Mittwoch, 20. Juni 2012

Unperfektes als Kultur und Lebensprinzip - Levve en Kölle, Düx un de schäl Sick

Blick von der Deutzer Brücke auf das linksrheinische Kölner Rheinpanorama (kurz vor Mitternacht am 25.06.2012)
Das Kölner Rheinpanorama ist nirgendwo so attraktiv wie aus Deutzer Blickrichtung, was auch Ludwig Sebus in dem ‚Kölsche Krätzje’ (mundartliche Lieder, die mit Biss und Hintersinn Alltagsschwächen thematisieren) mit dem Titel ‚Et Rheinpanorama’ bestätigt: "Luur ens vun Düx noh Kölle, vum Staune bes de platt, em Dunkele em Helle, vum Zauber bes de platt".
Unstrittig hat das Leben in 'Düx' (Deutz) seine Vorzüge:
  • Bei mindestens drei Ereignissen genießen Anwohner am Rhein kaum zu überbietende Logenplätze: Zur Schiffprozession an Fronleichnam, wenn die Müllemer Jottestracht’ auf dem Rhein vorbeizieht, zum Feuerwerk ‚Kölner Lichter’ sowie am Jahresende zu Silvester. 
  • Seit etlichen Jahren startet und endet der Köln-Marathon in Deutz. 
  • Mit der ‚Arena’ ist in Deutz die größte Veranstaltungshalle im weiten Kölner Raum beheimatet, in der über das gesamte Jahr attraktive Veranstaltungen stattfinden. 
Wirtschaftlich ist die Halle jedoch eines der vielen größeren Desaster, die Köln wie ein Magnet anzuziehen scheint, wenn sie nicht gleich in Köln beheimatet sind. Glücklicherweise sind Kölner beider Rheinseiten lebenslustig und darum weder kleinlich noch nachtragend. Auch wenn das Leben hart kommt, lassen sich Kölner den Spaß nicht so schnell verderben. Sie wissen, 'am Aasch es et düster' und sagen sich: 'Mer läv nur eimol, drieß op d'r Driss!' (Eine Übersetzung der oft derben 'Kölschen Sproch' verbietet sich hier!) Das ‚Kölsche Grundgesetz’ fasst mit seinen Ergänzungen die geschmeidige Einstellung gegenüber den Ecken und Kanten des Lebens zusammen und hält zugleich für weniger erfreuliche Lebenssituation einige Weisheiten Kölner Lebensart vor:
Artikel 1: Et es wie et es.
Artikel 2: Et kütt wie et kütt.
Artikel 3: Et hät noch emmer joot jejange.
Artikel 4: Wat fott es, es fott.
Artikel 5: Et bliev nix wie et wor.
Artikel 6: Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.
Artikel 7: Wat wells de maache?
Artikel 8: Maach et joot, ävver nit zo off.
Artikel 9: Wat soll dä Käu?
Artikel 10: Drinks de ejne met?
Artikel 11: Do laachs de disch kapott.
Notstandsgesetz: Et hätt noch schlimmer kumme künne.
Wohlstandsgesetz: Mer muss och jünne könne!
Anti-Stress-Gesetz: Mer muss sisch och jet jünne könne!

