. Die erste Führung leitet eine blutjunge und äußerst engagierte Abiturientin. Sie schlägt sich bemerkenswert gut, redet sich aber in dem vorgegebenen Konzept letztlich nur wund und erregt damit ein gewisses Mitleid. Eine weitere Führung am nächsten Tag verlassen wir, sobald wir erneut dieses wenig fruchtbare Muster erkennen. Die Führung durch das Fridericianeum entspricht dagegen unseren Erwartungen und ist für uns ein Gewinn. Unsere 'Wordly Companion' kündigt zwar ebenfalls an, keine übliche Führung zu leiten, sondern mit der Gruppe über einige ausgewählte Arbeiten ins Gespräch kommen zu wollen. Stattdessen nehmen wir glücklicherweise an einer sehr instruktiven und inspirierenden 'klassischen Führung' teil. Danke!
Unterkunft in Grebenstein
Hotel Deutsche Eiche in Grebenstein |
Das familiär betriebene Hotel verfügt über zehn komfortabel eingerichtete Zimmer in zeitgemäß renovierten Räumern. Die alte Bausubstanz verlangt Gästen nur kleine Zugeständnisse ab. Die Besitzer müssen sich dagegen regelmäßig mit unschönen Überraschungen auseinandersetzen. Der letzte Wasserschaden ist noch nicht vollständig bewältigt. Die Motivation der Betreiber scheint darunter nicht zu leiden. Die Küche des Restaurants überrascht mit attraktiven Angeboten zu moderaten Preisen, die sogar der 'Guide Michelin' empfiehlt. Inhaber und Servicekräfte sind Gästen in empathischer Art zugewandt und vermitteln eine Wohlfühl-Atmosphäre, zu der wir gerne zurückkehren.
Grebenstein im hessischen Bergland |
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