Poller Rheinwiesen
Zu besonderen Ehren kam das rechtsrheinische Köln, als Papst Benedikt XVI. im August 2005 anlässlich des Weltjugendtages von einem Rheinschiff Tausende jubelnder junger Menschen am Poller Rheinufer begrüßte. Im Vorfeld des Besuchs wurden endlich einige Blindgänger-Bomben des letzten Krieges am Poller Rheinufer geräumt, was die Anwohner in verständliche Aufregung versetzte. Auch in solchen Situationen bewährt sich das ‚Kölsche Grundgesetz’. 
Uns erwischte die Veranstaltung des Weltjugendtages auf dem falschen Fuß. Auf der Rückreise von einem Urlaubsaufenthalt im Ausland blieb lange unsicher, ob die Verbindung zwischen Düsseldorf und Köln von der Deutschen Bahn bedient wird. Über den Bahnverkehr gab es keine Informationen, und sämtliche Mitarbeiter der Bahn schienen sich versteckt zu haben. Wir wägten bereits die Alternative einer Übernachtung in Düsseldorf gegen eine Taxifahrt ab, als doch endlich ein Zug in Richtung Köln einlief. Mit mehren Stunden Verspätung trafen wir endlich am Hauptbahnhof Köln ein und erlebten ein unbeschreibliches Chaos, dem sich der lokale öffentliche Verkehrsbetrieb 'KVB' hilflos ergab. ‚Immis’ (zugereiste Einwohner und darum keine 'echt Kölsche' bzw. gebürtige Ur-Kölner) versetzt derartiges Chaos in Aufregung. 'Immis' haben nämlich das ‚Kölsche Grundgesetz’ nicht mit der Muttermilch aufgenommen, sondern müssen es in der Realität erfahren und lernen. Das ist durchaus mühsam oder auch schmerzhaft und gelingt niemals perfekt. Wenn die Lernkurve überwunden ist, erweist sich das ‚Kölsche Grundgesetz’ im Kölner Alltag als ausgesprochen hilfreich. Es wirkt gesundheitsfördernd, indem es den Adrenalinspiegel niedrig hält und dient damit der Vermeidung von Herzinfarkten. Im Ergebnis begünstigt das ‚Kölsche Grundgesetz’ ein hohes Lebensalter, weshalb 'Kölsche' glauben, Günstlinge des 'Herrjotts' zu sein. 

'Arena' in Deutz
Unter den vielen Vorzügen, die ‚Düx’ als Wohnsitz ausweist, spielt der Karneval eine zwiespältige Rolle. Die äußerst populäre volkstümliche Karnevalsveranstaltung ‚Lachende Sporthalle’ hat immerhin ihre Heimat in ‚Düx’. Sie nutzt seit etlichen Jahren die ‚Arena’ für ihre Veranstaltungsserie, nachdem sie viele Jahre ihr karnevalistisches Treiben in der alten Sporthalle im Messegelände entfaltete. Der Umzug in die ‚Arena’ geschah aber nicht ganz freiwillig. 1999 musste die alte Sporthalle einem neuen Nutzungskonzept des Messegeländes weichen. Die Sporthalle fügte sich ihrem Schicksal nicht bereitwillig. Am 13.03.1999 sollte unter den Augen vieler Schaulustiger morgens um 7:00 Uhr die Halle gesprengt werden. Sie überstand jedoch den ersten Sprengversuch und fiel erst mit der zweiten Sprengung am späten Nachmittag des Tages zusammen.


Das neue Nutzungskonzept des Messegeländes ist weder für Kölner Karnevalisten noch für die Messegesellschaft ein Volltreffer. Während Karnevalisten den Verlust von Atmosphäre in der Arena bedauern, leidet die Messegesellschaft an einem Dauerdefizit, das vor allem den hohen Mietkosten der Messehallen zugeschrieben wird. Der 'Elektronische Bundesanzeiger' offenbart, dass die Bilanz (der öffentlich nicht zu verbergende Teil des Geschäftes) der 'Koelnmesse GmbH' für das Jahr 2009 einen Verlust von mehr als 31 Millionen Euro ausweist. Im Jahr 2010 sind es mehr als 12 Millionen Euro. Für das Jahr 2011 hat sich die Messegesellschaft von der Veröffentlichungspflicht ihrer Bilanz befreien lassen. Das lässt Böses ahnen, bereitet aber keine wirklichen Probleme. Eigentümer der Messegesellschaft sind nämlich die Stadt Köln und das Land NRW. Die Zeche zahlen somit wir, die Steuerzahler. Der Hinweis, dass die Stadt Köln vom Messebetrieb in einer Größenordnung profitiert, die Verluste der Messegesellschaft verschmerzen lassen, vermag nicht zu überzeugen. Vom Umsatz des Messebetriebes profitieren nur Wenige, während die meisten Beschäftigten im Hotelgewerbe, der Gastronomie und sonstigen messeabhängigen Dienstleistungen zu den Kleinverdienern zählen und oft nur befristet engagiert sind. 

Im Ergebnis trägt der Messebetrieb zu einer Umverteilung der Einkünfte von Kleinverdienern in Richtung der Profiteure statt. Vor diesem Hintergrund wird die Verschuldung der Stadt verständlich. Die Stadt Köln ist nämlich ein Instrument dieser Umverteilung. Wenn ihre Mittel für dringende Reparaturen im öffentlichen Raum nicht ausreichen und Services immer stärker abnehmen, trösten sich Kölner mit und in dem Karneval. Dass die Größenordnung der Aufwendungen für die drei Gesellschafter der Messegesellschaft im Jahr 2010 über dem Betrag von einer Millionen Euro lagen und die Geschäfte der Messegesellschaft höchste juristische Gremien auch auf europäischer Ebene beschäftigen, scheint ein öffentlich kaum relevanter Sachverhalt zu sein. Ob wir mit dieser Entwicklung einverstanden sind, interessiert nicht wirklich. Was stört es den Mond, wenn Wölfe heulen? 'Kölscher Klüngel' stimmt vor diesem Hintergrund nicht nur nachdenklich, er provoziert auch Emotionen.

Eigentümer des von der Kölnmesse genutzten Messegeländes und der Arena ist der ominöse ‚Esch-Fonds’ der ‚Oppenheim-Esch-Holding’, die sich an der Arena und dem neuen Verwaltungsgebäude der Stadt Köln bereichert haben soll, was wahrscheinlich nur mit Unterstützung aus politischen Kreisen möglich wurde. Josef Eschs Ehefrau Irma ist übrigens die Ex-Frau des ehemaligen Torwarts des 1. FC Köln, Manfred ('Manni') Manglitz, der im Rahmen des Bundesliga-Skandals 1970/1 wegen Bestechlichkeit zweimal lebenslang gesperrt wurde. Die lebenslange Sperre endete 1974 aufgrund von Begnadigung. Manglitz, wegen seiner Großmäuligkeit auch ‚Cassius’ genannt (in Anlehnung an den Boxer Cassius Clay, der sich später zum Islam bekennt und Muhammed Ali nennt), wurde zunächst beim FSV Gebäudereiniger in Köln aktiv und kehrte in der Saison 1975/6 als Torwart des 1. FC Mülheim-Styrum in den bezahlten Fußball zurück. 

Aus 'Kölscher' Sicht verweisen derartige Begebenheiten auf verborgene Interaktionen vom Typ des 'Klüngels'. Lange bevor der Begriff der 'Vernetzung' aufgekommen ist, wussten die Kölner von der Bedeutung informeller Netze und pflegen daher schon immer ihre Netze zum wechselseitigen Nutzen aller Beteiligten. Das 'Kölsche' Prinzip 'mir kenne uns, mir helfe uns', ist mehr als eine kleine Gefälligkeit, es beinhaltet eine Verpflichtung und ist darum eine Norm in einem System der Gegenseitigkeit, das auf Schuldverhältnissen basiert. Die Kreise der Verpflichtungen sind dabei nicht eng gesteckt. Häufig werden in die Schuldverpflichtungen auch Dritte einbezogen; dann heißt es etwa: 'Isch kenne wä, dä kenn wä, un da han isch noch jet jot.'

Ob wir uns dessen bewusst sind oder auch nicht, das soziale Leben ist durchdrungen von netzartigen informellen Strukturen, die neben formalen Strukturen oder an ihnen vorbei organisiert sind. Informelle Strukturen können sich auch gegen legitime formale Strukturen richten, um diese zu hintergehen und auszutricksen. Das gilt etwa für Vorgänge wie z. B. Korruption oder Steuerhinterziehung und auch für mafiöse Strukturen, die sogar institutionalisiert sein können. Dass 'Klüngel' außerhalb des 'Kölschen Universums' als anrüchig gilt, hat mindestens drei Gründe:
  • Auch illegale Varianten informeller Strukturen werden unter 'Klüngel' subsumiert.
  • 'Kölsche' entwickeln hinsichtlich nicht-legaler Varianten des 'Klüngels' kaum  Unrechtbewusstsein und betrachten 'Klüngel' prinzipiell nicht als 'dreckelig' (schmutzig bzw. Fehlverhalten), sondern als 'gewetz' (schlau). Wenn offensichtlich illegaler 'Klüngel' öffentlich wird, haben auch 'Kölsche' 'Dress am Schoh', was aber nicht mehr bedeutet als 'Pech gehabt'. 
  • Wenn 'Klüngel' öffentlich verhandelt wird, wissen 'Kölsche', dass bildlich betrachtet nur die Spitze von Eisbergen sichtbar wird und der 'Klüngel' in seinem vollen Umfang unter einer trüben und kaum zu durchdringenden Oberfläche liegt. Wie in mafiösen Strukturen gilt unter den Beteiligten so etwas wie eine 'Omertà', eine Schweigepflicht gegenüber Außenstehenden.
'Kölsche' Moral hat mit 'Klüngel' kein wirkliches Problem. Die frommen Kölner biegen sich entsprechend ihrer 'Kölschen' Mentalität ihre Religion so zurecht, dass keine Hemmungen zu befürchten sind. Gemäß 'rheinischem Katholizismus' ist der 'leeve Jott' ein gutmütiger, humorvoller, älterer Herr, der, wenn er nicht sogar 'ene Kölsche es', zumindest 'ene Kölsche' sein könnte. Der 'leeve Jott' hat 'Kösche' vermeintlich besonders gerne und lässt darum 'Fünfe gerade sein', wenn 'ne Kölsche Jeck' an die Himmelspforte klopft. Diese Haltung machte ein von Willy Millowitsch gesungenes Lied zum Schlager, dessen Titelzeile Motto des Kölner Rosenmontagszugs 1972 war:
Wir sind alle kleine Sünderlein,
's war immer so, 's war immer so.
Der Herrgott wird es uns bestimmt verzeih'n,
's war immer, immer so.
Denn warum sollten wir auf Erden
schon lauter kleine Englein werden?
Wir sind alle kleine Sünderlein,
's war immer so, 's war immer so.
Englein können wir im Himmel sein,,
's war immer so, immer so.

Für Nicht-Kölner umschreibt der Begriff des legendären ‚Kölner Klüngels’ ein in Köln erhöhtes Potenzial der Wirtschaftskriminalität sowie die Tendenz, kriminelle Kölsche Energie augenzwinkernd zu verharmlosen. Das ‚Kölsche Grundgesetz’ deckt auch diese Schattenseiten Kölscher Mentalität.
Nach diesem Schlenker verdient der Karneval noch eine Anmerkung. Der ‚richtige’ Karneval, also der Straßenkarneval, konzentriert sich im linksrheinischen Kölner Zentrum. Auch der Rosenmontagszug nimmt von ‚Düx’ keine Notiz. Er meidet die ‚schäl Sick’ und zieht ausschließlich durch das linksrheinische Köln. Die Veranstaltung der ‚Lachenden Sporthalle’ in ‚Düx’, ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass im linksrheinischen Teil Kölns keine geeignete Halle zur Verfügung steht.
Für den ‚wahren Kölner’ liegt das ‚richtige Köln' ohnehin ausschließlich auf der linken Rheinseite. Linksrheinische Kölner tragen ihre Nase gerne höher als rechtsrheinische Kölner. Wenn sie den rechtsrheinischen Teil Kölns als ‚schäl Sick’ bezeichnen, ist das durchaus abwertend gemeint im Sinne von ‚falsch’ oder ‚schlecht’. Kölner sind andererseits nicht besonders streitsüchtig und haben darum für diese vermeintliche Arroganz eine schmerzarme historische Begründung erfunden. Die etwa so lautet: Bevor die Motorschifffahrt einsetzte, wurden Lastkähne vom Ufer mit Pferden auf Treidelpfaden flussaufwärts gezogen. Weil die Tiere durch die vom Wasser reflektierenden Sonnenstrahlen geblendet wurden, schielten sie auf ihrem dem Wasser zugewandten Auge, was sich auch durch Scheuklappen nicht verhindern ließ. Aufgrund dieses Phänomens soll die dem schielenden Auge gegenüberliegende Seite als ‚Schäl Sick’ bezeichnet worden sein.
Die Erklärung darf unter dem Stichwort ‚Legenden’ abgelegt werden. In mundartlichen Varianten lässt sich die Schmähung als ‚schäl Sick’ auch in anderen Gegenden des Rheinlandes und im Moselgebiet nachweisen, wobei jeweils mal die eine oder die andere Flussseite gemeint ist. Als wahrscheinlicher ist darum anzunehmen, dass sich die Bezeichnung ‚schäl Sick’ für solche Gebiete durchsetzte, die dünn besiedelt waren, überwiegend landwirtschaftlich genutzt wurden und häufige von Überflutungen durch Hochwasser betroffen waren. In den reicheren Städten entwickelte sich ein Wohlstand, mit dem sich auch die Kultur veränderte. Das reiche Bürgertum orientierte sich an höfischen Standards. Die Gebiete der ‚schäl Sick’ waren dagegen vom städtischen Leben weitgehend ausgeschlossen. Aus Sicht der Bewohner freier Reichsstädte waren diese Gebiete rückständig. Die Landbevölkerung war vom niederen Stand bzw. unfrei, und das Leben war wegen fehlender Stadtmauern deutlich unsicherer.
Die Bewertung als gut und schlecht ('schäl') ist zwar einseitig verzerrt, aber kein typisch kölsches Problem, sondern evolutionär entwickelten Mechanismen menschlicher Wahrnehmung geschuldet. Diese Art von Animositäten, die zwischen Kölnern auf den unterschiedlichen Rheinseiten nur noch selten spürbar werden, lassen sich weit in Kölner Geschichte zurückverfolgen, sind aber kein kölsches Phänomen.


Kleiner Streifzug durch Köln-Deutzer Geschichte
Im Raum Köln geht diese Trennung zwischen einer guten und einer ‚schälen’ Flussseite vermutlich auf den Sachverhalt zurück, dass breite Flüsse schon immer natürliche Grenzen bilden, an denen unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, die sich jeweils als fremd wahrnehmen und darum wechselseitig als potentielle Gefahr empfunden werden. Die römische Kolonialisierungsstrategie verschärfte diese Wahrnehmung. Rechtsrheinische germanische Stämme unterwarfen sich nicht römischen Machtansprüchen. Die römischen Besatzer gingen diesen Konflikten aus dem Weg und besetzten nur die linke Seite des Niederrheins. Der Rhein bildete somit die Grenze des römischen Reiches. Zur Zeit römischer Besatzung verbreitete sich im römischen Gebiet das Christentum. Aus Sicht der linken Rheinseite wohnten rechtsrheinisch heidnische Barbaren. Trotz aller kultureller Differenzen fand ein reger Handel zwischen Römern und germanischen Stämmen statt. Märkte funktionieren offensichtlich nach anderen Regeln.

Archäologische Ausgrabungen in Deutz
Modell des römischen Kastells Divitia
Unter römischer Besatzung entwickelte sich ‚Colonia Claudia Ara Agrippinensium’ zu einem wichtigen Handelsstützpunkt der Römer. Um den regen Handel mit Germanen zu vereinfachen, errichteten Römer um das Jahr 310 unter Kaiser Konstantin eine Rheinbrücke, die den Handel vereinfachte.
Wenn sich Gelegenheiten boten, zeigten germanische Stämme wenig Hemmungen, ihr 'Geschäftsmodell' des Handels mit Beutezüge zu ergänzen. Auf der linksrheinischen Seite winkte schließlich reiche und leicht zu erreichende Beute. Römer errichten darum zur Sicherung der Brücke und der Stadt das Kastell ‚Divitia’ auf der rechten Rheinseite. Dieser römische Vorposten gilt als Keimzelle von ‚Düx’.

Nachdem das Kölner Gebiet unter fränkische Herrschaft fiel, wird die Brücke vernachlässigt und später abgerissen. Ca. 1.000 Jahre bleibt Köln ohne Rheinbrücken. Unter französischer und preußischer Herrschaft wurden lediglich Pontonbrücken betrieben. Die 1859 eröffnete ‚Dombrücke’ ist die erste feste Brücke der Neuzeit. Sie genügte aber bald nicht mehr den Anforderungen des zunehmenden Schienenverkehrs und wird 1911 von der  ‚Hohenzollernbrücke’ abgelöst.

Alt St. Heribert in Deutz
Erzbischof Heribert von Köln wandelte im Jahr 1003 das ehemalige römische Kastell in ein Benediktinerkloster um, die Abtei Deutz. Das Jahr 1003 kann somit als das 'Taufjahr' von 'Düx’ gesehen werden.

1230 erhebt Erzbischof Heinrich I. von Köln Deutz zur Stadt. Seit dieser Zeit bleibt ‚Düx’ über Jahrhunderte ein Zankapfel zwischen der Stadt Köln, dem Kurfürstentum Köln und dem Herzogtum Berg.

Im Truchsessischem Krieg (1583-1588) wird Deutz vollständig zerstört. Gebhard Truchsess von Waldburg-Trauchburg war zunächst Erzbischof und Kurfürst von Köln. Dann wechselte er die Konfession und wollte Köln in ein weltliches Fürstentum umwandeln. Dem Kölner Domkapitel gefiel das gar nicht. Mit dem Segen von Papst Gregor XIII. rief es bayrische und spanische Truppen zur Hilfe. Gebhard Truchsess sicherte sich die Unterstützung der Niederlande. In dem fünfjährigen Krieg wurden etliche Städte im Rheinland zerstört und geplündert. Neben Deutz zählten zu diesen Städten Godesberg, Rheinberg und Linz. Nachdem die Niederländer 1588 ihre Truppen zurückzogen, musste Gebhard Truchsess den Kampf aufgeben. Er floh in die Niederlande.

1970 wird auf dem Gelände der ehemaligen Klosteranlage die Abtei nach barockem Vorbild neu errichtet. Unter 'Alt St. Heribert' befinden sich historische Gewölbekeller mit Resten des römischen Kastells sowie der ehemaligen Abtei mit der ehemaligen Grabstätte des heiligen Heribert.
Im 19. Jahrhundert erlebt Deutz eine wechselvolle Geschichte. Ab 1803 gehört Deutz zunächst zum Herzogtum Naussau-Usingen. Mit Gründung des Rheinbundes fällt Deutz 1806 an das Großherzogtum Berg. Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft wird das Rheinland als Ergebnis des Wiener Kongresses 1814 Preußen zugeschlagen. Unter preußischer Herrschaft erleben Köln und Deutz einen militärischen Ausbau, es werden aber auch Modernisierungen vorgenommen und Voraussetzungen für die einsetzende Industrialisierung hergestellt. Unter den Preußen erfolgt schließlich 1888 die Eingemeindung von Deutz in die Stadt Köln. Im katholischen Rheinland und insbesondere im erzkatholischen Köln bleiben jedoch die protestantischen Preußen stets unbeliebt. Den Preußen wiederum sind die Kölner immer suspekt. Preußen beklagen den lauen Charakter der Kölner, ihre gemächliche Lebensart und ihre fehlende Tatkraft. Der Karneval ist für Preußen ‚polizeilich bedenklich’, trotzdem wird 1823 die Wiederbelebung des Karnevals zugelassen.
Das Verhältnis zwischen Preußen und Kölnern verbessert sich erst mit der Wiederaufnahme des Dombaus ab dem Jahr 1842. Am 23.07.1880 ist der Nordturm des Doms vollendet, der zugleich das weltweit höchste Gebäude darstellt. In die Vorbereitungen der für August 1880 geplanten Feierlichkeiten platzt die Nachricht, dass Kaiser Wilhelm I. unabgestimmt entschieden hat, den Termin der großen Einweihungsfeier auf den Geburtstag seines Bruders im Oktober zu verlegen. Das städtische Dombaufest findet im Oktober ohne den beleidigten Kölner Erzbischof und das brüskierte Domkapitel statt.

Judenhinrichtungen in Köln (Topografie des Terrors, Berlin)
Die Geschmeidigkeit kölscher Mentalität, die das ‚Kölsche Grundgesetz' zum Ausdruck bringt, machte nicht nur Römern die Besetzung leicht. Kölner arrangierten sich ebenso mit den Franzosen, den Preußen und ihren Nachfolgern, den Nationalsozialisten, die in Köln begeistert empfangen wurden. Hermann Göring erhielt 1934 die Ehrenbürgerschaft der Stadt, später folgten Hitler, Goebbels und andere führende Nazi-Persönlichkeiten. Viele Kölner Vereine und Clubs schlossen Juden als Mitglieder aus, noch bevor dies zur Pflicht wurde. Der Kölner Karneval folgte dieser Entwicklung ebenso wie der Wissenschaftsbetrieb. 1933 lebten 20.000 Juden in Köln. Ab 1939 gab es in Köln keine jüdischen Geschäfte. 1943 war Köln ‚judenfrei’. Nur äußerst wenige Kölner haben aktiv gegen diese Entwicklung gekämpft. Widerstand sieht das ‚Kölsche Grundgesetz’ nicht vor, was zu einem weiteren Artikel anregt:

Vun nix kütt nix!

Adenauer-Zitat (Topografie des Terrors, Berlin)
Selbst Konrad Adenauer, Oberbürgermeister Kölns von 1917-1933 sowie für einige Monate im Jahr 1945, der von Nationalsozialisten abgesetzt und verfolgt wurde, war kein Förderer einer Aufarbeitung der Vergangenheit. Der Bundestag setzte zwar einen Untersuchungsschuss ein, der die politische Vergangenheit hochrangiger Diplomaten des Auswärtigen Amtes untersuchte, aber in der Debatte über die Ergebnisse der Untersuchung plädierte Konrad Adenauer am 22.10.1952 für den Abbruch der Untersuchungen.







Zurück zur Gegenwart

Inzwischen ist viel Wasser durch den Rhein geflossen. Die links- und rechtsrheinischen Ortsteile Kölns sind über Jahrhunderte und über viele Menschengenerationen enger zusammengewachsen als es jemals vorher der Fall war. Der Dom ist Identifikationssymbol aller Kölner, egal welcher Konfession sie angehören und auf welcher Rheinseite sie leben. Der 1. FC Köln macht es uns dagegen sehr schwer, diesen Fußballverein als Integrationsfaktor wahrzunehmen.

Auf beiden Seiten des Rheins gibt es sowohl Wohnviertel mit hoher Lebensqualität, als auch solche Viertel, die man nach Einbruch der Dunkelheit besser meidet. Die meisten Kölner leben gerne in ihrem ‚Veedel’, trotz des Schmutzes und Schmuddels der Vergangenheit und der Gegenwart. Vermutlich macht gerade dieses Unperfekte, Improvisierte und Chaotische die Stadt Köln auch liebens- und lebenswert. Die Fehler und Mängel Kölns erinnern an unsere eigenen Schwächen und geben Köln eine menschliche Prägung. 

Wir ärgern uns häufig über die Leichtigkeit des rheinländischen Lebens, auf deren Unzuverlässigkeit wir uns verlassen können. Aber wir lieben auch diese Leichtigkeit, die uns immer wieder eigene Nischen und Fluchtwege eröffnet. Besonders schätzen wir eine gewisse Großzügigkeit und Offenheit gegenüber Abweichungen vom Mainstream. In Köln findet das Abseitige, Schräge oder schlicht Andere viel eher eine Heimat als in vielen anderen deutschen Städten. In Köln darf man ‚jeck’ und ‚doll’ sein, ohne deswegen sofort ausgegrenzt zu werden. 

Die vielen unterschiedlichen kulturellen Einflüsse, die seit Jahrtausenden im Raum Köln verschmelzen, scheinen Toleranz zu fördern und das Miteinander unterschiedlicher Kulturen zu verbessern. Dieser Kultur verdanken wir ein Klima, das freiheitsliebende Menschen als Komponente von 'Lebensqualität' wahrnehmen, die aber auch ihre Kehrseite hat. Pauschal lässt sich feststellen, dass sich mit Kölner Mentalität Unzuverlässigkeit verbindet. Organisationsstärke ist ebenfalls keine typische Kölsche Eigenschaft. Kölner empfinden eher Chaos als einen Normalzustand, gegen den jeder Kampf zwangsläufig scheitern muss. Sie lavieren sich darum lieber als Improvisationskünstler durch das Leben, ohne das natürliche Sicherheitsbedürfnis aufzugeben, das Netze erfordert. Auf diesem fruchtbaren Boden wachsen die als 'Küngel' bezeichneten Strukturen, die das wirtschaftliche und soziale Leben im Kölner Raum dominieren. Je nach Kontext können sich Kölner über 'Küngel' freuen oder schmunzeln. Ärger ist nicht auszuschließen. Das Eine ist eben nur mit dem Anderen zu haben. Im Fall irritierter Reaktionen der Außensicht bietet das 'Kölsche Grundgesetz' Handlungssicherheit.

Als sicher kann gelten, dass kölner Mentalität nachgefragte Fähigkeiten fördert, die sich je nach Kontext als 'Kommunikationsstärke' oder als 'Feierbiester' umschreiben lassen. Wie man sich dazu stellt, ist weniger eine ethische Frage, als eine Frage der eigenen Haltung. 

En unserem Veedel

Musik und Text: Bläck Fööss

Wie soll dat nur wigger jon,
wat bliev dann hück noch ston,
die Hüsjer un Jasse
die Stündcher beim Klaafe
es dat vorbei.

En d'r Weetschaff op d'r Eck
ston die Männer an d'r Thek'
die Fraulückcher setze
beim Schwätzje zosamme
es dat vorbei.

Refrain: Wat och passeet,
dat eine es doch klor.
Et Schönste, wat m'r han,
schon all die lange Johr,
es unser Veedel,
denn he hält m'r zosamme
ejal, wat och passeet,
en uns'rem Veedel.

Uns Pänz, die spelle nit em Jras
un fällt ens einer op de Nas,
die Bühle un Schramme,
die fleck m'r zosamme,
dann es et vorbei.

Refrain: Wat och passeet,
...
en uns'rem Veedel. 

En uns'rem Veedel.
Dat es doch klor,
mer blieven, wo mer sin,
schon all die lange Johr,
en uns'rem Veedel,
denn he hält m'r zosamme
ejal, wat och passeet,
en uns'rem Veedel.

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